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Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

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der Seelenleiden, wie Libri patris sacra ad purgationem
animae pertinebant, und häufig auch die Körperkrankheiten
in Verbindung der iatrike und mantike*) mit den Func-
tionen des katartes in Heilmittelkenntniss. Eine Kenntniss
freilich, die wie zum heilen und helfen, dann auch zum Schaden

auf den Rücken ausruhen und Huckepack tragen lassen, wie in Congo die
Wittwe die Seele ihres Verklärten auf den Schultern zu tragen hat, bis
durch das heilige Reinigungsbad des Priesters von der Last befreit. So
lange nicht eine Busse im Wehrgeld anerkannt war, oder noch in dem
apeniautismos eine Aussöhnung stattgehabt, lag die Blutrache als Pflicht
auf, da ohne solche überall die Folgen zu fürchten sein würden, nicht nur
persönlich, sondern auch für die übrigen Familienglieder (vielleicht selbst
den ganzen Stamm) in spätern Fällen von Krankheit und Tod. So wurden
(wie bei den Batta) in Guayana die Leichen aus Liebe gegessen, um sie
nicht den Würmern zu überlassen, im ehrenvollen Begräbniss der Kalantier
(bei Herodot) und das verbindet sich wieder mit liebevollster Enthaltung
in der Ahinsa, denn in der begrabenen Leiche würden sich Würmer er-
zeugen, die später, wenn die Nahrung aufgezehrt, den qualvollen Hungers-
tod sterben müssten. Um also diesen solchen zu ersparen, isst man lieber
die Leichen selbst, wozu Buddha als Vorbild dienen kann, wenn er seinen
eigenen Körper dem hungrigen Tiger überlässt. Dergleichen Vorstellungen
lassen sich nicht ohne Weiteres durch Gegenvorstellungen beseitigen, da
Indianer, wie Polynesier sich auf die Besuche im Jenseits berufen, wo
Alles leibhaftig gesehen, nicht nur mit poetischen Augen, wie von unseren
Dante's. In der naturgesunden Entwickelung des Staatslebens dagegen
stossen sich solche Auswüchse von selbst ab, sei es durch Vorträge, wie
die Römer mit Cartago (oder schon früher die Perser-Könige), sei es durch
einfache Erklärung des Stärkeren, dass es belieben möchte, solch' scheuss-
liche Gebräuche bei Seite zu lassen oder des Weiteren gewärtig zu sein.
*) Bei gewünschter Diagnose war die Vaterschaft des wahrsagenden
Gottes eine erfolgreiche Reclame für Aesculap. Wem die Medicin zu bitter
schmeckte, konnte das Recept, als Pille, hinunterschlucken (wie in Sene-
gambien) oder im Amulett tragen, gleich dem auf Stein geschnittenen
Namen des Serapis oder (in der Kindheit) die Lunulae und Bullae. Damit
nicht Gräten oder Knöchelchen bei lucullischen Mahlzeiten in der Kehle
stecken blieben, diente ein um den Hals getragener Zettel mit homerischen
Versen (Marc. Emp.), und bequemer noch sind die Sprüche in catonischer
Eleganz für Verrenkungen (luxum si quod est) oder, neben Ephesia
grammata, die Homer bereits bekannten epaoidai, um Blut der Wunden
zu stillen.
Bastian, Völkergedanke. 5

der Seelenleiden, wie Libri patris sacra ad purgationem
animae pertinebant, und häufig auch die Körperkrankheiten
in Verbindung der ἱατρική und μαντική*) mit den Func-
tionen des καταρτής in Heilmittelkenntniss. Eine Kenntniss
freilich, die wie zum heilen und helfen, dann auch zum Schaden

