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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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süße Liebesgeflüster in der Balkonßene aber klang ent¬
zückend. Als Julia die Verbannung Romeo's erfährt,
war ich hingerissen. Die gigantische Aufgabe der Gift¬
ßene löste sie meisterhaft -- Mitleid und Grauen er¬
regend.

Die Tragödie war mit großer Liebe einstudirt und
in Szene gesetzt. Die ausgezeichnetsten Künstler der Hof¬
bühne hatten die kleinsten Rollen übernommen. Ludwig
Devrient als Mercutio wirkte zauberisch belebend. Er
verstand es, diesen Mercutio, der schon im zweiten Akt
stirbt, zu einem der kostbarsten Edelsteine in seiner
Künstlerkrone zu gestalten. Jetzt erst begriff ich, wes¬
halb die Berliner stets herbeiströmten und nicht müde
wurden, ihre Lieblinge in Romeo und Julie zu bewun¬
dern. Das Karlsruher Publikum würde sicher bekehrt
worden sein und die holde Julia um Verzeihung gebeten
haben für das lieblose Urtheil: "Das schickt sich nicht!"

Madame Stich sah nicht jugendlich, aber schön und
blühend aus. Ihre ausdrucksvollen Züge eigneten sich zu
vollendeter Mimik, und der etwas zu große Mund sah
gar anmuthig beim Sprechen aus. Ihre Stimme hatte
einen seltenen Wohllaut und wußte sich im tragischen Effekt
zu einer erschütternden Energie des Tons zu steigern.


Andern Morgens, als ich mit der Mutter über die
vortreffliche Vorstellung sprach und bedauerte, den Empfeh¬
lungsbrief von Freundeshand während der Abwesenheit

ſüße Liebesgeflüſter in der Balkonſzene aber klang ent¬
zückend. Als Julia die Verbannung Romeo's erfährt,
war ich hingeriſſen. Die gigantiſche Aufgabe der Gift¬
ſzene löſte ſie meiſterhaft — Mitleid und Grauen er¬
regend.

Die Tragödie war mit großer Liebe einſtudirt und
in Szene geſetzt. Die ausgezeichnetſten Künſtler der Hof¬
bühne hatten die kleinſten Rollen übernommen. Ludwig
Devrient als Mercutio wirkte zauberiſch belebend. Er
verſtand es, dieſen Mercutio, der ſchon im zweiten Akt
ſtirbt, zu einem der koſtbarſten Edelſteine in ſeiner
Künſtlerkrone zu geſtalten. Jetzt erſt begriff ich, wes¬
halb die Berliner ſtets herbeiſtrömten und nicht müde
wurden, ihre Lieblinge in Romeo und Julie zu bewun¬
dern. Das Karlsruher Publikum würde ſicher bekehrt
worden ſein und die holde Julia um Verzeihung gebeten
haben für das liebloſe Urtheil: »Das ſchickt ſich nicht!«

Madame Stich ſah nicht jugendlich, aber ſchön und
blühend aus. Ihre ausdrucksvollen Züge eigneten ſich zu
vollendeter Mimik, und der etwas zu große Mund ſah
gar anmuthig beim Sprechen aus. Ihre Stimme hatte
einen ſeltenen Wohllaut und wußte ſich im tragiſchen Effekt
zu einer erſchütternden Energie des Tons zu ſteigern.


Andern Morgens, als ich mit der Mutter über die
vortreffliche Vorſtellung ſprach und bedauerte, den Empfeh¬
lungsbrief von Freundeshand während der Abweſenheit

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[166/0194] ſüße Liebesgeflüſter in der Balkonſzene aber klang ent¬ zückend. Als Julia die Verbannung Romeo's erfährt, war ich hingeriſſen. Die gigantiſche Aufgabe der Gift¬ ſzene löſte ſie meiſterhaft — Mitleid und Grauen er¬ regend. Die Tragödie war mit großer Liebe einſtudirt und in Szene geſetzt. Die ausgezeichnetſten Künſtler der Hof¬ bühne hatten die kleinſten Rollen übernommen. Ludwig Devrient als Mercutio wirkte zauberiſch belebend. Er verſtand es, dieſen Mercutio, der ſchon im zweiten Akt ſtirbt, zu einem der koſtbarſten Edelſteine in ſeiner Künſtlerkrone zu geſtalten. Jetzt erſt begriff ich, wes¬ halb die Berliner ſtets herbeiſtrömten und nicht müde wurden, ihre Lieblinge in Romeo und Julie zu bewun¬ dern. Das Karlsruher Publikum würde ſicher bekehrt worden ſein und die holde Julia um Verzeihung gebeten haben für das liebloſe Urtheil: »Das ſchickt ſich nicht!« Madame Stich ſah nicht jugendlich, aber ſchön und blühend aus. Ihre ausdrucksvollen Züge eigneten ſich zu vollendeter Mimik, und der etwas zu große Mund ſah gar anmuthig beim Sprechen aus. Ihre Stimme hatte einen ſeltenen Wohllaut und wußte ſich im tragiſchen Effekt zu einer erſchütternden Energie des Tons zu ſteigern. Andern Morgens, als ich mit der Mutter über die vortreffliche Vorſtellung ſprach und bedauerte, den Empfeh¬ lungsbrief von Freundeshand während der Abweſenheit

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/194>, abgerufen am 22.11.2024.