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Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768].

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Die Sittenlehre

Vermittelst der wahren Freundschaft wird die
Menschenliebe mit gewisserer Wirkung und mit
grösserm Vergnügen ausgeübt, als wenn man ohne
besondre Freundschaft nur unbekannteren Menschen
zu dienen sucht, und von ihnen Gegendienste er-
wartet.

So lange zwey Personen den Willen haben,
sich einander so viel zu dienen, als die Meynung
von ihren Pflichten gegen Gott, das Vaterland,
ihre Familie und andre Freunde ihnen erlaubt; so
lange sind sie wahre Freunde.

Das Unvermögen zur Vergeltung der Dienste
macht auf der andern Seite die Dauer der wahren
Freundschaft schwer, und folglich unwahrscheinlich.

Wenn du dem, der dein Freund scheint, wahr-
haftige Dienste leistest, so nützen sie einem Men-
schen, und in diesem Falle ist nichts daran gelegen,
wenn er auch dein wahrer besonderer Freund nicht
seyn sollte.

Wenn die Stände der Freunde sehr verschie-
den werden; wenn ihr Schicksal sie oft und
weit von einander entfernt; wenn ein jeder die
Zahl seiner Freunde vermehrt, oder eine zahlreiche
Familie bekömmt, so bleibt entweder der Grad
oder die Wirkung der Freundschaft nicht so groß,
als vorher.

Die Gefälligkeit muß unter Freunden grösser
seyn, als unter andern; aber die Furcht, wegen

noth-
Die Sittenlehre

Vermittelſt der wahren Freundſchaft wird die
Menſchenliebe mit gewiſſerer Wirkung und mit
groͤſſerm Vergnuͤgen ausgeuͤbt, als wenn man ohne
beſondre Freundſchaft nur unbekannteren Menſchen
zu dienen ſucht, und von ihnen Gegendienſte er-
wartet.

So lange zwey Perſonen den Willen haben,
ſich einander ſo viel zu dienen, als die Meynung
von ihren Pflichten gegen Gott, das Vaterland,
ihre Familie und andre Freunde ihnen erlaubt; ſo
lange ſind ſie wahre Freunde.

Das Unvermoͤgen zur Vergeltung der Dienſte
macht auf der andern Seite die Dauer der wahren
Freundſchaft ſchwer, und folglich unwahrſcheinlich.

Wenn du dem, der dein Freund ſcheint, wahr-
haftige Dienſte leiſteſt, ſo nuͤtzen ſie einem Men-
ſchen, und in dieſem Falle iſt nichts daran gelegen,
wenn er auch dein wahrer beſonderer Freund nicht
ſeyn ſollte.

Wenn die Staͤnde der Freunde ſehr verſchie-
den werden; wenn ihr Schickſal ſie oft und
weit von einander entfernt; wenn ein jeder die
Zahl ſeiner Freunde vermehrt, oder eine zahlreiche
Familie bekoͤmmt, ſo bleibt entweder der Grad
oder die Wirkung der Freundſchaft nicht ſo groß,
als vorher.

Die Gefaͤlligkeit muß unter Freunden groͤſſer
ſeyn, als unter andern; aber die Furcht, wegen

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[106/0130] Die Sittenlehre Vermittelſt der wahren Freundſchaft wird die Menſchenliebe mit gewiſſerer Wirkung und mit groͤſſerm Vergnuͤgen ausgeuͤbt, als wenn man ohne beſondre Freundſchaft nur unbekannteren Menſchen zu dienen ſucht, und von ihnen Gegendienſte er- wartet. So lange zwey Perſonen den Willen haben, ſich einander ſo viel zu dienen, als die Meynung von ihren Pflichten gegen Gott, das Vaterland, ihre Familie und andre Freunde ihnen erlaubt; ſo lange ſind ſie wahre Freunde. Das Unvermoͤgen zur Vergeltung der Dienſte macht auf der andern Seite die Dauer der wahren Freundſchaft ſchwer, und folglich unwahrſcheinlich. Wenn du dem, der dein Freund ſcheint, wahr- haftige Dienſte leiſteſt, ſo nuͤtzen ſie einem Men- ſchen, und in dieſem Falle iſt nichts daran gelegen, wenn er auch dein wahrer beſonderer Freund nicht ſeyn ſollte. Wenn die Staͤnde der Freunde ſehr verſchie- den werden; wenn ihr Schickſal ſie oft und weit von einander entfernt; wenn ein jeder die Zahl ſeiner Freunde vermehrt, oder eine zahlreiche Familie bekoͤmmt, ſo bleibt entweder der Grad oder die Wirkung der Freundſchaft nicht ſo groß, als vorher. Die Gefaͤlligkeit muß unter Freunden groͤſſer ſeyn, als unter andern; aber die Furcht, wegen noth-

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Zitationshilfe: Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768], S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_weisheit_1768/130>, abgerufen am 28.04.2024.