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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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Jn diesem ganzen Kapitel herrscht bei Kant ein durchgehender pba_715.002
Mangel an Klarheit; im Grunde wird er dabei seinem eigenen Prinzip pba_715.003
ungetreu. Das "Gefühl" der Achtung -- welches dann freilich wieder pba_715.004
kein "Gefühl" sein soll -- erkennt er als Triebfeder des pba_715.005
moralischen Handelns an.
Das konnte nur geschehen, weil er es pba_715.006
nicht unternahm, die intime Verbindung, welche zwei ihrer Natur pba_715.007
nach durchaus getrennte Vermögen bei dem Auftreten der "Achtung" pba_715.008
eingehen, kritisch zu scheiden. Das Vermögen der reinen und der pba_715.009
praktischen Vernunft trifft seine Entscheidung: das Resultat derselben, pba_715.010
die Überzeugung, thut in demselben Augenblicke sich dem Gesamtvermögen pba_715.011
der Seele, dem "Gemüte", kund: die Folge davon ist, daß pba_715.012
mit der Überzeugung sich als unzertrennliche Begleitung die entsprechende pba_715.013
Bewegung des Gefühls verbindet. Nach der Konsequenz pba_715.014
von Kants System sollte nun jene Überzeugung ganz allein die pba_715.015
Triebfeder des Handelns sein: aber -- ein schönes Zeugnis für den pba_715.016
"fühlenden" Menschen Kant gegen den systematischen Philosophen -- pba_715.017
die Wahrheit ist stärker als die Einseitigkeit des formalen Rigorismus, pba_715.018
das Feuer der eigenen "Empfindung", das in diesem ganzen Abschnitt pba_715.019
so herrlich bei ihm hervortritt, überwältigt ihn und zwingt ihm das pba_715.020
Anerkenntnis ab, daß das solchergestalt bestimmte "Gefühl" einer der pba_715.021
mächtigsten Antriebe des moralischen Handelns sei, "dessen Stimme auch pba_715.022
den kühnsten Frevler zittern macht und ihn nötigt, sich vor dem Anblick pba_715.023
des Gesetzes zu verbergen."1

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Es würde schwierig sein die bei Kant fehlende kritische Scheidung pba_715.025
auf diesem Gebiete vorzunehmen, wenn nicht die Psychologie und Ethik pba_715.026
des Aristoteles den Weg dazu klar vorgezeichnet hätte. Seine Lehre pba_715.027
läßt sich in wenige Sätze zusammengefaßt darlegen.

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Wie der Logos niemals sein Geschäft vollziehen und seine Kraft pba_715.029
entwickeln könnte, ohne daß die Ästhesis, die sinnliche Wahrnehmung, pba_715.030
ihm Vorstellungen zuführte, welche die "Phantasia" für ihn sammelt und pba_715.031
aufbewahrt, wie er ohne dieselbe eine leere Form bleiben und nie in pba_715.032
Thätigkeit gesetzt werden würde, so wäre der Nous (die praktische pba_715.033
Vernunft) ohne die Empfindungsvorgänge in der Seele niemals imstande pba_715.034
seine Aufgabe, den Willen zu bestimmen, zu vollziehen; in einer gänzlich pba_715.035
empfindungslosen -- apathischen -- Seele, wenn eine solche gedacht pba_715.036
werden könnte, müßte er für immer unentwickelt bleiben. Einer pba_715.037
jeden Einwirkung von außen her, sei es durch einen Gegenstand, sei es pba_715.038
durch einen Vorgang, entspricht eine Veränderung in der empfindenden

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S. S. 205 ff.

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Mangel an Klarheit; im Grunde wird er dabei seinem eigenen Prinzip pba_715.003
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Das konnte nur geschehen, weil er es pba_715.006
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den kühnsten Frevler zittern macht und ihn nötigt, sich vor dem Anblick pba_715.023
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Es würde schwierig sein die bei Kant fehlende kritische Scheidung pba_715.025
auf diesem Gebiete vorzunehmen, wenn nicht die Psychologie und Ethik pba_715.026
des Aristoteles den Weg dazu klar vorgezeichnet hätte. Seine Lehre pba_715.027
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Wie der Logos niemals sein Geschäft vollziehen und seine Kraft pba_715.029
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Vernunft) ohne die Empfindungsvorgänge in der Seele niemals imstande pba_715.034
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 715. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/733>, abgerufen am 22.11.2024.