die seltene Eigenschaft besaß, die 103 deutschen Meilen schauerlicher, unchaussirter, aufgeweichter Wege bis Po¬ langen und die noch schauerlicheren 840 Werst grundlosen russischen Bodens bis Petersburg standhaft zu überwinden. Da durfte auch ein zuverlässiger und handfester Bedienter nicht fehlen, der unter Umständen den Muth hatte, ein paar schutzlose Frauen gegen deutsche Galanterien und gegen russische Kosaken, Zollbeamte, betrunkene Bauern und dergleichen Landstraßengewächse zu schützen.
Heute kostet eine Reise nach Petersburg 10 ... da¬ mals fast 100 Friedrichsd'or!
Und wie sieht es mit dem goldenen Lohn für ein solches Kunstmarthyrium aus? -- Die Bedingungen, unter denen heut ein Gastspiel oder ein Engagement in Petersburg abgeschlossen wird, sind 10 -- 20fach günstiger, als damals. Wenigstens in diesem Punkte lebt man heut im goldenen Zeitalter der Kunst. Das silberne ist in die vierziger Jahre gefallen. Ich hatte das eiserne durchzukämpfen.
Aber wie? ist denn die Kunst in diesen vierzig Jahren auch um das 10 -- 20fache gewachsen?
Wohl kaum ... aber das Virtuosenthum!
Heute ist die Gastspielreise eines ersten Kunstvirtuosen durch Rußland ein Triumphzug ... Damals war die Reise eines Künstlers ein Kreuzzug.
Und doch war jene Art zu reisen viel poetischer, als heute. Wenigstens für ein junges, fröhliches und muthiges Herz. Besonders denke ich noch heute mit Vergnügen zurück an die stillen, klaren Mondscheinnächte
die ſeltene Eigenſchaft beſaß, die 103 deutſchen Meilen ſchauerlicher, unchauſſirter, aufgeweichter Wege bis Po¬ langen und die noch ſchauerlicheren 840 Werſt grundloſen ruſſiſchen Bodens bis Petersburg ſtandhaft zu überwinden. Da durfte auch ein zuverläſſiger und handfeſter Bedienter nicht fehlen, der unter Umſtänden den Muth hatte, ein paar ſchutzloſe Frauen gegen deutſche Galanterien und gegen ruſſiſche Koſaken, Zollbeamte, betrunkene Bauern und dergleichen Landſtraßengewächſe zu ſchützen.
Heute koſtet eine Reiſe nach Petersburg 10 … da¬ mals faſt 100 Friedrichsd'or!
Und wie ſieht es mit dem goldenen Lohn für ein ſolches Kunſtmarthyrium aus? — Die Bedingungen, unter denen heut ein Gaſtſpiel oder ein Engagement in Petersburg abgeſchloſſen wird, ſind 10 — 20fach günſtiger, als damals. Wenigſtens in dieſem Punkte lebt man heut im goldenen Zeitalter der Kunſt. Das ſilberne iſt in die vierziger Jahre gefallen. Ich hatte das eiſerne durchzukämpfen.
Aber wie? iſt denn die Kunſt in dieſen vierzig Jahren auch um das 10 — 20fache gewachſen?
Wohl kaum … aber das Virtuoſenthum!
Heute iſt die Gaſtſpielreiſe eines erſten Kunſtvirtuoſen durch Rußland ein Triumphzug … Damals war die Reiſe eines Künſtlers ein Kreuzzug.
Und doch war jene Art zu reiſen viel poetiſcher, als heute. Wenigſtens für ein junges, fröhliches und muthiges Herz. Beſonders denke ich noch heute mit Vergnügen zurück an die ſtillen, klaren Mondſcheinnächte
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die ſeltene Eigenſchaft beſaß, die 103 deutſchen Meilen
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langen und die noch ſchauerlicheren 840 Werſt grundloſen
ruſſiſchen Bodens bis Petersburg ſtandhaft zu überwinden.
Da durfte auch ein zuverläſſiger und handfeſter Bedienter
nicht fehlen, der unter Umſtänden den Muth hatte, ein
paar ſchutzloſe Frauen gegen deutſche Galanterien und
gegen ruſſiſche Koſaken, Zollbeamte, betrunkene Bauern
und dergleichen Landſtraßengewächſe zu ſchützen.
Heute koſtet eine Reiſe nach Petersburg 10 … da¬
mals faſt 100 Friedrichsd'or!
Und wie ſieht es mit dem goldenen Lohn für ein
ſolches Kunſtmarthyrium aus? — Die Bedingungen, unter
denen heut ein Gaſtſpiel oder ein Engagement in Petersburg
abgeſchloſſen wird, ſind 10 — 20fach günſtiger, als damals.
Wenigſtens in dieſem Punkte lebt man heut im goldenen
Zeitalter der Kunſt. Das ſilberne iſt in die vierziger
Jahre gefallen. Ich hatte das eiſerne durchzukämpfen.
Aber wie? iſt denn die Kunſt in dieſen vierzig
Jahren auch um das 10 — 20fache gewachſen?
Wohl kaum … aber das Virtuoſenthum!
Heute iſt die Gaſtſpielreiſe eines erſten Kunſtvirtuoſen
durch Rußland ein Triumphzug … Damals war die
Reiſe eines Künſtlers ein Kreuzzug.
Und doch war jene Art zu reiſen viel poetiſcher,
als heute. Wenigſtens für ein junges, fröhliches und
muthiges Herz. Beſonders denke ich noch heute mit
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/204>, abgerufen am 22.11.2024.
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