Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

Deiner Gage so oft meine Lieutenantsschulden bezahlt
hast -- -- aber, ich fürchte, Richard-Qualen nie!"

Jeder Dresdener Bekannte, jeder gebildete Fremde
hatte Zutritt zu diesen halb öffentlichen Vorlesungen.
Ein Empfehlungsgruß, ja eine einfache Selbsteinführung
genügte, um von Tieck liebenswürdig empfangen zu
werden. Und kein durchpassirender Gelehrter, Kunst¬
freund, Neugieriger, Raritätenliebhaber versäumte es,
einen Vorleseabend bei Ludwig Tieck kennen zu lernen.
Der alte Romantiker wurde dabei halb und halb als
Sehenswürdigkeit Dresdens betrachtet. Zuletzt fragten
die Lohnbedienten und Fremdenführer der Hotels ganz
ungenirt Morgens bei Tieck's alter Dienerin an, ob am
Abende Vorlesung sei -- sie hätten so und so viel Fremde
hinzuführen. Und es that Tieck's lieber Eitelkeit wohl,
so aufgesucht und als Dresdener Sehenswürdigkeit an¬
geguckt zu werden.

Dabei war er aber unerbittlich pünktlich mit dem
Beginn seiner Vorlesungen. Mochten ihn die bedeutend¬
sten, vornehmsten Gäste in die interessantesten Gespräche
verflochten haben: -- Punct 7 Uhr gab er seinem
alten weiblichen Faktotum das Zeichen und das berühmte
Tischchen mit den Wachskerzen stand plötzlich in der
Mitte des Zimmers, Tieck dahinter ... Athemlose, bange
Stille im Zimmer: Was wird er heute lesen? Einen der
nervenzerrüttenden Heinriche? den furchtbaren Richard III.
oder gar seine geliebten Spanier: "Das öffentliche Ge¬
heimniß" oder "Der Richter von Zalamea"? Diese

Deiner Gage ſo oft meine Lieutenantsſchulden bezahlt
haſt — — aber, ich fürchte, Richard-Qualen nie!«

Jeder Dresdener Bekannte, jeder gebildete Fremde
hatte Zutritt zu dieſen halb öffentlichen Vorleſungen.
Ein Empfehlungsgruß, ja eine einfache Selbſteinführung
genügte, um von Tieck liebenswürdig empfangen zu
werden. Und kein durchpaſſirender Gelehrter, Kunſt¬
freund, Neugieriger, Raritätenliebhaber verſäumte es,
einen Vorleſeabend bei Ludwig Tieck kennen zu lernen.
Der alte Romantiker wurde dabei halb und halb als
Sehenswürdigkeit Dresdens betrachtet. Zuletzt fragten
die Lohnbedienten und Fremdenführer der Hotels ganz
ungenirt Morgens bei Tieck's alter Dienerin an, ob am
Abende Vorleſung ſei — ſie hätten ſo und ſo viel Fremde
hinzuführen. Und es that Tieck's lieber Eitelkeit wohl,
ſo aufgeſucht und als Dresdener Sehenswürdigkeit an¬
geguckt zu werden.

