Eine gute Encyclopädie zu schreiben, ist eine der schwersten Auf- gaben der Schriftstellerei. Hier findet das Paradoxon seine An- wendung, daß man sehr vieles wissen soll, um wenig schreiben zu können. Und ohne Zweifel am meisten gilt dies bei einer kamera- listischen Encyclopädie, die solche und so viele wissenschaftliche Fächer in sich schließt, daß man von jedem Einzelnen nicht blos besondere Encyclopädien verfassen könnte, sondern auch schon ver- faßt hat. Irre ich nicht, so ist dies wohl ein Hauptgrund, warum wir keine, dem jetzigen Geiste und Stande der Kameralwissenschaft entsprechende, genügende Encyclopädie besitzen. Nicht zu ge- denken, daß jene Encyclopädien die besten sind, welche zugleich dem Geiste der behandelten Wissenschaft einen neuen Schwung ge- ben und derselben eine neue Seite von Werth abgewinnen, so darf man, da zu jener Aufgabe äußerst selten ein tauglicher Kopf ersteht, mit allem Recht von einer solchen fordern, daß sie den bestehenden Geist der Wissenschaft treffe. Selbst wenn er ein schwacher, ver- irrter ist, kann sie immer noch nützlich sein, indem sie vorurtheils- frei und scharf urtheilt und von dem Zustande des wissenschaftlichen Treibens ein wahres und helles Bild gibt. Es ist sogar oft nicht anders möglich, als so zu verfahren. Bei solchen eminent prak- tischen Fächern, wie die kameralistischen sind, die aus der Er- fahrung schöpfen, und bei denen man fast wünschen möchte, daß es in einem gewissen Sinne gar keine Wissenschaft gebe, ist es nicht so, wie bei der Philosophie, thunlich, alle Paar Jahre ein eigenthümliches System, dunkel oder klar, aufzustellen, -- und der liebe Gott hat es so ebenfalls recht wohl gemacht. Deßhalb darf der Schriftsteller auch nicht auf rauschenden Beifall hoffen. Es ist hier schon Verdienst, wenn man die Wissenschaft in einem guten Geiste zu consolidiren vermag. Das Zeugniß, welches man dem kameralistischen Treiben in dieser Hinsicht zu geben genöthigt ist, glänzt nun freilich eben keineswegs so stark, als wohl Mancher glauben möchte. Die wahrhaft befähigten Köpfe sind unter den der Kameralwissenschaft Beflissenen, wenigstens in Süddeutschland, weit seltener als in jedem andern wissenschaftlichen Zweige, den theologischen ausgenommen. Dies kommt theils von dem noch nicht
Vorrede.
Eine gute Encyclopädie zu ſchreiben, iſt eine der ſchwerſten Auf- gaben der Schriftſtellerei. Hier findet das Paradoxon ſeine An- wendung, daß man ſehr vieles wiſſen ſoll, um wenig ſchreiben zu können. Und ohne Zweifel am meiſten gilt dies bei einer kamera- liſtiſchen Encyclopädie, die ſolche und ſo viele wiſſenſchaftliche Fächer in ſich ſchließt, daß man von jedem Einzelnen nicht blos beſondere Encyclopädien verfaſſen könnte, ſondern auch ſchon ver- faßt hat. Irre ich nicht, ſo iſt dies wohl ein Hauptgrund, warum wir keine, dem jetzigen Geiſte und Stande der Kameralwiſſenſchaft entſprechende, genügende Encyclopädie beſitzen. Nicht zu ge- denken, daß jene Encyclopädien die beſten ſind, welche zugleich dem Geiſte der behandelten Wiſſenſchaft einen neuen Schwung ge- ben und derſelben eine neue Seite von Werth abgewinnen, ſo darf man, da zu jener Aufgabe äußerſt ſelten ein tauglicher Kopf erſteht, mit allem Recht von einer ſolchen fordern, daß ſie den beſtehenden Geiſt der Wiſſenſchaft treffe. Selbſt wenn er ein ſchwacher, ver- irrter iſt, kann ſie immer noch nützlich ſein, indem ſie vorurtheils- frei und ſcharf urtheilt und von dem Zuſtande des wiſſenſchaftlichen Treibens ein wahres und helles Bild gibt. Es iſt ſogar oft nicht anders möglich, als ſo zu verfahren. Bei ſolchen eminent prak- tiſchen Fächern, wie die kameraliſtiſchen ſind, die aus der Er- fahrung ſchöpfen, und bei denen man faſt wünſchen möchte, daß es in einem gewiſſen Sinne gar keine Wiſſenſchaft gebe, iſt es nicht ſo, wie bei der Philoſophie, thunlich, alle Paar Jahre ein eigenthümliches Syſtem, dunkel oder klar, aufzuſtellen, — und der liebe Gott hat es ſo ebenfalls recht wohl gemacht. Deßhalb darf der Schriftſteller auch nicht auf rauſchenden Beifall hoffen. Es iſt hier ſchon Verdienſt, wenn man die Wiſſenſchaft in einem guten Geiſte zu conſolidiren vermag. Das Zeugniß, welches man dem kameraliſtiſchen Treiben in dieſer Hinſicht zu geben genöthigt iſt, glänzt nun freilich eben keineswegs ſo ſtark, als wohl Mancher glauben möchte. Die wahrhaft befähigten Köpfe ſind unter den der Kameralwiſſenſchaft Befliſſenen, wenigſtens in Süddeutſchland, weit ſeltener als in jedem andern wiſſenſchaftlichen Zweige, den theologiſchen ausgenommen. Dies kommt theils von dem noch nicht
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Vorrede.
