Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

ihr die Ethnologie jetzt das bisher mangelnde Material be-
schaffen. Sun Athena kai kheiras kinei!

Nur innerhalb von Raum und Zeit, und den relativ
dort gegebenen Verhältnissen, kann eigene Thätigkeit Klar-
heit des Gedankens erlangen, Einblick in Ursache und
Wirkung, Zweck, Entwicklungsphasen u. s. w. Wenn über
das Räumlich-Zeitliche hinaus, wir in das Ewig-Unendliche
des Entstehens eintreten, verschwinden, mit Anfang und
Ende, alle daran geknüpfte Folgerungen, und bleibt uns nur
ein Unbekanntes*), das in deutliche Rechnungen eingeführt,

Vorstellungen verschwindet der Einzelgedanke im Völkergedanken der
Gesellschaft, wie sich für das Gemeindewesen die "Volonte de tous" in
"Volonte generale" abzugleichen hat (im consensus gentium). Les idees
generales ne peuvent s'introduire dans l'esprit, qu'a l'aide des mots et
l'entendement ne les saisit que par des propositions. C'est une des raisons
pourquoi les animaux ne sauraient se former de telles idees ni jamais
acquerir la perfectabilite qui en depend (s. Rousseau). Die menschlicher
Wesenheit entsprechende Vorstellung, als auf sämmtlichen Sinnesauffassungen
basirend, setzt dann im Gehör zugleich das Verständniss des Gehörten voraus
(im sprachlichen Austausch).
*) Mit der Wissenschaft Zauberstab bleibt jenes Dunkel des Unbe-
kannten zu bezwingen, das polynesische Kosmologien bereits mehr und
mehr vor dem in der Schöpfung aufglänzenden Lichte zurückweichen lassen.
Omnibus enim innatum est, et in animo quasi insculptum, esse deos
(s. Cicero), wogegen (für die Buddhisten) die Wesen und Welten vom Nicht-
Anfang her in der Umwälzung des Entstehens und Vergehens begriffen,
und (nach der Sautrantika) die Welt als anfangslose zu setzen (bei "wahrer
Erkenntniss"). Deum se arbitrari esse animam mundi, quem Graeci vocant
kosmon, et hune ipsum mun dumesse deum (Varro bei August.). Im proarkhe
und propator gilt (gnostischer) Buthos als aion teleios, doch bei Epi-
menides schaffen aion und phusis, die Kinder des Zeus. Eis de on poluo-
nomos esti (Aristoteles). Sic vario cunctus te nomine convocat orbis
(deorum dearumque facies uniformis für Isis), und dann Nana's entmannter
Sohn, te phrugia glosse o Zeus (bei Psellus). Mieux vaut une bonne
legende, qu'une mauvaise explication scientifique (Lentheric). In mytho-
logischer Phantasienwelt träumt der Geist die Vorstadien des Denken's,
das bereits aus mancher der in phantasmagorischen Umrissen mit Farben-
tönen verklärten Wolke Blitze künftiger Wahrheiten hervorschiessen mag,
Bastian, Völkergedanke. 9

ihr die Ethnologie jetzt das bisher mangelnde Material be-
schaffen. Σὺν Αϑηνᾷ καὶ χεῖρας κίνει!

Nur innerhalb von Raum und Zeit, und den relativ
dort gegebenen Verhältnissen, kann eigene Thätigkeit Klar-
heit des Gedankens erlangen, Einblick in Ursache und
Wirkung, Zweck, Entwicklungsphasen u. s. w. Wenn über
das Räumlich-Zeitliche hinaus, wir in das Ewig-Unendliche
des Entstehens eintreten, verschwinden, mit Anfang und
Ende, alle daran geknüpfte Folgerungen, und bleibt uns nur
ein Unbekanntes*), das in deutliche Rechnungen eingeführt,

