kaiserlich gesinnt und am Siege zweifelte Niemand. Nur in vertrauten Kreisen hörte man zuweilen fragen: "Wenn der Aufstand so leicht zu überwältigen ist, wie die Peters¬ burger Zeitungen schreiben -- wozu diese ungeheuren Truppenmassen nach Polen?" --
Von Mitau kamen auch alarmirende Gerüchte: in Lithauen sei es nicht geheuer. Und doch entschloß ich mich, auf Wunsch der Mitauer mit der Rigaer Truppe sechsmal bei ihnen aufzutreten. Aber schon nach der ersten Gastrolle war's vorbei, und auf allgemeinen Rath eilten wir zurück nach Riga. Man befürchtete in Mitau einen Ueberfall der Insurgenten, die sich schon nicht weit von der Stadt gezeigt haben sollten. Mitau war völlig wehr- und schutzlos. Die Edelleute trotz ihrer bekannten Bra¬ vour waren nicht zahlreich genug, die Vertheidigung der Stadt zu übernehmen. Unsere Rückreise glich einer Flucht.
Doch bald stellte es sich heraus, daß wir ganz ruhig hätten fortspielen können. Es war blinder Lärm ge¬ wesen. Der Durchmarsch eines gerühmten Petersburger Garderegiments durch Riga bleibt bei mir unvergeßlich. Dies Regiment hatte nur Rappen, und die höheren Offi¬ ziere besaßen deren 2-3, jedes im Preise von cira 2000 Silber-Rubeln. Kein Wunder, daß nach einigen Jahren Dienst bei der Garde die meisten Offiziere, Liv- und Kurländer, ihr Vermögen zugesetzt haben.
Wie wir dem Durchmarsche dieses Regiments zu¬ schauen, kommt athemlos ein Beamter der Krone, und ruft uns zu: "Viertausend polnische Soldaten sind bei
kaiſerlich geſinnt und am Siege zweifelte Niemand. Nur in vertrauten Kreiſen hörte man zuweilen fragen: »Wenn der Aufſtand ſo leicht zu überwältigen iſt, wie die Peters¬ burger Zeitungen ſchreiben — wozu dieſe ungeheuren Truppenmaſſen nach Polen?« —
Von Mitau kamen auch alarmirende Gerüchte: in Lithauen ſei es nicht geheuer. Und doch entſchloß ich mich, auf Wunſch der Mitauer mit der Rigaer Truppe ſechsmal bei ihnen aufzutreten. Aber ſchon nach der erſten Gaſtrolle war's vorbei, und auf allgemeinen Rath eilten wir zurück nach Riga. Man befürchtete in Mitau einen Ueberfall der Inſurgenten, die ſich ſchon nicht weit von der Stadt gezeigt haben ſollten. Mitau war völlig wehr- und ſchutzlos. Die Edelleute trotz ihrer bekannten Bra¬ vour waren nicht zahlreich genug, die Vertheidigung der Stadt zu übernehmen. Unſere Rückreiſe glich einer Flucht.
Doch bald ſtellte es ſich heraus, daß wir ganz ruhig hätten fortſpielen können. Es war blinder Lärm ge¬ weſen. Der Durchmarſch eines gerühmten Petersburger Garderegiments durch Riga bleibt bei mir unvergeßlich. Dies Regiment hatte nur Rappen, und die höheren Offi¬ ziere beſaßen deren 2-3, jedes im Preiſe von cira 2000 Silber-Rubeln. Kein Wunder, daß nach einigen Jahren Dienſt bei der Garde die meiſten Offiziere, Liv- und Kurländer, ihr Vermögen zugeſetzt haben.
