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Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

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das sich anfangs immer gleich im Anfang vordrängt, so weit
wie möglich aus dem Gesichtskreis hinauszuschieben, so
würde sie andererseits mit ihren eigenen Grundprinzipien
brechen durch hypothetische Erweiterung der Variationen
über den jedesmaligen Horizont gesicherter Thatsachen.

Wie unbewusst die Vorstellungen aufsteigen, so schaffen
sich die gesellschaftlichen Bedürfnisse, zunächst unbewusst,
ihre entsprechende Befriedigung, und an gegebenen Wende-
punkten krystallisirt dann ein System heraus, für die religiösen
Anschauungen ebensowohl, wie für rechtliche Institutionen.
Solch' stabile Anhaltpunkte*) werden periodisch für Stetigung
des Entwicklungsflusses verlangt, sie müssen indess im Fort-
gang desselben, wenn allmählig anachronistisch verknöchernd,
hemmende Schranken zwischenschieben, und manchmal steigert
sich dann der Widerspruch zwischen veraltenden Bestim-
mungen und dem thatsächlich in der Gegenwart Gegebenen

Porphyrius und spricht: "Der Götter Kinder heissen Fungi und Tubera,
darumb das sie on samen und nit wie andere leut geboren werden".
*) Für die (erblich) constant genommene Pflanzenform hat der
Begriff der Metamorphose (als normale oder aufsteigende) "nur eine bild-
liche Bedeutung, man überträgt die von dem Verstand vollzogene Abstraction
auf das Object selbst, indem man dieser eine Metamorphose zuschreibt, die
sich im Grunde genommen nur in unserm Begriff vollzogen hat" (in Göthe's
naturphilosophischer Auffassung einer idealen Grundform) wenn nicht anzu-
nehmen, "dass bei den Vorfahren der uns vorliegenden Pflanzenform die
Staubfäden gewöhnliche Blätter waren u. s. w." (Sachs), wodurch sich die
Descendenz dann von selbst widerlegte, da mit den Staubfäden als gewöhn-
lichen Blätter sich die Existenzbedingungen der Pflanzen dadurch aufheben
würden. "Rohe ungeklärte Sinneseindrücke wurden ebenso wie gelegent-
liche Einfälle, als Ideen, als Prinzipien betrachtet" (in der naturphiloso-
phischen Fortbildung der Metamorphosenlehre), "indem man die höchsten
Abstractionen mit der nachlässigsten und rohesten Empirie zum Theil
mit ganz unrichtigen Beobachtungen verband". Bei dem Fliessenden
der Erscheinungen in der Natur (und im Besondern im organischen Leben
für die Entwicklungsgeschichte) bezeichnete Nägeli "das natürliche System
als ein Fachwerk von Begriffen" (s. Sachs), gegenüber den platonischen
Ideen (bei den Systematikern der idealistischen Schule).

das sich anfangs immer gleich im Anfang vordrängt, so weit
wie möglich aus dem Gesichtskreis hinauszuschieben, so
würde sie andererseits mit ihren eigenen Grundprinzipien
brechen durch hypothetische Erweiterung der Variationen
über den jedesmaligen Horizont gesicherter Thatsachen.

Wie unbewusst die Vorstellungen aufsteigen, so schaffen
sich die gesellschaftlichen Bedürfnisse, zunächst unbewusst,
ihre entsprechende Befriedigung, und an gegebenen Wende-
punkten krystallisirt dann ein System heraus, für die religiösen
Anschauungen ebensowohl, wie für rechtliche Institutionen.
Solch’ stabile Anhaltpunkte*) werden periodisch für Stetigung
des Entwicklungsflusses verlangt, sie müssen indess im Fort-
gang desselben, wenn allmählig anachronistisch verknöchernd,
hemmende Schranken zwischenschieben, und manchmal steigert
sich dann der Widerspruch zwischen veraltenden Bestim-
mungen und dem thatsächlich in der Gegenwart Gegebenen

