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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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söhnende Abrundung, welche eigentlich von allem Drama, ja pba_430.002
sogar von allen poetischen Werken gefordert werde.
" Jn pba_430.003
diesen Worten liegt die ausdrückliche Erklärung seiner Uebereinstimmung pba_430.004
mit Aristoteles: wie dieser setzt er die Wirkung der Tragödie in die pba_430.005
Erregung von Furcht und Mitleid des Zuschauers, und wie pba_430.006
diesem ist ihm "zum Abschluß dieser Wirkung eine Söhnung, pba_430.007
eine Lösung unerläßlich,
wenn die Tragödie ein vollkommenes pba_430.008
Kunstwerk sein solle." Aber indem er im scharfen Gegensatz zu Lessing pba_430.009
diese "Söhnung" oder "Lösung" als allein in dem Kunstwerk selbst pba_430.010
liegend erklärt, begeht er den umgekehrten Fehler wie dieser, der die pba_430.011
Katharsis als eine "Reinigung" der Furcht- und Mitleids-"Leidenschaften" pba_430.012
ganz in die Seele des Zuschauers verlegt. Der rechte Sinn der aristotelischen pba_430.013
Definition, indem er die Mitte zwischen beiden hält, vereinigt pba_430.014
beides: Lessings Jnterpretation, deren Wortlaut bedenklich zu einer pba_430.015
moralischen Auffassung des Dichtungszweckes zu neigen scheint (von pba_430.016
welcher er doch im Grunde ganz frei war), verleitet dazu, die Grenzen pba_430.017
der Definition ungebührlich zu erweitern und die Vorstellung einer pba_430.018
möglichen Folge anstatt des Wesens des Kunstwerks selbst ins Auge zu pba_430.019
fassen; dagegen verengt Goethes Auffassung die Definition, indem sie pba_430.020
den wesentlichen Umstand verkennt, daß die entscheidende Bestimmung pba_430.021
für die objektive Beschaffenheit der tragischen Handlung von Aristoteles pba_430.022
in die Forderung gelegt ist, daß ihr die Kraft erteilt werde, die pba_430.023
reinen Empfindungen der Furcht und des Mitleids hervorzurufen, -- pba_430.024
wo anders also als in der Seele des Zuschauers?

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Es liegt in der Natur der dramatischen Kunstgattung, daß dieses pba_430.026
Ziel in seiner Vollkommenheit erst mit dem Abschluß der Dichtung pba_430.027
erreicht werden kann: dies ist es, was Goethe dazu bewogen hat, diesen pba_430.028
Umstand so einseitig zu betonen. Erst mit ihrem Abschluß kann die pba_430.029
Handlungen nachahmende Kunst dasjenige darbieten, was die bildende pba_430.030
Kunst mit eins vor das Auge stellt. Ohne daß freilich damit gesagt pba_430.031
würde, daß den Werken der letzteren nicht ebensowohl das Ziel gesetzt pba_430.032
wäre, eine entsprechende "Katharsis" zu vollenden. Dieselbe tritt nur pba_430.033
nicht so deutlich hervor wie bei den fortschreitenden Künsten. Der pba_430.034
Sprachgebrauch freilich nennt das Gebilde der Kunst geradehin schön; pba_430.035
aber diese Bezeichnung gehört ihm doch nur insofern, als es vermögend pba_430.036
ist, das Phänomen der Schönheit in der Seele des Beschauers pba_430.037
entstehen zu lassen, denn einzig und allein hier hat dasselbe pba_430.038
seinen Sitz!
Daß es also diejenigen objektiven Beschaffenheiten pba_430.039
in sich vereinigt, welche dem Empfinden den unmittelbaren pba_430.040
und mit innerer Notwendigkeit wirkenden
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söhnende Abrundung, welche eigentlich von allem Drama, ja pba_430.002
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reinen Empfindungen der Furcht und des Mitleids hervorzurufen, — pba_430.024
wo anders also als in der Seele des Zuschauers?

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Es liegt in der Natur der dramatischen Kunstgattung, daß dieses pba_430.026
Ziel in seiner Vollkommenheit erst mit dem Abschluß der Dichtung pba_430.027
erreicht werden kann: dies ist es, was Goethe dazu bewogen hat, diesen pba_430.028
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/448>, abgerufen am 22.11.2024.