wiederholte unerschütterlich in seiner gemüthlichen Mund¬ art: "Gewiß, lieber Herr, es will mer nix mehr ein¬ falle!" -- Da lachte Hebel recht herzlich und wir Jungen getrauten uns einzustimmen. Der Professor aber sagte gerührt: "Kinder, wem die alemannischen Gedichte ein¬ gefallen, der kann auf seinen Lorbern ruhen" -- und dem Dichter die Hand reichend, fügte er hinzu: "Und hätten Sie auch nur "Vergänglichkeit" geschrieben, theurer Freund!"
Mlle. Demmer, eine Schülerin Iffland's, welche sich in Manheim zur vortrefflichsten Künstlerin herange¬ bildet hatte, gab mir Stunden in der Deklamation. Sie mußte der Bühne im Zenith ihres Ruhmes Lebewohl sagen und wurde pensionirt, -- weil sie einige Mal während des Spielens plötzlich von einem Starrkrampf überfallen wurde ... Die Worte verhallten, und unbe¬ weglich, leeren Blickes starrte sie die entsetzten Zuschauer an! Ihr Bruder (auch in Manheim gebildet und ein geschätzter Künstler) stürzte leichenblaß aus der Coulisse und trug die Schwester fort. Einmal war ich Zeugin von dieser erschütternden Scene; sie erinnerte an den Aktschluß in der Jungfrau von Orleans, als alle Welt sich von Johanna wendet, sie allein dasteht (im 4. Akt) -- und der treue Raimond ihre Hand fassend sagt: "Ich will Euch führen." Ich konnte den Eindruck gar nicht los werden. Die Familie Demmer, Mutter, Bruder, Schwester, waren sehr liebe, achtungswerthe Menschen; sie lebten aber seit der Pensionirung ganz zurückgezogen.
wiederholte unerſchütterlich in ſeiner gemüthlichen Mund¬ art: »Gewiß, lieber Herr, es will mer nix mehr ein¬ falle!« — Da lachte Hebel recht herzlich und wir Jungen getrauten uns einzuſtimmen. Der Profeſſor aber ſagte gerührt: »Kinder, wem die alemanniſchen Gedichte ein¬ gefallen, der kann auf ſeinen Lorbern ruhen« — und dem Dichter die Hand reichend, fügte er hinzu: »Und hätten Sie auch nur »Vergänglichkeit« geſchrieben, theurer Freund!«
Mlle. Demmer, eine Schülerin Iffland's, welche ſich in Manheim zur vortrefflichſten Künſtlerin herange¬ bildet hatte, gab mir Stunden in der Deklamation. Sie mußte der Bühne im Zenith ihres Ruhmes Lebewohl ſagen und wurde penſionirt, — weil ſie einige Mal während des Spielens plötzlich von einem Starrkrampf überfallen wurde … Die Worte verhallten, und unbe¬ weglich, leeren Blickes ſtarrte ſie die entſetzten Zuſchauer an! Ihr Bruder (auch in Manheim gebildet und ein geſchätzter Künſtler) ſtürzte leichenblaß aus der Couliſſe und trug die Schweſter fort. Einmal war ich Zeugin von dieſer erſchütternden Scene; ſie erinnerte an den Aktſchluß in der Jungfrau von Orleans, als alle Welt ſich von Johanna wendet, ſie allein daſteht (im 4. Akt) — und der treue Raimond ihre Hand faſſend ſagt: »Ich will Euch führen.« Ich konnte den Eindruck gar nicht los werden. Die Familie Demmer, Mutter, Bruder, Schweſter, waren ſehr liebe, achtungswerthe Menſchen; ſie lebten aber ſeit der Penſionirung ganz zurückgezogen.
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wiederholte unerſchütterlich in ſeiner gemüthlichen Mund¬
art: »Gewiß, lieber Herr, es will mer nix mehr ein¬
falle!« — Da lachte Hebel recht herzlich und wir Jungen
getrauten uns einzuſtimmen. Der Profeſſor aber ſagte
gerührt: »Kinder, wem die alemanniſchen Gedichte ein¬
gefallen, der kann auf ſeinen Lorbern ruhen« — und
dem Dichter die Hand reichend, fügte er hinzu: »Und
hätten Sie auch nur »Vergänglichkeit« geſchrieben, theurer
Freund!«
Mlle. Demmer, eine Schülerin Iffland's, welche
ſich in Manheim zur vortrefflichſten Künſtlerin herange¬
bildet hatte, gab mir Stunden in der Deklamation. Sie
mußte der Bühne im Zenith ihres Ruhmes Lebewohl
ſagen und wurde penſionirt, — weil ſie einige Mal
während des Spielens plötzlich von einem Starrkrampf
überfallen wurde … Die Worte verhallten, und unbe¬
weglich, leeren Blickes ſtarrte ſie die entſetzten Zuſchauer
an! Ihr Bruder (auch in Manheim gebildet und ein
geſchätzter Künſtler) ſtürzte leichenblaß aus der Couliſſe
und trug die Schweſter fort. Einmal war ich Zeugin
von dieſer erſchütternden Scene; ſie erinnerte an den
Aktſchluß in der Jungfrau von Orleans, als alle Welt
ſich von Johanna wendet, ſie allein daſteht (im 4. Akt)
— und der treue Raimond ihre Hand faſſend ſagt: »Ich
will Euch führen.« Ich konnte den Eindruck gar nicht
los werden. Die Familie Demmer, Mutter, Bruder,
Schweſter, waren ſehr liebe, achtungswerthe Menſchen;
ſie lebten aber ſeit der Penſionirung ganz zurückgezogen.
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/37>, abgerufen am 22.11.2024.
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