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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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hübsche Peche gab die sentimentale Rolle mit warmen
Herzenstönen und rührender Naturwahrheit und sah als
arme Sergeantentochter in ihrem weißen, einfachen
Mousselinkleide liebreizend aus. Keine Hand rührte sich
-- ich sah nur Achselzucken und hörte wohl gar: "Wie
geschmacklos -- wie gewöhnlich -- deßwegen braucht
man nicht für sein schweres Geld in's Burgtheater zu
gehen -- solche Toiletten kann man alle Sonntage in
der Au und im Prater zu Hunderten sehen ..."

Ich war empört und zitterte vor Erregtheit. Die
Mutter hatte genug zu thun, meine Zunge zu zügeln.

Und dann trat Karoline Müller im zweiten Akt
auf -- und wurde rauschend -- anhaltend empfangen.
"Nun, sie hat gewiß eine große, schwere Rolle -- "
dachte ich bei mir.

Mais point du tout -- nichts von alledem --
nach einigen unbedeutenden Phrasen rauschte sie unter
dem jubelnden Applaus des ganzen Hauses wieder ab --
und das liebe Publikum ruhte nicht, bis sie wieder und
wieder sich präsentirte ... Und ich hörte meine Nach¬
barinnen, welche vorhin die arme Peche so scharf mitge¬
nommen hatten, in Ekstase einmal über das andere aus¬
rufen: "Charmant -- ja, Karoline Müller überstrahlt
doch alle Andern -- sie ist hinreißend -- welch' Erfin¬
bungstalent ..."

"Was hat sie denn erfunden?" fragte ich, noch immer
unschuldsvoll, meine Nachbarin -- "ihre Rolle ist doch
bis jetzt sehr unbedeutend ..."

hübſche Peche gab die ſentimentale Rolle mit warmen
Herzenstönen und rührender Naturwahrheit und ſah als
arme Sergeantentochter in ihrem weißen, einfachen
Mouſſelinkleide liebreizend aus. Keine Hand rührte ſich
— ich ſah nur Achſelzucken und hörte wohl gar: »Wie
geſchmacklos — wie gewöhnlich — deßwegen braucht
man nicht für ſein ſchweres Geld in's Burgtheater zu
gehen — ſolche Toiletten kann man alle Sonntage in
der Au und im Prater zu Hunderten ſehen …«

Ich war empört und zitterte vor Erregtheit. Die
Mutter hatte genug zu thun, meine Zunge zu zügeln.

Und dann trat Karoline Müller im zweiten Akt
auf — und wurde rauſchend — anhaltend empfangen.
»Nun, ſie hat gewiß eine große, ſchwere Rolle — «
dachte ich bei mir.

Mais point du tout — nichts von alledem —
nach einigen unbedeutenden Phraſen rauſchte ſie unter
dem jubelnden Applaus des ganzen Hauſes wieder ab —
und das liebe Publikum ruhte nicht, bis ſie wieder und
wieder ſich präſentirte … Und ich hörte meine Nach¬
barinnen, welche vorhin die arme Peche ſo ſcharf mitge¬
nommen hatten, in Ekſtaſe einmal über das andere aus¬
rufen: »Charmant — ja, Karoline Müller überſtrahlt
doch alle Andern — ſie iſt hinreißend — welch' Erfin¬
bungstalent …«

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[309/0337] hübſche Peche gab die ſentimentale Rolle mit warmen Herzenstönen und rührender Naturwahrheit und ſah als arme Sergeantentochter in ihrem weißen, einfachen Mouſſelinkleide liebreizend aus. Keine Hand rührte ſich — ich ſah nur Achſelzucken und hörte wohl gar: »Wie geſchmacklos — wie gewöhnlich — deßwegen braucht man nicht für ſein ſchweres Geld in's Burgtheater zu gehen — ſolche Toiletten kann man alle Sonntage in der Au und im Prater zu Hunderten ſehen …« Ich war empört und zitterte vor Erregtheit. Die Mutter hatte genug zu thun, meine Zunge zu zügeln. Und dann trat Karoline Müller im zweiten Akt auf — und wurde rauſchend — anhaltend empfangen. »Nun, ſie hat gewiß eine große, ſchwere Rolle — « dachte ich bei mir. Mais point du tout — nichts von alledem — nach einigen unbedeutenden Phraſen rauſchte ſie unter dem jubelnden Applaus des ganzen Hauſes wieder ab — und das liebe Publikum ruhte nicht, bis ſie wieder und wieder ſich präſentirte … Und ich hörte meine Nach¬ barinnen, welche vorhin die arme Peche ſo ſcharf mitge¬ nommen hatten, in Ekſtaſe einmal über das andere aus¬ rufen: »Charmant — ja, Karoline Müller überſtrahlt doch alle Andern — ſie iſt hinreißend — welch' Erfin¬ bungstalent …« »Was hat ſie denn erfunden?« fragte ich, noch immer unſchuldsvoll, meine Nachbarin — »ihre Rolle iſt doch bis jetzt ſehr unbedeutend …«

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/337>, abgerufen am 17.05.2024.