auf den Rücken ausruhen und Huckepack tragen lassen, wie in Congo die
Wittwe die Seele ihres Verklärten auf den Schultern zu tragen hat, bis
durch das heilige Reinigungsbad des Priesters von der Last befreit. So
lange nicht eine Busse im Wehrgeld anerkannt war, oder noch in dem
ἀπενιαυτισμος eine Aussöhnung stattgehabt, lag die Blutrache als Pflicht
auf, da ohne solche überall die Folgen zu fürchten sein würden, nicht nur
persönlich, sondern auch für die übrigen Familienglieder (vielleicht selbst
den ganzen Stamm) in spätern Fällen von Krankheit und Tod. So wurden
(wie bei den Batta) in Guayana die Leichen aus Liebe gegessen, um sie
nicht den Würmern zu überlassen, im ehrenvollen Begräbniss der Kalantier
(bei Herodot) und das verbindet sich wieder mit liebevollster Enthaltung
in der Ahinsa, denn in der begrabenen Leiche würden sich Würmer er-
zeugen, die später, wenn die Nahrung aufgezehrt, den qualvollen Hungers-
tod sterben müssten. Um also diesen solchen zu ersparen, isst man lieber
die Leichen selbst, wozu Buddha als Vorbild dienen kann, wenn er seinen
eigenen Körper dem hungrigen Tiger überlässt. Dergleichen Vorstellungen
lassen sich nicht ohne Weiteres durch Gegenvorstellungen beseitigen, da
Indianer, wie Polynesier sich auf die Besuche im Jenseits berufen, wo
Alles leibhaftig gesehen, nicht nur mit poetischen Augen, wie von unseren
Dante’s. In der naturgesunden Entwickelung des Staatslebens dagegen
stossen sich solche Auswüchse von selbst ab, sei es durch Vorträge, wie
die Römer mit Cartago (oder schon früher die Perser-Könige), sei es durch
einfache Erklärung des Stärkeren, dass es belieben möchte, solch’ scheuss-
liche Gebräuche bei Seite zu lassen oder des Weiteren gewärtig zu sein.
*) Bei gewünschter Diagnose war die Vaterschaft des wahrsagenden
Gottes eine erfolgreiche Reclame für Aesculap. Wem die Medicin zu bitter
schmeckte, konnte das Recept, als Pille, hinunterschlucken (wie in Sene-
gambien) oder im Amulett tragen, gleich dem auf Stein geschnittenen
Namen des Serapis oder (in der Kindheit) die Lunulae und Bullae. Damit
nicht Gräten oder Knöchelchen bei lucullischen Mahlzeiten in der Kehle
stecken blieben, diente ein um den Hals getragener Zettel mit homerischen
Versen (Marc. Emp.), und bequemer noch sind die Sprüche in catonischer
Eleganz für Verrenkungen (luxum si quod est) oder, neben Ἐφέσια
γράμματα, die Homer bereits bekannten ἐπαοιδαί, um Blut der Wunden
zu stillen.
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[65/0099] der Seelenleiden, wie Libri patris sacra ad purgationem animae pertinebant, und häufig auch die Körperkrankheiten in Verbindung der ἱατρική und μαντική *) mit den Func- tionen des καταρτής in Heilmittelkenntniss. Eine Kenntniss freilich, die wie zum heilen und helfen, dann auch zum Schaden † *) Bei gewünschter Diagnose war die Vaterschaft des wahrsagenden Gottes eine erfolgreiche Reclame für Aesculap. Wem die Medicin zu bitter schmeckte, konnte das Recept, als Pille, hinunterschlucken (wie in Sene- gambien) oder im Amulett tragen, gleich dem auf Stein geschnittenen Namen des Serapis oder (in der Kindheit) die Lunulae und Bullae. Damit nicht Gräten oder Knöchelchen bei lucullischen Mahlzeiten in der Kehle stecken blieben, diente ein um den Hals getragener Zettel mit homerischen Versen (Marc. Emp.), und bequemer noch sind die Sprüche in catonischer Eleganz für Verrenkungen (luxum si quod est) oder, neben Ἐφέσια γράμματα, die Homer bereits bekannten ἐπαοιδαί, um Blut der Wunden zu stillen. † auf den Rücken ausruhen und Huckepack tragen lassen, wie in Congo die Wittwe die Seele ihres Verklärten auf den Schultern zu tragen hat, bis durch das heilige Reinigungsbad des Priesters von der Last befreit. So lange nicht eine Busse im Wehrgeld anerkannt war, oder noch in dem ἀπενιαυτισμος eine Aussöhnung stattgehabt, lag die Blutrache als Pflicht auf, da ohne solche überall die Folgen zu fürchten sein würden, nicht nur persönlich, sondern auch für die übrigen Familienglieder (vielleicht selbst den ganzen Stamm) in spätern Fällen von Krankheit und Tod. So wurden (wie bei den Batta) in Guayana die Leichen aus Liebe gegessen, um sie nicht den Würmern zu überlassen, im ehrenvollen Begräbniss der Kalantier (bei Herodot) und das verbindet sich wieder mit liebevollster Enthaltung in der Ahinsa, denn in der begrabenen Leiche würden sich Würmer er- zeugen, die später, wenn die Nahrung aufgezehrt, den qualvollen Hungers- tod sterben müssten. Um also diesen solchen zu ersparen, isst man lieber die Leichen selbst, wozu Buddha als Vorbild dienen kann, wenn er seinen eigenen Körper dem hungrigen Tiger überlässt. Dergleichen Vorstellungen lassen sich nicht ohne Weiteres durch Gegenvorstellungen beseitigen, da Indianer, wie Polynesier sich auf die Besuche im Jenseits berufen, wo Alles leibhaftig gesehen, nicht nur mit poetischen Augen, wie von unseren Dante’s. In der naturgesunden Entwickelung des Staatslebens dagegen stossen sich solche Auswüchse von selbst ab, sei es durch Vorträge, wie die Römer mit Cartago (oder schon früher die Perser-Könige), sei es durch einfache Erklärung des Stärkeren, dass es belieben möchte, solch’ scheuss- liche Gebräuche bei Seite zu lassen oder des Weiteren gewärtig zu sein. Bastian, Völkergedanke. 5

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Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/99>, abgerufen am 22.11.2024.