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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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ule kai tropois mimeseos diapherousi, telos d'amphoterois \en upokeitai. pba_020.002
"Jm Material und in der Art der Nachahmung unterscheiden pba_020.003
sich die Künste, das Ziel aber, welches sie verfolgen, pba_020.004
ist beiden gemeinsam!
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Welches ist nun aber dieses gemeinschaftliche Ziel? Welches ist der pba_020.006
Gegenstand
oder sind die Gegenstände der Nachahmung in den pba_020.007
Künsten? Darauf geben Lessings Sätze für die Malerei direkt gar keine pba_020.008
Antwort; nur was die Malerei unter Umständen vermöge ihrer Mittel pba_020.009
andeuten könne, geben sie an; umgekehrt schränken sie die Poesie auch pba_020.010
in ihren Gegenständen auf das einzige Gebiet der Handlungen pba_020.011
ein und lassen ihr nur die Möglichkeit andeutungsweise auch pba_020.012
Körper nachzuahmen, welche an sich gar nicht Gegenstände der pba_020.013
künstlerischen Nachahmung sind, sondern nur das Material, dessen sich pba_020.014
eine andere Kunst zu jener Nachahmung bedient.

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Denn die Malerei kann vermöge ihrer Mittel den eigentlichen pba_020.016
Gegenstand ihrer Nachahmung überhaupt nur andeuten! So wie pba_020.017
aus ihren Figuren und Farben eine Handlung nur erraten werden pba_020.018
kann, so ist auch in allen andern Fällen ihrer künstlerischen Ausübung pba_020.019
ihr Zweck nicht die Körper um ihrer selbst willen nachzuahmen -- pba_020.020
sofern dieselben lediglich Gegenstände sind, die nebeneinander oder deren pba_020.021
Teile nebeneinander existieren --, sondern durch dieses Mittel einen pba_020.022
geistigen, seelischen Jnhalt nachahmend zur Darstellung zu bringen, welcher pba_020.023
auch in der Natur nur auf dieselbe Weise, durch die Zeichen der demselben pba_020.024
entsprechenden Formen und Farben, sich andeutend kundgibt.1

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Und nicht anders die Poesie! Sie, der nach der Natur ihrer pba_020.026
Mittel es am besten gelingt Fortschreitendes nachzuahmen, stellt ihre pba_020.027
äußeren Handlungen ebensowenig um ihrer selbst willen dar -- sofern pba_020.028
dieselben nämlich lediglich eine Reihe äußerer Veränderungen, Gegenstände, pba_020.029
deren Teile aufeinander folgen, sind --, sondern in allen Fällen pba_020.030
ist diese äußere Nachbildung nur das Material der Nachahmung pba_020.031
-- die Hyle der Mimesis --; ihr eigentlicher Gegenstand ist, wie in pba_020.032
der bildenden Kunst, geistiger Natur. Diesen seelischen Jnhalt zur pba_020.033
Empfindung zu bringen ist das beiden Künsten gemeinsame Ziel, das pba_020.034
telos en!

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Dieser Jnhalt kann nun zwar ebenfalls in einer "Handlung"

1 pba_020.036
Vgl. Aristoteles, Politic. VII, c. 5, 1340a 32: eti de ouk eoti tauta (sc. pba_020.037
ta skhemata) omoiomata ton ethon, alla semeia mallon ta gignomena skhe- pba_020.038
mata kai khromata ton ethon. kai taut' estin epi tou somatos en pba_020.039
tois pathesin.

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ὕλῃ καὶ τρόποις μιμήσεως διαφέρουσι, τέλος δ'ἀμφοτέροις \̔εν ὑπόκειται. pba_020.002
„Jm Material und in der Art der Nachahmung unterscheiden pba_020.003
sich die Künste, das Ziel aber, welches sie verfolgen, pba_020.004
ist beiden gemeinsam!

pba_020.005
Welches ist nun aber dieses gemeinschaftliche Ziel? Welches ist der pba_020.006
Gegenstand
oder sind die Gegenstände der Nachahmung in den pba_020.007
Künsten? Darauf geben Lessings Sätze für die Malerei direkt gar keine pba_020.008
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in ihren Gegenständen auf das einzige Gebiet der Handlungen pba_020.011
ein und lassen ihr nur die Möglichkeit andeutungsweise auch pba_020.012
Körper nachzuahmen, welche an sich gar nicht Gegenstände der pba_020.013
künstlerischen Nachahmung sind, sondern nur das Material, dessen sich pba_020.014
eine andere Kunst zu jener Nachahmung bedient.