Porphyrius und spricht: „Der Götter Kinder heissen Fungi und Tubera,
darumb das sie on samen und nit wie andere leut geboren werden“.
*) Für die (erblich) constant genommene Pflanzenform hat der
Begriff der Metamorphose (als normale oder aufsteigende) „nur eine bild-
liche Bedeutung, man überträgt die von dem Verstand vollzogene Abstraction
auf das Object selbst, indem man dieser eine Metamorphose zuschreibt, die
sich im Grunde genommen nur in unserm Begriff vollzogen hat“ (in Göthe’s
naturphilosophischer Auffassung einer idealen Grundform) wenn nicht anzu-
nehmen, „dass bei den Vorfahren der uns vorliegenden Pflanzenform die
Staubfäden gewöhnliche Blätter waren u. s. w.“ (Sachs), wodurch sich die
Descendenz dann von selbst widerlegte, da mit den Staubfäden als gewöhn-
lichen Blätter sich die Existenzbedingungen der Pflanzen dadurch aufheben
würden. „Rohe ungeklärte Sinneseindrücke wurden ebenso wie gelegent-
liche Einfälle, als Ideen, als Prinzipien betrachtet“ (in der naturphiloso-
phischen Fortbildung der Metamorphosenlehre), „indem man die höchsten
Abstractionen mit der nachlässigsten und rohesten Empirie zum Theil
mit ganz unrichtigen Beobachtungen verband“. Bei dem Fliessenden
der Erscheinungen in der Natur (und im Besondern im organischen Leben
für die Entwicklungsgeschichte) bezeichnete Nägeli „das natürliche System
als ein Fachwerk von Begriffen“ (s. Sachs), gegenüber den platonischen
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[117/0151] das sich anfangs immer gleich im Anfang vordrängt, so weit wie möglich aus dem Gesichtskreis hinauszuschieben, so würde sie andererseits mit ihren eigenen Grundprinzipien brechen durch hypothetische Erweiterung der Variationen über den jedesmaligen Horizont gesicherter Thatsachen. Wie unbewusst die Vorstellungen aufsteigen, so schaffen sich die gesellschaftlichen Bedürfnisse, zunächst unbewusst, ihre entsprechende Befriedigung, und an gegebenen Wende- punkten krystallisirt dann ein System heraus, für die religiösen Anschauungen ebensowohl, wie für rechtliche Institutionen. Solch’ stabile Anhaltpunkte *) werden periodisch für Stetigung des Entwicklungsflusses verlangt, sie müssen indess im Fort- gang desselben, wenn allmählig anachronistisch verknöchernd, hemmende Schranken zwischenschieben, und manchmal steigert sich dann der Widerspruch zwischen veraltenden Bestim- mungen und dem thatsächlich in der Gegenwart Gegebenen **) *) Für die (erblich) constant genommene Pflanzenform hat der Begriff der Metamorphose (als normale oder aufsteigende) „nur eine bild- liche Bedeutung, man überträgt die von dem Verstand vollzogene Abstraction auf das Object selbst, indem man dieser eine Metamorphose zuschreibt, die sich im Grunde genommen nur in unserm Begriff vollzogen hat“ (in Göthe’s naturphilosophischer Auffassung einer idealen Grundform) wenn nicht anzu- nehmen, „dass bei den Vorfahren der uns vorliegenden Pflanzenform die Staubfäden gewöhnliche Blätter waren u. s. w.“ (Sachs), wodurch sich die Descendenz dann von selbst widerlegte, da mit den Staubfäden als gewöhn- lichen Blätter sich die Existenzbedingungen der Pflanzen dadurch aufheben würden. „Rohe ungeklärte Sinneseindrücke wurden ebenso wie gelegent- liche Einfälle, als Ideen, als Prinzipien betrachtet“ (in der naturphiloso- phischen Fortbildung der Metamorphosenlehre), „indem man die höchsten Abstractionen mit der nachlässigsten und rohesten Empirie zum Theil mit ganz unrichtigen Beobachtungen verband“. Bei dem Fliessenden der Erscheinungen in der Natur (und im Besondern im organischen Leben für die Entwicklungsgeschichte) bezeichnete Nägeli „das natürliche System als ein Fachwerk von Begriffen“ (s. Sachs), gegenüber den platonischen Ideen (bei den Systematikern der idealistischen Schule). **) Porphyrius und spricht: „Der Götter Kinder heissen Fungi und Tubera, darumb das sie on samen und nit wie andere leut geboren werden“.

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Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/151>, abgerufen am 19.05.2024.