Wie wir dem Durchmarſche dieſes Regiments zu¬ ſchauen, kommt athemlos ein Beamter der Krone, und ruft uns zu: »Viertauſend polniſche Soldaten ſind bei
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0216"n="188"/>
kaiſerlich geſinnt und am Siege zweifelte Niemand. Nur<lb/>
in vertrauten Kreiſen hörte man zuweilen fragen: »Wenn<lb/>
der Aufſtand ſo leicht zu überwältigen iſt, wie die Peters¬<lb/>
burger Zeitungen ſchreiben — wozu dieſe ungeheuren<lb/>
Truppenmaſſen nach Polen?« —</p><lb/><p>Von Mitau kamen auch alarmirende Gerüchte: in<lb/>
Lithauen ſei es nicht geheuer. Und doch entſchloß ich<lb/>
mich, auf Wunſch der Mitauer mit der Rigaer Truppe<lb/>ſechsmal bei ihnen aufzutreten. Aber ſchon nach der erſten<lb/>
Gaſtrolle war's vorbei, und auf allgemeinen Rath eilten<lb/>
wir zurück nach Riga. Man befürchtete in Mitau einen<lb/>
Ueberfall der Inſurgenten, die ſich ſchon nicht weit von<lb/>
der Stadt gezeigt haben ſollten. Mitau war völlig wehr-<lb/>
und ſchutzlos. Die Edelleute trotz ihrer bekannten Bra¬<lb/>
vour waren nicht zahlreich genug, die Vertheidigung der<lb/>
Stadt zu übernehmen. Unſere Rückreiſe glich einer Flucht.</p><lb/><p>Doch bald ſtellte es ſich heraus, daß wir ganz ruhig<lb/>
hätten fortſpielen können. Es war blinder Lärm ge¬<lb/>
weſen. Der Durchmarſch eines gerühmten Petersburger<lb/>
Garderegiments durch Riga bleibt bei mir unvergeßlich.<lb/>
Dies Regiment hatte nur Rappen, und die höheren Offi¬<lb/>
ziere beſaßen deren 2-3, jedes im Preiſe von cira<lb/>
2000 Silber-Rubeln. Kein Wunder, daß nach einigen<lb/>
Jahren Dienſt bei der Garde die meiſten Offiziere, Liv-<lb/>
und Kurländer, ihr Vermögen zugeſetzt haben.</p><lb/><p>Wie wir dem Durchmarſche dieſes Regiments zu¬<lb/>ſchauen, kommt athemlos ein Beamter der Krone, und<lb/>
ruft uns zu: »Viertauſend polniſche Soldaten ſind bei<lb/></p></div></body></text></TEI>
[188/0216]
kaiſerlich geſinnt und am Siege zweifelte Niemand. Nur
in vertrauten Kreiſen hörte man zuweilen fragen: »Wenn
der Aufſtand ſo leicht zu überwältigen iſt, wie die Peters¬
burger Zeitungen ſchreiben — wozu dieſe ungeheuren
Truppenmaſſen nach Polen?« —
Von Mitau kamen auch alarmirende Gerüchte: in
Lithauen ſei es nicht geheuer. Und doch entſchloß ich
mich, auf Wunſch der Mitauer mit der Rigaer Truppe
ſechsmal bei ihnen aufzutreten. Aber ſchon nach der erſten
Gaſtrolle war's vorbei, und auf allgemeinen Rath eilten
wir zurück nach Riga. Man befürchtete in Mitau einen
Ueberfall der Inſurgenten, die ſich ſchon nicht weit von
der Stadt gezeigt haben ſollten. Mitau war völlig wehr-
und ſchutzlos. Die Edelleute trotz ihrer bekannten Bra¬
vour waren nicht zahlreich genug, die Vertheidigung der
Stadt zu übernehmen. Unſere Rückreiſe glich einer Flucht.
Doch bald ſtellte es ſich heraus, daß wir ganz ruhig
hätten fortſpielen können. Es war blinder Lärm ge¬
weſen. Der Durchmarſch eines gerühmten Petersburger
Garderegiments durch Riga bleibt bei mir unvergeßlich.
Dies Regiment hatte nur Rappen, und die höheren Offi¬
ziere beſaßen deren 2-3, jedes im Preiſe von cira
2000 Silber-Rubeln. Kein Wunder, daß nach einigen
Jahren Dienſt bei der Garde die meiſten Offiziere, Liv-
und Kurländer, ihr Vermögen zugeſetzt haben.
Wie wir dem Durchmarſche dieſes Regiments zu¬
ſchauen, kommt athemlos ein Beamter der Krone, und
ruft uns zu: »Viertauſend polniſche Soldaten ſind bei
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/216>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.