Dabei war er aber unerbittlich pünktlich mit dem
Beginn ſeiner Vorleſungen. Mochten ihn die bedeutend¬
ſten, vornehmſten Gäſte in die intereſſanteſten Geſpräche
verflochten haben: — Punct 7 Uhr gab er ſeinem
alten weiblichen Faktotum das Zeichen und das berühmte
Tiſchchen mit den Wachskerzen ſtand plötzlich in der
Mitte des Zimmers, Tieck dahinter … Athemloſe, bange
Stille im Zimmer: Was wird er heute leſen? Einen der
nervenzerrüttenden Heinriche? den furchtbaren Richard III.
oder gar ſeine geliebten Spanier: »Das öffentliche Ge¬
heimniß« oder »Der Richter von Zalamea«? Dieſe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0425" n="397"/>
Deiner Gage &#x017F;o oft meine Lieutenants&#x017F;chulden bezahlt<lb/>
ha&#x017F;t &#x2014; &#x2014; aber, ich fürchte, Richard-Qualen nie!«</p><lb/>
        <p>Jeder Dresdener Bekannte, jeder gebildete Fremde<lb/>
hatte Zutritt zu die&#x017F;en halb öffentlichen Vorle&#x017F;ungen.<lb/>
Ein Empfehlungsgruß, ja eine einfache Selb&#x017F;teinführung<lb/>
genügte, um von Tieck liebenswürdig empfangen zu<lb/>
werden. Und kein durchpa&#x017F;&#x017F;irender Gelehrter, Kun&#x017F;<lb/>
freund, Neugieriger, Raritätenliebhaber ver&#x017F;äumte es,<lb/>
einen Vorle&#x017F;eabend bei Ludwig Tieck kennen zu lernen.<lb/>
Der alte Romantiker wurde dabei halb und halb als<lb/>
Sehenswürdigkeit Dresdens betrachtet. Zuletzt fragten<lb/>
die Lohnbedienten und Fremdenführer der Hotels ganz<lb/>
ungenirt Morgens bei Tieck's alter Dienerin an, ob am<lb/>
Abende Vorle&#x017F;ung &#x017F;ei &#x2014; &#x017F;ie hätten &#x017F;o und &#x017F;o viel Fremde<lb/>
hinzuführen. Und es that Tieck's lieber Eitelkeit wohl,<lb/>
&#x017F;o aufge&#x017F;ucht und als Dresdener Sehenswürdigkeit an¬<lb/>
geguckt zu werden.</p><lb/>
        <p>Dabei war er aber unerbittlich pünktlich mit dem<lb/>
Beginn &#x017F;einer Vorle&#x017F;ungen. Mochten ihn die bedeutend¬<lb/>
&#x017F;ten, vornehm&#x017F;ten Gä&#x017F;te in die intere&#x017F;&#x017F;ante&#x017F;ten Ge&#x017F;präche<lb/>
verflochten haben: &#x2014; Punct 7 Uhr gab er &#x017F;einem<lb/>
alten weiblichen Faktotum das Zeichen und das berühmte<lb/>
Ti&#x017F;chchen mit den Wachskerzen &#x017F;tand plötzlich in der<lb/>
Mitte des Zimmers, Tieck dahinter &#x2026; Athemlo&#x017F;e, bange<lb/>
Stille im Zimmer: Was wird er heute le&#x017F;en? Einen der<lb/>
nervenzerrüttenden Heinriche? den furchtbaren Richard <hi rendition="#aq">III</hi>.<lb/>
oder gar &#x017F;eine geliebten Spanier: »Das öffentliche Ge¬<lb/>
heimniß« oder »Der Richter von Zalamea«? Die&#x017F;e<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[397/0425] Deiner Gage ſo oft meine Lieutenantsſchulden bezahlt haſt — — aber, ich fürchte, Richard-Qualen nie!« Jeder Dresdener Bekannte, jeder gebildete Fremde hatte Zutritt zu dieſen halb öffentlichen Vorleſungen. Ein Empfehlungsgruß, ja eine einfache Selbſteinführung genügte, um von Tieck liebenswürdig empfangen zu werden. Und kein durchpaſſirender Gelehrter, Kunſt¬ freund, Neugieriger, Raritätenliebhaber verſäumte es, einen Vorleſeabend bei Ludwig Tieck kennen zu lernen. Der alte Romantiker wurde dabei halb und halb als Sehenswürdigkeit Dresdens betrachtet. Zuletzt fragten die Lohnbedienten und Fremdenführer der Hotels ganz ungenirt Morgens bei Tieck's alter Dienerin an, ob am Abende Vorleſung ſei — ſie hätten ſo und ſo viel Fremde hinzuführen. Und es that Tieck's lieber Eitelkeit wohl, ſo aufgeſucht und als Dresdener Sehenswürdigkeit an¬ geguckt zu werden. Dabei war er aber unerbittlich pünktlich mit dem Beginn ſeiner Vorleſungen. Mochten ihn die bedeutend¬ ſten, vornehmſten Gäſte in die intereſſanteſten Geſpräche verflochten haben: — Punct 7 Uhr gab er ſeinem alten weiblichen Faktotum das Zeichen und das berühmte Tiſchchen mit den Wachskerzen ſtand plötzlich in der Mitte des Zimmers, Tieck dahinter … Athemloſe, bange Stille im Zimmer: Was wird er heute leſen? Einen der nervenzerrüttenden Heinriche? den furchtbaren Richard III. oder gar ſeine geliebten Spanier: »Das öffentliche Ge¬ heimniß« oder »Der Richter von Zalamea«? Dieſe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/425
Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/425>, abgerufen am 16.07.2024.