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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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ohne Schirm und thaten dem Auge weh. "Hierzu nun
noch ein Richard III. oder einer von den vielen Hein¬
richen -- und die Mutter ist trotz Maltitz's Kaffee-Extrakt
verloren!" Dieser Gedanke beunruhigte mich nicht wenig.

Endlich sollte ich aber aus dieser Unruhe erlöst
werden. Auf einen königlichen Wink Tieck's stellte die
Dienerin ein Tischchen mit zwei Wachskerzen in die Mitte
des Saals, gegenüber den drei großen, berühmten Vor¬
lesungs-Sophas. Noch ein wenig Stuhlrücken -- dann
lautlose, fast angstvolle Stille ... und aus dem Polster¬
sessel hinter den beiden Kerzen ertönte es:

"Prinz von Homburg, Trauerspiel von Heinrich v.
Kleist."

Es war fast, als ginge ein Athmen der Erleichterung
durch den Saal. Frau Rettich flüsterte mir zu: "Eine
glückliche Wahl -- das Stück ist nicht so furchtbar lang
und Tieck liest es herrlich vor." Die Hofräthin hatte
sich resignirt in ihren Sorgenstuhl zurückgelehnt und die
Augen geschlossen -- die Tüllrüschen strahlten -- mein
armes Mütterlein hatte ergeben die Hände über ihrem
Schnupftüchlein im Schooße gefaltet und schien ein letztes
Stoßgebetlein an den namenlosen Gott der Nerven zu
richten -- (die alten Heiden kannten ja noch keine Nerven)
-- und ich lauschte in athemloser Spannung.

Der Prinz von Homburg hatte mich stets ganz be¬
sonders gefesselt -- ergriffen. Es war zu meiner Ber¬
liner Zeit viel darüber gestritten: ob Homburg ein Held
sei -- oder das Gegentheil! Ich legte stets eine Lanze

ohne Schirm und thaten dem Auge weh. »Hierzu nun
noch ein Richard III. oder einer von den vielen Hein¬
richen — und die Mutter iſt trotz Maltitz's Kaffee-Extrakt
verloren!« Dieſer Gedanke beunruhigte mich nicht wenig.

Endlich ſollte ich aber aus dieſer Unruhe erlöſt
werden. Auf einen königlichen Wink Tieck's ſtellte die
Dienerin ein Tiſchchen mit zwei Wachskerzen in die Mitte
des Saals, gegenüber den drei großen, berühmten Vor¬
leſungs-Sophas. Noch ein wenig Stuhlrücken — dann
lautloſe, faſt angſtvolle Stille … und aus dem Polſter¬
ſeſſel hinter den beiden Kerzen ertönte es:

»Prinz von Homburg, Trauerſpiel von Heinrich v.
Kleiſt.«

Es war faſt, als ginge ein Athmen der Erleichterung
durch den Saal. Frau Rettich flüſterte mir zu: »Eine
glückliche Wahl — das Stück iſt nicht ſo furchtbar lang
und Tieck lieſt es herrlich vor.« Die Hofräthin hatte
ſich reſignirt in ihren Sorgenſtuhl zurückgelehnt und die
Augen geſchloſſen — die Tüllrüſchen ſtrahlten — mein
armes Mütterlein hatte ergeben die Hände über ihrem
Schnupftüchlein im Schooße gefaltet und ſchien ein letztes
Stoßgebetlein an den namenloſen Gott der Nerven zu
richten — (die alten Heiden kannten ja noch keine Nerven)
— und ich lauſchte in athemloſer Spannung.

Der Prinz von Homburg hatte mich ſtets ganz be¬
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liner Zeit viel darüber geſtritten: ob Homburg ein Held
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[377/0405] ohne Schirm und thaten dem Auge weh. »Hierzu nun noch ein Richard III. oder einer von den vielen Hein¬ richen — und die Mutter iſt trotz Maltitz's Kaffee-Extrakt verloren!« Dieſer Gedanke beunruhigte mich nicht wenig. Endlich ſollte ich aber aus dieſer Unruhe erlöſt werden. Auf einen königlichen Wink Tieck's ſtellte die Dienerin ein Tiſchchen mit zwei Wachskerzen in die Mitte des Saals, gegenüber den drei großen, berühmten Vor¬ leſungs-Sophas. Noch ein wenig Stuhlrücken — dann lautloſe, faſt angſtvolle Stille … und aus dem Polſter¬ ſeſſel hinter den beiden Kerzen ertönte es: »Prinz von Homburg, Trauerſpiel von Heinrich v. Kleiſt.« Es war faſt, als ginge ein Athmen der Erleichterung durch den Saal. Frau Rettich flüſterte mir zu: »Eine glückliche Wahl — das Stück iſt nicht ſo furchtbar lang und Tieck lieſt es herrlich vor.« Die Hofräthin hatte ſich reſignirt in ihren Sorgenſtuhl zurückgelehnt und die Augen geſchloſſen — die Tüllrüſchen ſtrahlten — mein armes Mütterlein hatte ergeben die Hände über ihrem Schnupftüchlein im Schooße gefaltet und ſchien ein letztes Stoßgebetlein an den namenloſen Gott der Nerven zu richten — (die alten Heiden kannten ja noch keine Nerven) — und ich lauſchte in athemloſer Spannung. Der Prinz von Homburg hatte mich ſtets ganz be¬ ſonders gefeſſelt — ergriffen. Es war zu meiner Ber¬ liner Zeit viel darüber geſtritten: ob Homburg ein Held ſei — oder das Gegentheil! Ich legte ſtets eine Lanze

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/405>, abgerufen am 25.11.2024.