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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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gegen die Komödie hin festzustellen und es ist weiter zu untersuchen, ob pba_352.002
für das so umschriebene Gebiet ein bestimmtes gemeinsames Prinzip pba_352.003
existiert, welches eine besondere, klar zu definierende Gattung konstituiert.

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Diejenigen sogenannten "Schauspiele", die an die Tragödie pba_352.005
zunächst angrenzen, werden nach den obigen Bestimmungen von der Art pba_352.006
der ethischen Tragödie sein, d. h. solcher, wo das die Befürchtungen pba_352.007
und mitleidigen Empfindungen erregende Schicksal zum überwiegenden pba_352.008
Teile durch die Gesinnungsweise des Handelnden bestimmt wird, ohne pba_352.009
dieselbe also eben gar kein tragisches Element in sich haben würde. pba_352.010
Hier sind nun wieder zwei Hauptfälle zu unterscheiden: daß nämlich pba_352.011
erstens die ethische Fehlerhaftigkeit des Handelnden ihre vollen Konsequenzen pba_352.012
nach sich zieht, diese Konsequenzen aber an sich nicht verderblicher pba_352.013
Natur
sind, sondern für einen Andern zwar wohl unerwünscht, pba_352.014
aber erträglich, für die Gesinnungsweise des Handelnden aber pba_352.015
derart, daß sie sein persönliches Glück zerstören. Man sieht, hier pba_352.016
liegt ein im strengen Sinne tragischer Fall nicht vor,
aber pba_352.017
der Fall nähert sich der wirklichen Tragödie so sehr, daß ihre Bedingungen pba_352.018
für alle diejenigen, welche sich völlig in die Gesinnungsweise pba_352.019
des Handelnden zu versetzen vermögen, allerdings pba_352.020
erfüllt werden.
Dieser Fall ist, als in einem klassischen pba_352.021
Musterbeispiel, in Goethes "Tasso" vertreten.

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Ähnlich liegt der Fall in Goethes "Götz", den der Dichter in pba_352.023
der späteren Bearbeitung gleichfalls "ein Schauspiel" nennt. Das tragische pba_352.024
Element des Stückes liegt in dem Widerstreit von Götzens Gesinnungs- pba_352.025
und Denkweise gegen die Bedingungen seiner Zeit, worin pba_352.026
Richtiges und Berechtigtes mit Unberechtigtem und Fehlerhaftem in pba_352.027
nahezu gleichen Teilen vermischt ist, der aber die Wirkung hat, sein pba_352.028
Leben zu einer ununterbrochenen Kette von Unglücksfällen und Mißerfolgen pba_352.029
zu gestalten. Wäre dieses Verhältnis in eine einzige entscheidende pba_352.030
Handlung zusammengedrängt, die aus demselben ein verderbliches Schicksal pba_352.031
hervorgehen ließe, so wie es z. B. unter im Uebrigen gänzlich verschiedenen pba_352.032
Umständen, aber mit ähnlichem Grundverhältnis zwischen dem pba_352.033
Ethos des Handelnden und seinem Schicksal, in Shakespeares pba_352.034
"Coriolan" geschieht, so läge der Stoff zu einer echten Tragödie vor. pba_352.035
Das geschieht aber nicht; Götz von Berlichingen stirbt eines natürlichen pba_352.036
Todes, freilich so, daß sein Lebensmut und seine Lebenshoffnung durch pba_352.037
eine lange Reihe einzelner Widerwärtigkeiten, die ihm von überall her pba_352.038
begegnen, gebrochen sind. Daß die Dichtung in den Nebenhandlungen pba_352.039
von tragischem Stoff überfüllt ist, ändert an der Thatsache nichts, daß pba_352.040
die tragische Decision und Energie der Haupthandlung mangelt.

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gegen die Komödie hin festzustellen und es ist weiter zu untersuchen, ob pba_352.002
für das so umschriebene Gebiet ein bestimmtes gemeinsames Prinzip pba_352.003
existiert, welches eine besondere, klar zu definierende Gattung konstituiert.

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Diejenigen sogenannten „Schauspiele“, die an die Tragödie pba_352.005
zunächst angrenzen, werden nach den obigen Bestimmungen von der Art pba_352.006
der ethischen Tragödie sein, d. h. solcher, wo das die Befürchtungen pba_352.007
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Natur
sind, sondern für einen Andern zwar wohl unerwünscht, pba_352.014
aber erträglich, für die Gesinnungsweise des Handelnden aber pba_352.015
derart, daß sie sein persönliches Glück zerstören. Man sieht, hier pba_352.016
liegt ein im strengen Sinne tragischer Fall nicht vor,
aber pba_352.017
der Fall nähert sich der wirklichen Tragödie so sehr, daß ihre Bedingungen pba_352.018
für alle diejenigen, welche sich völlig in die Gesinnungsweise pba_352.019
des Handelnden zu versetzen vermögen, allerdings pba_352.020
erfüllt werden.
Dieser Fall ist, als in einem klassischen pba_352.021
Musterbeispiel, in GoethesTasso“ vertreten.

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Ähnlich liegt der Fall in GoethesGötz“, den der Dichter in pba_352.023
der späteren Bearbeitung gleichfalls „ein Schauspiel“ nennt. Das tragische pba_352.024
Element des Stückes liegt in dem Widerstreit von Götzens Gesinnungs- pba_352.025
und Denkweise gegen die Bedingungen seiner Zeit, worin pba_352.026
Richtiges und Berechtigtes mit Unberechtigtem und Fehlerhaftem in pba_352.027
nahezu gleichen Teilen vermischt ist, der aber die Wirkung hat, sein pba_352.028
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zu gestalten. Wäre dieses Verhältnis in eine einzige entscheidende pba_352.030
Handlung zusammengedrängt, die aus demselben ein verderbliches Schicksal pba_352.031
hervorgehen ließe, so wie es z. B. unter im Uebrigen gänzlich verschiedenen pba_352.032
Umständen, aber mit ähnlichem Grundverhältnis zwischen dem pba_352.033
Ethos des Handelnden und seinem Schicksal, in Shakespeares pba_352.034
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Das geschieht aber nicht; Götz von Berlichingen stirbt eines natürlichen pba_352.036
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/370>, abgerufen am 25.11.2024.