Eine gute Encyclopädie zu ſchreiben, iſt eine der ſchwerſten Auf-
gaben der Schriftſtellerei. Hier findet das Paradoxon ſeine An-
wendung, daß man ſehr vieles wiſſen ſoll, um wenig ſchreiben zu
können. Und ohne Zweifel am meiſten gilt dies bei einer kamera-
liſtiſchen Encyclopädie, die ſolche und ſo viele wiſſenſchaftliche
Fächer in ſich ſchließt, daß man von jedem Einzelnen nicht blos
beſondere Encyclopädien verfaſſen könnte, ſondern auch ſchon ver-
faßt hat. Irre ich nicht, ſo iſt dies wohl ein Hauptgrund, warum
wir keine, dem jetzigen Geiſte und Stande der Kameralwiſſenſchaft
entſprechende, genügende Encyclopädie beſitzen. Nicht zu ge-
denken, daß jene Encyclopädien die beſten ſind, welche zugleich
dem Geiſte der behandelten Wiſſenſchaft einen neuen Schwung ge-
ben und derſelben eine neue Seite von Werth abgewinnen, ſo darf
man, da zu jener Aufgabe äußerſt ſelten ein tauglicher Kopf erſteht,
mit allem Recht von einer ſolchen fordern, daß ſie den beſtehenden
Geiſt der Wiſſenſchaft treffe. Selbſt wenn er ein ſchwacher, ver-
irrter iſt, kann ſie immer noch nützlich ſein, indem ſie vorurtheils-
frei und ſcharf urtheilt und von dem Zuſtande des wiſſenſchaftlichen
Treibens ein wahres und helles Bild gibt. Es iſt ſogar oft nicht
anders möglich, als ſo zu verfahren. Bei ſolchen eminent prak-
tiſchen Fächern, wie die kameraliſtiſchen ſind, die aus der Er-
fahrung ſchöpfen, und bei denen man faſt wünſchen möchte, daß
es in einem gewiſſen Sinne gar keine Wiſſenſchaft gebe, iſt es
nicht ſo, wie bei der Philoſophie, thunlich, alle Paar Jahre ein
eigenthümliches Syſtem, dunkel oder klar, aufzuſtellen, — und der
liebe Gott hat es ſo ebenfalls recht wohl gemacht. Deßhalb darf
der Schriftſteller auch nicht auf rauſchenden Beifall hoffen. Es iſt
hier ſchon Verdienſt, wenn man die Wiſſenſchaft in einem guten
Geiſte zu conſolidiren vermag. Das Zeugniß, welches man dem
kameraliſtiſchen Treiben in dieſer Hinſicht zu geben genöthigt iſt,
glänzt nun freilich eben keineswegs ſo ſtark, als wohl Mancher
glauben möchte. Die wahrhaft befähigten Köpfe ſind unter den
der Kameralwiſſenſchaft Befliſſenen, wenigſtens in Süddeutſchland,
weit ſeltener als in jedem andern wiſſenſchaftlichen Zweige, den
theologiſchen ausgenommen. Dies kommt theils von dem noch nicht
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Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835, S. [V]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumstark_encyclopaedie_1835/11>, abgerufen am 21.11.2024.
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