Vorstellungen verschwindet der Einzelgedanke im Völkergedanken der
Gesellschaft, wie sich für das Gemeindewesen die „Volonté de tous“ in
„Volonté générale“ abzugleichen hat (im consensus gentium). Les idées
générales ne peuvent s’introduire dans l’esprit, qu’à l’aide des mots et
l’entendement ne les saisit que par des propositions. C’est une des raisons
pourquoi les animaux ne sauraient se former de telles idées ni jamais
acquérir la perfectabilité qui en depend (s. Rousseau). Die menschlicher
Wesenheit entsprechende Vorstellung, als auf sämmtlichen Sinnesauffassungen
basirend, setzt dann im Gehör zugleich das Verständniss des Gehörten voraus
(im sprachlichen Austausch).
*) Mit der Wissenschaft Zauberstab bleibt jenes Dunkel des Unbe-
kannten zu bezwingen, das polynesische Kosmologien bereits mehr und
mehr vor dem in der Schöpfung aufglänzenden Lichte zurückweichen lassen.
Omnibus enim innatum est, et in animo quasi insculptum, esse deos
(s. Cicero), wogegen (für die Buddhisten) die Wesen und Welten vom Nicht-
Anfang her in der Umwälzung des Entstehens und Vergehens begriffen,
und (nach der Sautrantika) die Welt als anfangslose zu setzen (bei „wahrer
Erkenntniss“). Deum se arbitrari esse animam mundi, quem Graeci vocant
κόσμον, et hune ipsum mun dumesse deum (Varro bei August.). Im προάρχη
und προπάτωρ gilt (gnostischer) Βυϑος als αἰών τέλειος, doch bei Epi-
menides schaffen αἰών und φύσις, die Kinder des Zeus. Εῖς δὲ ὢν πολυῴ-
νομος ἐστί (Aristoteles). Sic vario cunctus te nomine convocat orbis
(deorum dearumque facies uniformis für Isis), und dann Nana’s entmannter
Sohn, τῇ φρυγίᾳ γλώσσῃ ὁ Ζεύς (bei Psellus). Mieux vaut une bonne
légende, qu’une mauvaise explication scientifique (Lenthéric). In mytho-
logischer Phantasienwelt träumt der Geist die Vorstadien des Denken’s,
das bereits aus mancher der in phantasmagorischen Umrissen mit Farben-
tönen verklärten Wolke Blitze künftiger Wahrheiten hervorschiessen mag,
Bastian, Völkergedanke. 9
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0163" n="129"/>
ihr die Ethnologie jetzt das bisher mangelnde Material be-<lb/>
schaffen. &#x03A3;&#x1F7A;&#x03BD; &#x0391;&#x03D1;&#x03B7;&#x03BD;&#x1FB7; &#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x03C7;&#x03B5;&#x1FD6;&#x03C1;&#x03B1;&#x03C2; &#x03BA;&#x03AF;&#x03BD;&#x03B5;&#x03B9;!</p><lb/>
        <p>Nur innerhalb von Raum und Zeit, und den relativ<lb/>
dort gegebenen Verhältnissen, kann eigene Thätigkeit Klar-<lb/>
heit des Gedankens erlangen, Einblick in Ursache und<lb/>
Wirkung, Zweck, Entwicklungsphasen u. s. w. Wenn über<lb/>
das Räumlich-Zeitliche hinaus, wir in das Ewig-Unendliche<lb/>
des Entstehens eintreten, verschwinden, mit Anfang und<lb/>
Ende, alle daran geknüpfte Folgerungen, und bleibt uns nur<lb/>
ein Unbekanntes<note xml:id="seg2pn_32_1" next="#seg2pn_32_2" place="foot" n="*)">Mit der Wissenschaft Zauberstab bleibt jenes Dunkel des Unbe-<lb/>
kannten zu bezwingen, das polynesische Kosmologien bereits mehr und<lb/>
mehr vor dem in der Schöpfung aufglänzenden Lichte zurückweichen lassen.<lb/>
Omnibus enim innatum est, et in animo quasi insculptum, esse deos<lb/>
(s. Cicero), wogegen (für die Buddhisten) die Wesen und Welten vom Nicht-<lb/>
Anfang her in der Umwälzung des Entstehens und Vergehens begriffen,<lb/>
und (nach der Sautrantika) die Welt als anfangslose zu setzen (bei &#x201E;wahrer<lb/>
Erkenntniss&#x201C;). Deum se arbitrari esse animam mundi, quem Graeci vocant<lb/>
&#x03BA;&#x03CC;&#x03C3;&#x03BC;&#x03BF;&#x03BD;, et hune ipsum mun dumesse deum (Varro bei August.). Im &#x03C0;&#x03C1;&#x03BF;&#x03AC;&#x03C1;&#x03C7;&#x03B7;<lb/>
und &#x03C0;&#x03C1;&#x03BF;&#x03C0;&#x03AC;&#x03C4;&#x03C9;&#x03C1; gilt (gnostischer) &#x0392;&#x03C5;&#x03D1;&#x03BF;&#x03C2; als &#x03B1;&#x1F30;&#x03CE;&#x03BD; &#x03C4;&#x03AD;&#x03BB;&#x03B5;&#x03B9;&#x03BF;&#x03C2;, doch bei Epi-<lb/>
menides schaffen &#x03B1;&#x1F30;&#x03CE;&#x03BD; und &#x03C6;&#x03CD;&#x03C3;&#x03B9;&#x03C2;, die Kinder des Zeus. &#x0395;&#x1FD6;&#x03C2; &#x03B4;&#x1F72; &#x1F62;&#x03BD; &#x03C0;&#x03BF;&#x03BB;&#x03C5;&#x1FF4;-<lb/>
&#x03BD;&#x03BF;&#x03BC;&#x03BF;&#x03C2; &#x1F10;&#x03C3;&#x03C4;&#x03AF; (Aristoteles). Sic vario cunctus te nomine convocat orbis<lb/>
(deorum dearumque facies uniformis für Isis), und dann Nana&#x2019;s entmannter<lb/>
