Antlitz des Verklärten ginge, das mir sagen sollte: "Dies mein Gruß aus dem Jenseits. Beruhige Dich, Geliebte -- Du verstehst mich ... wir sehen uns wieder ..."
"Da konnte ich weinen ..."
... Und kaum nach vier Jahren -- in den ersten Tagen des Januar 1833 -- trugen die Berliner Freunde auf ihren Schultern den größten Mimen unseres Jahr¬ hunderts hinaus zur letzten Ruhe -- unter dem kühlen Rasen des stillen, jetzt fast vergessenen französischen Kirchhofs vor dem Oranienburger Thore zu Berlin, wo auch Seydelmann liegt ... Ludwig Devrient!
Wie hatte Devrient danach gelechzt -- gerungen: sein Ideal einer Künstleraufgabe -- Shakespeare's "Richard den Dritten" in Berlin darstellen zu dürfen ... Endlich! endlich kam dieser heißersehnte Abend ... aber fast zu spät für den großen und doch in seinem Leben so wenig glücklichen Mann ... Noch nicht 48 Jahre alt, waren seine physischen Kräfte erschöpft ... weil ihm die mora¬ lische Lebenskraft gefehlt hatte. Nicht glücklich in seinen drei Ehen -- getrieben von einer fortwährenden inneren Unruhe, Unbefriedigtheit und Zerrissenheit, suchte er mit seinem Freunde, dem geistreichen, wunderlichen Kammer¬ gerichtsrath E. T. A. Hoffmann, Vergessenheit in der Weinstube von Lutter und Wegener ... oft -- zu oft -- zuletzt täglich ... Der Wein und andere scharfe Getränke zerrütteten seine empfindsamen, leicht erregten Nerven immer mehr ... Und als er den Richard mit dem Auf¬
Antlitz des Verklärten ginge, das mir ſagen ſollte: »Dies mein Gruß aus dem Jenſeits. Beruhige Dich, Geliebte — Du verſtehſt mich … wir ſehen uns wieder …«
»Da konnte ich weinen …«
… Und kaum nach vier Jahren — in den erſten Tagen des Januar 1833 — trugen die Berliner Freunde auf ihren Schultern den größten Mimen unſeres Jahr¬ hunderts hinaus zur letzten Ruhe — unter dem kühlen Raſen des ſtillen, jetzt faſt vergeſſenen franzöſiſchen Kirchhofs vor dem Oranienburger Thore zu Berlin, wo auch Seydelmann liegt … Ludwig Devrient!
Wie hatte Devrient danach gelechzt — gerungen: ſein Ideal einer Künſtleraufgabe — Shakeſpeare's »Richard den Dritten« in Berlin darſtellen zu dürfen … Endlich! endlich kam dieſer heißerſehnte Abend … aber faſt zu ſpät für den großen und doch in ſeinem Leben ſo wenig glücklichen Mann … Noch nicht 48 Jahre alt, waren ſeine phyſiſchen Kräfte erſchöpft … weil ihm die mora¬ liſche Lebenskraft gefehlt hatte. Nicht glücklich in ſeinen drei Ehen — getrieben von einer fortwährenden inneren Unruhe, Unbefriedigtheit und Zerriſſenheit, ſuchte er mit ſeinem Freunde, dem geiſtreichen, wunderlichen Kammer¬ gerichtsrath E. T. A. Hoffmann, Vergeſſenheit in der Weinſtube von Lutter und Wegener … oft — zu oft — zuletzt täglich … Der Wein und andere ſcharfe Getränke zerrütteten ſeine empfindſamen, leicht erregten Nerven immer mehr … Und als er den Richard mit dem Auf¬
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Antlitz des Verklärten ginge, das mir ſagen ſollte:
»Dies mein Gruß aus dem Jenſeits. Beruhige Dich,
Geliebte — Du verſtehſt mich … wir ſehen uns
wieder …«
»Da konnte ich weinen …«
… Und kaum nach vier Jahren — in den erſten
Tagen des Januar 1833 — trugen die Berliner Freunde
auf ihren Schultern den größten Mimen unſeres Jahr¬
hunderts hinaus zur letzten Ruhe — unter dem kühlen
Raſen des ſtillen, jetzt faſt vergeſſenen franzöſiſchen
Kirchhofs vor dem Oranienburger Thore zu Berlin, wo
auch Seydelmann liegt … Ludwig Devrient!
Wie hatte Devrient danach gelechzt — gerungen:
ſein Ideal einer Künſtleraufgabe — Shakeſpeare's »Richard
den Dritten« in Berlin darſtellen zu dürfen … Endlich!
endlich kam dieſer heißerſehnte Abend … aber faſt zu
ſpät für den großen und doch in ſeinem Leben ſo wenig
glücklichen Mann … Noch nicht 48 Jahre alt, waren
ſeine phyſiſchen Kräfte erſchöpft … weil ihm die mora¬
liſche Lebenskraft gefehlt hatte. Nicht glücklich in ſeinen
drei Ehen — getrieben von einer fortwährenden inneren
Unruhe, Unbefriedigtheit und Zerriſſenheit, ſuchte er mit
ſeinem Freunde, dem geiſtreichen, wunderlichen Kammer¬
gerichtsrath E. T. A. Hoffmann, Vergeſſenheit in der
Weinſtube von Lutter und Wegener … oft — zu oft —
zuletzt täglich … Der Wein und andere ſcharfe Getränke
zerrütteten ſeine empfindſamen, leicht erregten Nerven
immer mehr … Und als er den Richard mit dem Auf¬
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/152>, abgerufen am 22.11.2024.
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