dem alten Dramaturgen große Ehre gemacht als Natalie. Aber Kind, wo gerathen wir und die Kunst hin, wenn Kleist's Meisterwerk kalt, gleichgültig läßt, langweilt -- und gehaltlose, effekthascherige Stücke wie "Guttenberg" Furore erregen?"
"Aber die Birch-Pfeiffer schreibt uns Komödianten gar prächtige Rollen, elle est du metier, Madame l'artiste -- und Sie werden sehen, daß auch die "Günst¬ linge" glänzend reussiren ..."
"Das will ich zur Ehre unseres Dresdener Publi¬ kums nicht hoffen! Denken Sie doch nur an diesen er¬ bärmlichen modernen Jason Mamanoff und an diese tolle Katharina II., welche die Stirn hat zu sagen: meine erste, einzige Liebe war Rußland ..."
"Und mich verdammen Sie, diese tolle Czarin zu spielen? Nein, meine erste, einzige Liebe ist nicht Rußland. Aber im Ernst, Herr Hofrath, bitte, entbinden Sie mich von der Rolle der Kaiserin. Mir fehlen wirklich die Bühnenmittel, im vierten Akt als weiblicher Dämon über die Bretter zu rasen. Was hilft da alle innere Leidenschaft, wenn Stimme und selbst das Mienenspiel mich im Stich lassen!"
"Der Intendant wünscht aber von Ihnen die Katha¬ rina gespielt, und ich muß ihm Recht geben, daß die ersten Akte wichtiger sind, und daß Sie für dieselben Alles besitzen: Anstand, Feinheit, Eleganz des Konver¬ sationstons, Mobilität und Intrigue für die spannende Billetßene mit Potemkin ..."
dem alten Dramaturgen große Ehre gemacht als Natalie. Aber Kind, wo gerathen wir und die Kunſt hin, wenn Kleiſt's Meiſterwerk kalt, gleichgültig läßt, langweilt — und gehaltloſe, effekthaſcherige Stücke wie »Guttenberg« Furore erregen?«
»Aber die Birch-Pfeiffer ſchreibt uns Komödianten gar prächtige Rollen, elle est du metier, Madame l'artiste — und Sie werden ſehen, daß auch die »Günſt¬ linge« glänzend reuſſiren …«
»Das will ich zur Ehre unſeres Dresdener Publi¬ kums nicht hoffen! Denken Sie doch nur an dieſen er¬ bärmlichen modernen Jaſon Mamanoff und an dieſe tolle Katharina II., welche die Stirn hat zu ſagen: meine erſte, einzige Liebe war Rußland …«
»Und mich verdammen Sie, dieſe tolle Czarin zu ſpielen? Nein, meine erſte, einzige Liebe iſt nicht Rußland. Aber im Ernſt, Herr Hofrath, bitte, entbinden Sie mich von der Rolle der Kaiſerin. Mir fehlen wirklich die Bühnenmittel, im vierten Akt als weiblicher Dämon über die Bretter zu raſen. Was hilft da alle innere Leidenſchaft, wenn Stimme und ſelbſt das Mienenſpiel mich im Stich laſſen!«
»Der Intendant wünſcht aber von Ihnen die Katha¬ rina geſpielt, und ich muß ihm Recht geben, daß die erſten Akte wichtiger ſind, und daß Sie für dieſelben Alles beſitzen: Anſtand, Feinheit, Eleganz des Konver¬ ſationstons, Mobilität und Intrigue für die ſpannende Billetſzene mit Potemkin …«
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dem alten Dramaturgen große Ehre gemacht als Natalie.
Aber Kind, wo gerathen wir und die Kunſt hin, wenn
Kleiſt's Meiſterwerk kalt, gleichgültig läßt, langweilt —
und gehaltloſe, effekthaſcherige Stücke wie »Guttenberg«
Furore erregen?«
»Aber die Birch-Pfeiffer ſchreibt uns Komödianten
gar prächtige Rollen, elle est du metier, Madame
l'artiste — und Sie werden ſehen, daß auch die »Günſt¬
linge« glänzend reuſſiren …«
»Das will ich zur Ehre unſeres Dresdener Publi¬
kums nicht hoffen! Denken Sie doch nur an dieſen er¬
bärmlichen modernen Jaſon Mamanoff und an dieſe
tolle Katharina II., welche die Stirn hat zu ſagen:
meine erſte, einzige Liebe war Rußland …«
»Und mich verdammen Sie, dieſe tolle Czarin zu
ſpielen? Nein, meine erſte, einzige Liebe iſt nicht Rußland.
Aber im Ernſt, Herr Hofrath, bitte, entbinden Sie
mich von der Rolle der Kaiſerin. Mir fehlen wirklich
die Bühnenmittel, im vierten Akt als weiblicher Dämon
über die Bretter zu raſen. Was hilft da alle innere
Leidenſchaft, wenn Stimme und ſelbſt das Mienenſpiel
mich im Stich laſſen!«
»Der Intendant wünſcht aber von Ihnen die Katha¬
rina geſpielt, und ich muß ihm Recht geben, daß die
erſten Akte wichtiger ſind, und daß Sie für dieſelben
Alles beſitzen: Anſtand, Feinheit, Eleganz des Konver¬
ſationstons, Mobilität und Intrigue für die ſpannende
Billetſzene mit Potemkin …«
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/443>, abgerufen am 22.11.2024.
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