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Gegenstand ihrer Nachahmung überhaupt nur andeuten! So wie pba_020.017
aus ihren Figuren und Farben eine Handlung nur erraten werden pba_020.018
kann, so ist auch in allen andern Fällen ihrer künstlerischen Ausübung pba_020.019
ihr Zweck nicht die Körper um ihrer selbst willen nachzuahmen — pba_020.020
sofern dieselben lediglich Gegenstände sind, die nebeneinander oder deren pba_020.021
Teile nebeneinander existieren —, sondern durch dieses Mittel einen pba_020.022
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auch in der Natur nur auf dieselbe Weise, durch die Zeichen der demselben pba_020.024
entsprechenden Formen und Farben, sich andeutend kundgibt.1

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Und nicht anders die Poesie! Sie, der nach der Natur ihrer pba_020.026
Mittel es am besten gelingt Fortschreitendes nachzuahmen, stellt ihre pba_020.027
äußeren Handlungen ebensowenig um ihrer selbst willen dar — sofern pba_020.028
dieselben nämlich lediglich eine Reihe äußerer Veränderungen, Gegenstände, pba_020.029
deren Teile aufeinander folgen, sind —, sondern in allen Fällen pba_020.030
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der bildenden Kunst, geistiger Natur. Diesen seelischen Jnhalt zur pba_020.033
Empfindung zu bringen ist das beiden Künsten gemeinsame Ziel, das pba_020.034
τέλος ἕν!

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Dieser Jnhalt kann nun zwar ebenfalls in einer „Handlung“

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Vgl. Aristoteles, Politic. VII, c. 5, 1340a 32: ἔτι δὲ οὐκ ἔότι ταῦτα (sc. pba_020.037
τὰ σχήματα) ὁμοιώματα τῶν ἠθῶν, ἀλλὰ σημεῖα μᾶλλον τὰ γιγνόμενα σχή- pba_020.038
ματα καὶ χρώματα τῶν ἠθῶν. καὶ ταῦτ' ἐστὶν ἐπὶ τοῦ σώματος ἐν pba_020.039
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[20/0038] pba_020.001 ὕλῃ καὶ τρόποις μιμήσεως διαφέρουσι, τέλος δ'ἀμφοτέροις \̔εν ὑπόκειται. pba_020.002 „Jm Material und in der Art der Nachahmung unterscheiden pba_020.003 sich die Künste, das Ziel aber, welches sie verfolgen, pba_020.004 ist beiden gemeinsam!“ pba_020.005 Welches ist nun aber dieses gemeinschaftliche Ziel? Welches ist der pba_020.006 Gegenstand oder sind die Gegenstände der Nachahmung in den pba_020.007 Künsten? Darauf geben Lessings Sätze für die Malerei direkt gar keine pba_020.008 Antwort; nur was die Malerei unter Umständen vermöge ihrer Mittel pba_020.009 andeuten könne, geben sie an; umgekehrt schränken sie die Poesie auch pba_020.010 in ihren Gegenständen auf das einzige Gebiet der Handlungen pba_020.011 ein und lassen ihr nur die Möglichkeit andeutungsweise auch pba_020.012 Körper nachzuahmen, welche an sich gar nicht Gegenstände der pba_020.013 künstlerischen Nachahmung sind, sondern nur das Material, dessen sich pba_020.014 eine andere Kunst zu jener Nachahmung bedient. pba_020.015 Denn die Malerei kann vermöge ihrer Mittel den eigentlichen pba_020.016 Gegenstand ihrer Nachahmung überhaupt nur andeuten! So wie pba_020.017 aus ihren Figuren und Farben eine Handlung nur erraten werden pba_020.018 kann, so ist auch in allen andern Fällen ihrer künstlerischen Ausübung pba_020.019 ihr Zweck nicht die Körper um ihrer selbst willen nachzuahmen — pba_020.020 sofern dieselben lediglich Gegenstände sind, die nebeneinander oder deren pba_020.021 Teile nebeneinander existieren —, sondern durch dieses Mittel einen pba_020.022 geistigen, seelischen Jnhalt nachahmend zur Darstellung zu bringen, welcher pba_020.023 auch in der Natur nur auf dieselbe Weise, durch die Zeichen der demselben pba_020.024 entsprechenden Formen und Farben, sich andeutend kundgibt. 1 pba_020.025 Und nicht anders die Poesie! Sie, der nach der Natur ihrer pba_020.026 Mittel es am besten gelingt Fortschreitendes nachzuahmen, stellt ihre pba_020.027 äußeren Handlungen ebensowenig um ihrer selbst willen dar — sofern pba_020.028 dieselben nämlich lediglich eine Reihe äußerer Veränderungen, Gegenstände, pba_020.029 deren Teile aufeinander folgen, sind —, sondern in allen Fällen pba_020.030 ist diese äußere Nachbildung nur das Material der Nachahmung pba_020.031 — die Hyle der Mimesis —; ihr eigentlicher Gegenstand ist, wie in pba_020.032 der bildenden Kunst, geistiger Natur. Diesen seelischen Jnhalt zur pba_020.033 Empfindung zu bringen ist das beiden Künsten gemeinsame Ziel, das pba_020.034 τέλος ἕν! pba_020.035 Dieser Jnhalt kann nun zwar ebenfalls in einer „Handlung“ 1 pba_020.036 Vgl. Aristoteles, Politic. VII, c. 5, 1340a 32: ἔτι δὲ οὐκ ἔότι ταῦτα (sc. pba_020.037 τὰ σχήματα) ὁμοιώματα τῶν ἠθῶν, ἀλλὰ σημεῖα μᾶλλον τὰ γιγνόμενα σχή- pba_020.038 ματα καὶ χρώματα τῶν ἠθῶν. καὶ ταῦτ' ἐστὶν ἐπὶ τοῦ σώματος ἐν pba_020.039 τοῖς πάθεσιν.

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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/38>, abgerufen am 21.11.2024.