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Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

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liche Normen zurückführen lässt, und so finden wir den
Griechen unter seinem heiteren Himmel von einer anderen
Götterwelt geistiger Schöpfungen umgeben, als den Scandi-
naver an nebliger Küste, anders die Mythologie des Inder
in wunderbaren Gestaltungen des Urwald, um diesen zu
entsprechen, und so, über weite Meeresflächen treibend, die
des Polynesier. Ueberall aber, wenn den Ablenkungen durch
die auf der Oberfläche schillernden Localfärbungen wider-
stehend, gelangt ein schärferes Vordringen der Analyse zu
gleichartigen Grundvorstellungen, und diese in ihren pri-
mären Elementargedanken, unter dem Gange des einwohnen-
den Entwicklungsgesetzes, festzustellen, für die religiösen
ebensowohl, wie für die rechtlichen und ästhetischen An-
schauungen, -- also diese Erforschung der in den gesellschaft-
lichen Denkschöpfungen manifestirten Wachsthumsgesetze
des Menschengeistes: das, wie gesagt, bildet die Aufgaben
der Ethnologie, um mitzuhelfen bei der Begründung einer
Wissenschaft von Menschen. Sie hat die unsichtbare Welt,
die den jedesmalig ethnischen Horizont umzieht, zu recon-
struiren, und da bei den Naturstämmen nicht auf das Rück-
bleiben dauernder Monumente, wie bei den günstiger ausgestat-
teten Culturvölkern gerechnet werden kann, da es sich in der
Mehrzahl der Fälle nur um Eintagsfliegen handelt, die
gehascht werden müssen, wie sie vorüberhuschen, ist keine
Zeit zu verlieren. Sind sie dahin gegangen, in Vernichtung
für immer, so klafft eine unausfüllbare Lücke und in ihr eine
bedenkliche Klippe für künftig erhoffbarer Erfolge, denn als
unerlässliche Vorbedingung ergiebt sich diejenige Vollständig-
keit, wie sie für Richtigstellung der Rechnungen in statisti-
scher Umschau von jeder Induction verlangt werden muss.

Sind Culturvölker allzu früh zu Grunde gegangen, so
bleibt die Aussicht, in späteren Ausgrabungen auf ihre
substanziellen Erzeugnisse zu kommen, und mit solchem
Material, was mangelhaft geblieben, ergänzend auszubauen;

liche Normen zurückführen lässt, und so finden wir den
Griechen unter seinem heiteren Himmel von einer anderen
Götterwelt geistiger Schöpfungen umgeben, als den Scandi-
naver an nebliger Küste, anders die Mythologie des Inder
in wunderbaren Gestaltungen des Urwald, um diesen zu
entsprechen, und so, über weite Meeresflächen treibend, die
des Polynesier. Ueberall aber, wenn den Ablenkungen durch
die auf der Oberfläche schillernden Localfärbungen wider-
stehend, gelangt ein schärferes Vordringen der Analyse zu
gleichartigen Grundvorstellungen, und diese in ihren pri-
mären Elementargedanken, unter dem Gange des einwohnen-
den Entwicklungsgesetzes, festzustellen, für die religiösen
ebensowohl, wie für die rechtlichen und ästhetischen An-
schauungen, — also diese Erforschung der in den gesellschaft-
lichen Denkschöpfungen manifestirten Wachsthumsgesetze
des Menschengeistes: das, wie gesagt, bildet die Aufgaben
der Ethnologie, um mitzuhelfen bei der Begründung einer
Wissenschaft von Menschen. Sie hat die unsichtbare Welt,
die den jedesmalig ethnischen Horizont umzieht, zu recon-
struiren, und da bei den Naturstämmen nicht auf das Rück-
bleiben dauernder Monumente, wie bei den günstiger ausgestat-
teten Culturvölkern gerechnet werden kann, da es sich in der
Mehrzahl der Fälle nur um Eintagsfliegen handelt, die
gehascht werden müssen, wie sie vorüberhuschen, ist keine
Zeit zu verlieren. Sind sie dahin gegangen, in Vernichtung
für immer, so klafft eine unausfüllbare Lücke und in ihr eine
bedenkliche Klippe für künftig erhoffbarer Erfolge, denn als
unerlässliche Vorbedingung ergiebt sich diejenige Vollständig-
keit, wie sie für Richtigstellung der Rechnungen in statisti-
scher Umschau von jeder Induction verlangt werden muss.

Sind Culturvölker allzu früh zu Grunde gegangen, so
bleibt die Aussicht, in späteren Ausgrabungen auf ihre
substanziellen Erzeugnisse zu kommen, und mit solchem
Material, was mangelhaft geblieben, ergänzend auszubauen;

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[178/0212] liche Normen zurückführen lässt, und so finden wir den Griechen unter seinem heiteren Himmel von einer anderen Götterwelt geistiger Schöpfungen umgeben, als den Scandi- naver an nebliger Küste, anders die Mythologie des Inder in wunderbaren Gestaltungen des Urwald, um diesen zu entsprechen, und so, über weite Meeresflächen treibend, die des Polynesier. Ueberall aber, wenn den Ablenkungen durch die auf der Oberfläche schillernden Localfärbungen wider- stehend, gelangt ein schärferes Vordringen der Analyse zu gleichartigen Grundvorstellungen, und diese in ihren pri- mären Elementargedanken, unter dem Gange des einwohnen- den Entwicklungsgesetzes, festzustellen, für die religiösen ebensowohl, wie für die rechtlichen und ästhetischen An- schauungen, — also diese Erforschung der in den gesellschaft- lichen Denkschöpfungen manifestirten Wachsthumsgesetze des Menschengeistes: das, wie gesagt, bildet die Aufgaben der Ethnologie, um mitzuhelfen bei der Begründung einer Wissenschaft von Menschen. Sie hat die unsichtbare Welt, die den jedesmalig ethnischen Horizont umzieht, zu recon- struiren, und da bei den Naturstämmen nicht auf das Rück- bleiben dauernder Monumente, wie bei den günstiger ausgestat- teten Culturvölkern gerechnet werden kann, da es sich in der Mehrzahl der Fälle nur um Eintagsfliegen handelt, die gehascht werden müssen, wie sie vorüberhuschen, ist keine Zeit zu verlieren. Sind sie dahin gegangen, in Vernichtung für immer, so klafft eine unausfüllbare Lücke und in ihr eine bedenkliche Klippe für künftig erhoffbarer Erfolge, denn als unerlässliche Vorbedingung ergiebt sich diejenige Vollständig- keit, wie sie für Richtigstellung der Rechnungen in statisti- scher Umschau von jeder Induction verlangt werden muss. Sind Culturvölker allzu früh zu Grunde gegangen, so bleibt die Aussicht, in späteren Ausgrabungen auf ihre substanziellen Erzeugnisse zu kommen, und mit solchem Material, was mangelhaft geblieben, ergänzend auszubauen;

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Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/212>, abgerufen am 19.05.2024.