Sohn, &#x03C4;&#x1FC7; &#x03C6;&#x03C1;&#x03C5;&#x03B3;&#x03AF;&#x1FB3; &#x03B3;&#x03BB;&#x03CE;&#x03C3;&#x03C3;&#x1FC3; &#x1F41; &#x0396;&#x03B5;&#x03CD;&#x03C2; (bei Psellus). Mieux vaut une bonne<lb/>
légende, qu&#x2019;une mauvaise explication scientifique (Lenthéric). In mytho-<lb/>
logischer Phantasienwelt träumt der Geist die Vorstadien des Denken&#x2019;s,<lb/>
das bereits aus mancher der in phantasmagorischen Umrissen mit Farben-<lb/>
tönen verklärten Wolke Blitze künftiger Wahrheiten hervorschiessen mag,</note>, das in deutliche Rechnungen eingeführt,<lb/><note xml:id="seg2pn_31_2" prev="#seg2pn_31_1" place="foot" n="**)">Vorstellungen verschwindet der Einzelgedanke im Völkergedanken der<lb/>
Gesellschaft, wie sich für das Gemeindewesen die &#x201E;Volonté de tous&#x201C; in<lb/>
&#x201E;Volonté générale&#x201C; abzugleichen hat (im consensus gentium). Les idées<lb/>
générales ne peuvent s&#x2019;introduire dans l&#x2019;esprit, qu&#x2019;à l&#x2019;aide des mots et<lb/>
l&#x2019;entendement ne les saisit que par des propositions. C&#x2019;est une des raisons<lb/>
pourquoi les animaux ne sauraient se former de telles idées ni jamais<lb/>
acquérir la perfectabilité qui en depend (s. Rousseau). Die menschlicher<lb/>
Wesenheit entsprechende Vorstellung, als auf sämmtlichen Sinnesauffassungen<lb/>
basirend, setzt dann im Gehör zugleich das Verständniss des Gehörten voraus<lb/>
(im sprachlichen Austausch).</note><lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Bastian</hi>, Völkergedanke. 9</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[129/0163] ihr die Ethnologie jetzt das bisher mangelnde Material be- schaffen. Σὺν Αϑηνᾷ καὶ χεῖρας κίνει! Nur innerhalb von Raum und Zeit, und den relativ dort gegebenen Verhältnissen, kann eigene Thätigkeit Klar- heit des Gedankens erlangen, Einblick in Ursache und Wirkung, Zweck, Entwicklungsphasen u. s. w. Wenn über das Räumlich-Zeitliche hinaus, wir in das Ewig-Unendliche des Entstehens eintreten, verschwinden, mit Anfang und Ende, alle daran geknüpfte Folgerungen, und bleibt uns nur ein Unbekanntes *), das in deutliche Rechnungen eingeführt, **) *) Mit der Wissenschaft Zauberstab bleibt jenes Dunkel des Unbe- kannten zu bezwingen, das polynesische Kosmologien bereits mehr und mehr vor dem in der Schöpfung aufglänzenden Lichte zurückweichen lassen. Omnibus enim innatum est, et in animo quasi insculptum, esse deos (s. Cicero), wogegen (für die Buddhisten) die Wesen und Welten vom Nicht- Anfang her in der Umwälzung des Entstehens und Vergehens begriffen, und (nach der Sautrantika) die Welt als anfangslose zu setzen (bei „wahrer Erkenntniss“). Deum se arbitrari esse animam mundi, quem Graeci vocant κόσμον, et hune ipsum mun dumesse deum (Varro bei August.). Im προάρχη und προπάτωρ gilt (gnostischer) Βυϑος als αἰών τέλειος, doch bei Epi- menides schaffen αἰών und φύσις, die Kinder des Zeus. Εῖς δὲ ὢν πολυῴ- νομος ἐστί (Aristoteles). Sic vario cunctus te nomine convocat orbis (deorum dearumque facies uniformis für Isis), und dann Nana’s entmannter Sohn, τῇ φρυγίᾳ γλώσσῃ ὁ Ζεύς (bei Psellus). Mieux vaut une bonne légende, qu’une mauvaise explication scientifique (Lenthéric). In mytho- logischer Phantasienwelt träumt der Geist die Vorstadien des Denken’s, das bereits aus mancher der in phantasmagorischen Umrissen mit Farben- tönen verklärten Wolke Blitze künftiger Wahrheiten hervorschiessen mag, **) Vorstellungen verschwindet der Einzelgedanke im Völkergedanken der Gesellschaft, wie sich für das Gemeindewesen die „Volonté de tous“ in „Volonté générale“ abzugleichen hat (im consensus gentium). Les idées générales ne peuvent s’introduire dans l’esprit, qu’à l’aide des mots et l’entendement ne les saisit que par des propositions. C’est une des raisons pourquoi les animaux ne sauraient se former de telles idées ni jamais acquérir la perfectabilité qui en depend (s. Rousseau). Die menschlicher Wesenheit entsprechende Vorstellung, als auf sämmtlichen Sinnesauffassungen basirend, setzt dann im Gehör zugleich das Verständniss des Gehörten voraus (im sprachlichen Austausch). Bastian, Völkergedanke. 9

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/163
Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/163>, abgerufen am 08.10.2024.