Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

"Und doch sind die pathetischen Szenen der Esme¬
ralda einer gereiften ersten Liebhaberin würdig. Die
kann kein Neuling spielen!" sagte Tieck entschieden --
und so studirte ich schweren Herzens im Eckhause des
Altmarktes die Esmeralda ein. Der alte Dramaturg
hatte einmal für den "Glöckner" Partei ergriffen, ging
mit allen Hauptpersonen die Rollen durch, wohnte den
Proben pünktlich bei und hatte wunderbarer Weise mit
seinem Enthusiasmus die Kollegen angesteckt. Pauli
schwärmte für Quasimodo, Weimar deklamirte enthu¬
siastisch den Frollo, Mlle. Feldheim jammerte und fluchte
als Gervaise aus ihrem Kerkerloch zum Steinerbarmen
herauf. Die Volksßenen wurden sorgfältig eingeübt,
glänzende neue Dekorationen und charakteristische Kostüme
angeschafft ... Kurz, der Glöckner wurde auf's Beste in
Scene gesetzt.

An einem Sonntage, bei brechend vollem Hause,
fand die erste -- einzige Vorstellung des "Glöckner von
Notre-Dame" statt. Zu Anfang machte sich die Geschichte
ganz hübsch, mein Tanz wurde mit Beifall aufgenommen
... aber gleich darauf, als die unglückselige Gervaise aus
ihrem Mauseloch von Kerker zu jammern, stöhnen, fluchen
anfängt und ihre wilden Verwünschungen in's Lampen¬
licht hinauf schleudert -- da begann unsere hochnoth¬
peinliche Tortur -- man lachte! Und so ging es cres¬
cendo
fort bis zum Schluß. Die berühmte Gruppe,
als Esmeralda Quasimodo den Krug reicht, erweckte
Heiterkeit wegen Pauli's vorgeschriebener gräßlicher Maske:

Erinnerungen etc. 27

»Und doch ſind die pathetiſchen Szenen der Esme¬
ralda einer gereiften erſten Liebhaberin würdig. Die
kann kein Neuling ſpielen!« ſagte Tieck entſchieden —
und ſo ſtudirte ich ſchweren Herzens im Eckhauſe des
Altmarktes die Esmeralda ein. Der alte Dramaturg
hatte einmal für den »Glöckner« Partei ergriffen, ging
mit allen Hauptperſonen die Rollen durch, wohnte den
Proben pünktlich bei und hatte wunderbarer Weiſe mit
ſeinem Enthuſiasmus die Kollegen angeſteckt. Pauli
ſchwärmte für Quaſimodo, Weimar deklamirte enthu¬
ſiaſtiſch den Frollo, Mlle. Feldheim jammerte und fluchte
als Gervaiſe aus ihrem Kerkerloch zum Steinerbarmen
herauf. Die Volksſzenen wurden ſorgfältig eingeübt,
glänzende neue Dekorationen und charakteriſtiſche Koſtüme
angeſchafft … Kurz, der Glöckner wurde auf's Beſte in
Scene geſetzt.

An einem Sonntage, bei brechend vollem Hauſe,
fand die erſte — einzige Vorſtellung des »Glöckner von
Notre-Dame« ſtatt. Zu Anfang machte ſich die Geſchichte
ganz hübſch, mein Tanz wurde mit Beifall aufgenommen
… aber gleich darauf, als die unglückſelige Gervaiſe aus
ihrem Mauſeloch von Kerker zu jammern, ſtöhnen, fluchen
anfängt und ihre wilden Verwünſchungen in's Lampen¬
licht hinauf ſchleudert — da begann unſere hochnoth¬
peinliche Tortur — man lachte! Und ſo ging es cres¬
cendo
fort bis zum Schluß. Die berühmte Gruppe,
als Esmeralda Quaſimodo den Krug reicht, erweckte
Heiterkeit wegen Pauli's vorgeſchriebener gräßlicher Maske:

Erinnerungen ꝛc. 27
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0445" n="417"/>
        <p>»Und doch &#x017F;ind die patheti&#x017F;chen Szenen der Esme¬<lb/>
ralda einer gereiften er&#x017F;ten Liebhaberin würdig. Die<lb/>
kann kein Neuling &#x017F;pielen!« &#x017F;agte Tieck ent&#x017F;chieden &#x2014;<lb/>
und &#x017F;o &#x017F;tudirte ich &#x017F;chweren Herzens im Eckhau&#x017F;e des<lb/>
Altmarktes die Esmeralda ein. Der alte Dramaturg<lb/>
hatte einmal für den »Glöckner« Partei ergriffen, ging<lb/>
mit allen Hauptper&#x017F;onen die Rollen durch, wohnte den<lb/>
Proben pünktlich bei und hatte wunderbarer Wei&#x017F;e mit<lb/>
&#x017F;einem Enthu&#x017F;iasmus die Kollegen ange&#x017F;teckt. Pauli<lb/>
&#x017F;chwärmte für Qua&#x017F;imodo, Weimar deklamirte enthu¬<lb/>
&#x017F;ia&#x017F;ti&#x017F;ch den Frollo, Mlle. Feldheim jammerte und fluchte<lb/>
als Gervai&#x017F;e aus ihrem Kerkerloch zum Steinerbarmen<lb/>
herauf. Die Volks&#x017F;zenen wurden &#x017F;orgfältig eingeübt,<lb/>
glänzende neue Dekorationen und charakteri&#x017F;ti&#x017F;che Ko&#x017F;tüme<lb/>
ange&#x017F;chafft &#x2026; Kurz, der Glöckner wurde auf's Be&#x017F;te in<lb/>
Scene ge&#x017F;etzt.</p><lb/>
        <p>An einem Sonntage, bei brechend vollem Hau&#x017F;e,<lb/>
fand die er&#x017F;te &#x2014; einzige Vor&#x017F;tellung des »Glöckner von<lb/>
Notre-Dame« &#x017F;tatt. Zu Anfang machte &#x017F;ich die Ge&#x017F;chichte<lb/>
ganz hüb&#x017F;ch, mein Tanz wurde mit Beifall aufgenommen<lb/>
&#x2026; aber gleich darauf, als die unglück&#x017F;elige Gervai&#x017F;e aus<lb/>
ihrem Mau&#x017F;eloch von Kerker zu jammern, &#x017F;töhnen, fluchen<lb/>
anfängt und ihre wilden Verwün&#x017F;chungen in's Lampen¬<lb/>
licht hinauf &#x017F;chleudert &#x2014; da begann un&#x017F;ere hochnoth¬<lb/>
peinliche Tortur &#x2014; <hi rendition="#g">man lachte</hi>! Und &#x017F;o ging es <hi rendition="#aq">cres¬<lb/>
cendo</hi> fort bis zum Schluß. Die berühmte Gruppe,<lb/>
als Esmeralda Qua&#x017F;imodo den Krug reicht, erweckte<lb/>
Heiterkeit wegen Pauli's vorge&#x017F;chriebener gräßlicher Maske:<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Erinnerungen &#xA75B;c. 27<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[417/0445] »Und doch ſind die pathetiſchen Szenen der Esme¬ ralda einer gereiften erſten Liebhaberin würdig. Die kann kein Neuling ſpielen!« ſagte Tieck entſchieden — und ſo ſtudirte ich ſchweren Herzens im Eckhauſe des Altmarktes die Esmeralda ein. Der alte Dramaturg hatte einmal für den »Glöckner« Partei ergriffen, ging mit allen Hauptperſonen die Rollen durch, wohnte den Proben pünktlich bei und hatte wunderbarer Weiſe mit ſeinem Enthuſiasmus die Kollegen angeſteckt. Pauli ſchwärmte für Quaſimodo, Weimar deklamirte enthu¬ ſiaſtiſch den Frollo, Mlle. Feldheim jammerte und fluchte als Gervaiſe aus ihrem Kerkerloch zum Steinerbarmen herauf. Die Volksſzenen wurden ſorgfältig eingeübt, glänzende neue Dekorationen und charakteriſtiſche Koſtüme angeſchafft … Kurz, der Glöckner wurde auf's Beſte in Scene geſetzt. An einem Sonntage, bei brechend vollem Hauſe, fand die erſte — einzige Vorſtellung des »Glöckner von Notre-Dame« ſtatt. Zu Anfang machte ſich die Geſchichte ganz hübſch, mein Tanz wurde mit Beifall aufgenommen … aber gleich darauf, als die unglückſelige Gervaiſe aus ihrem Mauſeloch von Kerker zu jammern, ſtöhnen, fluchen anfängt und ihre wilden Verwünſchungen in's Lampen¬ licht hinauf ſchleudert — da begann unſere hochnoth¬ peinliche Tortur — man lachte! Und ſo ging es cres¬ cendo fort bis zum Schluß. Die berühmte Gruppe, als Esmeralda Quaſimodo den Krug reicht, erweckte Heiterkeit wegen Pauli's vorgeſchriebener gräßlicher Maske: Erinnerungen ꝛc. 27

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/445
Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/445>, abgerufen am 23.11.2024.