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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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(peisomenos) fähig sei, dem in dem Gegenstande gebotenen Anlaß zu pba_426.002
entsprechen. Er drückt, wie schon oben erwähnt, dies Verhältnis so pba_426.003
scharf aus, daß er es überhaupt nicht für die Sache der Kunst erklärt, pba_426.004
die Hedone zu erzeugen, die immer nur durch die Thätigkeit (energeia pba_426.005
tes aistheseos) des Einzelnen entstehen könne, sondern nur die Möglichkeit pba_426.006
oder Bereitschaft (dunamin) dafür im Objekt hervorzubringen. pba_426.007
Genau gesprochen stellt sie nach seiner Meinung also auch nicht pba_426.008
das Schöne selbst
dar, sondern sie trifft nur die Veranstaltung dazu, pba_426.009
daß dieses Phänomen, welches seine Existenz schlechterdings nur im pba_426.010
Subjekt hat, eben zu dieser Existenz gelange. Ein Satz von der höchsten pba_426.011
Bedeutung für die Lösung der wichtigsten Probleme der ästhetischen pba_426.012
Wissenschaft, welcher mit Kants ästhetischer Theorie nicht allein zusammenstimmt, pba_426.013
sondern geeignet sein möchte, dieselbe in sehr wesentlichen Punkten pba_426.014
aufzuklären und zu ergänzen. Denn erstlich legt er die notwendige pba_426.015
innere Verbindung zwischen den beiden scheinbar so schwer zu vereinenden pba_426.016
Attributen des ästhetischen Urteils offen zu Tage: daß dasselbe nämlich pba_426.017
ein rein subjektives sei und zugleich von a priori bestehender, allgemein pba_426.018
gültiger Verbindlichkeit; sodann zeigt er ebenso einfach als deutlich, wie pba_426.019
dasselbe trotz der von seinem Wesen unzertrennlichen Subjektivität mit pba_426.020
Notwendigkeit an die objektiv vorhandene Beschaffenheit des erregenden pba_426.021
Anlasses gebunden ist, vermöge dessen es zustande kommt und mit dessen pba_426.022
vorzüglicher Beschaffenheit es seinerseits in der entsprechenden vorzüglichen pba_426.023
Beschaffenheit der in Bewegung gesetzten Wahrnehmungs- und pba_426.024
Empfindungsenergie zusammenstimmen muß, um dem Phänomen des pba_426.025
Schönen in der Seele die Existenz zu verschaffen. Die Freude an pba_426.026
demselben ist mit seiner Erscheinung untrennbar und notwendig verbunden, pba_426.027
wie sie nach des Aristoteles eigentümlicher und tiefsinniger pba_426.028
Theorie einer jeden Energie sich zugesellt, sobald dieselbe eine in ihrer pba_426.029
Art vollendete ist.

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Die Aufgabe (ergon), die die Tragödie nach des Aristoteles Meinung pba_426.031
zu leisten hat, um ihr Wesen zu erfüllen, ist also zunächst die, daß pba_426.032
sie eine Handlung nachahme, welche die Schicksalsempfindungen, pba_426.033
Furcht und Mitleid,
zu erwecken geeignet sei. Durch diese wirkt pba_426.034
sie!
Bloße Nachahmung der Handlung um der Handlung selbst willen pba_426.035
wäre ästhetisch unwirksam und tot, ebenso wie Erzählung nur um der pba_426.036
Erzählung willen oder Schilderung nur um dieser willen. Alles das pba_426.037
liefe nur auf Benachrichtigung hinaus oder auf den passiven Genuß rein pba_426.038
äußerlicher Zerstreuung. Ein Schicksalsverlauf also, der Furcht und pba_426.039
Mitleid hervorrufe, ist in Handlung vorzuführen: ernst-würdig muß pba_426.040
er sein, denn es gilt das Ernsteste und Würdigste vorzustellen, das

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(πεισόμενος) fähig sei, dem in dem Gegenstande gebotenen Anlaß zu pba_426.002
entsprechen. Er drückt, wie schon oben erwähnt, dies Verhältnis so pba_426.003
scharf aus, daß er es überhaupt nicht für die Sache der Kunst erklärt, pba_426.004
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oder Bereitschaft (δύναμιν) dafür im Objekt hervorzubringen. pba_426.007
Genau gesprochen stellt sie nach seiner Meinung also auch nicht pba_426.008
das Schöne selbst
dar, sondern sie trifft nur die Veranstaltung dazu, pba_426.009
daß dieses Phänomen, welches seine Existenz schlechterdings nur im pba_426.010
Subjekt hat, eben zu dieser Existenz gelange. Ein Satz von der höchsten pba_426.011
Bedeutung für die Lösung der wichtigsten Probleme der ästhetischen pba_426.012
Wissenschaft, welcher mit Kants ästhetischer Theorie nicht allein zusammenstimmt, pba_426.013
sondern geeignet sein möchte, dieselbe in sehr wesentlichen Punkten pba_426.014
aufzuklären und zu ergänzen. Denn erstlich legt er die notwendige pba_426.015
innere Verbindung zwischen den beiden scheinbar so schwer zu vereinenden pba_426.016
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ein rein subjektives sei und zugleich von a priori bestehender, allgemein pba_426.018
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dasselbe trotz der von seinem Wesen unzertrennlichen Subjektivität mit pba_426.020
Notwendigkeit an die objektiv vorhandene Beschaffenheit des erregenden pba_426.021
Anlasses gebunden ist, vermöge dessen es zustande kommt und mit dessen pba_426.022
vorzüglicher Beschaffenheit es seinerseits in der entsprechenden vorzüglichen pba_426.023
Beschaffenheit der in Bewegung gesetzten Wahrnehmungs- und pba_426.024
Empfindungsenergie zusammenstimmen muß, um dem Phänomen des pba_426.025
Schönen in der Seele die Existenz zu verschaffen. Die Freude an pba_426.026
demselben ist mit seiner Erscheinung untrennbar und notwendig verbunden, pba_426.027
wie sie nach des Aristoteles eigentümlicher und tiefsinniger pba_426.028
Theorie einer jeden Energie sich zugesellt, sobald dieselbe eine in ihrer pba_426.029
Art vollendete ist.

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Die Aufgabe (ἔργον), die die Tragödie nach des Aristoteles Meinung pba_426.031
zu leisten hat, um ihr Wesen zu erfüllen, ist also zunächst die, daß pba_426.032
sie eine Handlung nachahme, welche die Schicksalsempfindungen, pba_426.033
Furcht und Mitleid,
zu erwecken geeignet sei. Durch diese wirkt pba_426.034
sie!
Bloße Nachahmung der Handlung um der Handlung selbst willen pba_426.035
wäre ästhetisch unwirksam und tot, ebenso wie Erzählung nur um der pba_426.036
Erzählung willen oder Schilderung nur um dieser willen. Alles das pba_426.037
liefe nur auf Benachrichtigung hinaus oder auf den passiven Genuß rein pba_426.038
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Mitleid hervorrufe, ist in Handlung vorzuführen: ernst-würdig muß pba_426.040
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/444>, abgerufen am 22.11.2024.