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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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Zwecke zu erreichen. Alle diese Empfindungen haben mit den tragischen pba_400.002
Affekten nichts gemein; wohl aber dient die Bewunderung, die der pba_400.003
Dichter für seinen Helden zu erwecken weiß und durch welche dieses pba_400.004
"Ungeheuer", dieser "giftige Molch" sich dennoch unwiderstehlich ein pba_400.005
starkes ästhetisches Jnteresse der Zuhörer erzwingt, in hohem Maße dazu pba_400.006
den künstlerischen Hauptzweck des "Schauspiels" zu erreichen. Die Scene pba_400.007
ist der Schauplatz großer historischer Kämpfe; ihr Gegenstand das höchste pba_400.008
Ziel politischen Ehrgeizes; die alle andern Vorgänge überragende pba_400.009
"Größe" dieser Handlung stellt die Frage in den Vordergrund, die zu pba_400.010
allen Zeiten bei den großen politisch-historischen Entscheidungen sich erhoben pba_400.011
hat und immer wieder erheben wird, nicht zwar principiell, aber pba_400.012
desto eingreifender im thatsächlichen Gange des Lebens: die Frage, ob pba_400.013
oder inwieweit die allgemeinen sittlichen und rechtlichen Gesetze bei pba_400.014
solchen die wichtigsten Jnteressen der Gesamtheit bestimmenden Vorgängen pba_400.015
ihre Geltung behalten. Hier hat die abstrakte Theorie ein Ende; pba_400.016
die forschende Vernunft empfängt die Antwort aus dem ehernen Munde pba_400.017
der Geschichte, das Genie des Dichters vernimmt den Wahrspruch und, pba_400.018
die Jdee desselben erfassend, entrollt er die Größe der historischen pba_400.019
Handlung in leichtfaßlichem Bilde, kunstreich ihre Fülle zur Einheit pba_400.020
gestaltend, in ihrem einfach-großen, notwendigen Aufbau kein Glied der pba_400.021
reichen Vollständigkeit ihres inneren Organismus unwiederholt lassend. pba_400.022
So wird das historische Gesetz, das sonst nur dem forschenden Verstande pba_400.023
und der Erkenntnis der Vernunft erscheint, in den Bereich des ästhetischen pba_400.024
Urteils gerückt, ein Gegenstand der unmittelbaren Empfindung. pba_400.025
Die hier entscheidenden, d. h. also im Sinne Kants die das ästhetische pba_400.026
Urteil fällenden Empfindungen sind aber keineswegs die tragischen pba_400.027
des Mitleids und der Furcht gegenüber einem ohne Verschulden und pba_400.028
weit über die Verfehlung treffenden Schicksal, sondern die der lebhaftesten pba_400.029
Mißbilligung gegenüber der sich entrollenden Handlung und der pba_400.030
auf das Stärkste und Reinste gefühlten Billigung gegenüber dem waltenden pba_400.031
historischen Gesetz, welches Recht und Unrecht an die ihm gebührende pba_400.032
Stelle setzt: die sich gegenseitig klärenden Empfindungen pba_400.033
der Nemesis und Hedone.

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An dem Beispiel von Shakespeares "Richard III." zeigt sich also, pba_400.035
daß die als eine besondere Gattung betrachteten "historischen Dramen" pba_400.036
nur insofern eine Abart bilden, als sie ihren Stoff und namentlich die pba_400.037
in der Handlung lebendige Jdee dem wirklichen Lauf der Dinge, oder pba_400.038
doch der als Geschichte aufgenommenen Überlieferung, entnehmen, daß pba_400.039
sie aber nach ihrer technischen Einrichtung völlig unter den Gesetzen des pba_400.040
"Schauspiels" stehen. Der historische Stoff an sich begründet

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Zwecke zu erreichen. Alle diese Empfindungen haben mit den tragischen pba_400.002
Affekten nichts gemein; wohl aber dient die Bewunderung, die der pba_400.003
Dichter für seinen Helden zu erwecken weiß und durch welche dieses pba_400.004
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Urteil fällenden Empfindungen sind aber keineswegs die tragischen pba_400.027
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An dem Beispiel von Shakespeares „Richard III.“ zeigt sich also, pba_400.035
daß die als eine besondere Gattung betrachteten „historischen Dramenpba_400.036
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/418>, abgerufen am 23.11.2024.