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Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768].

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Die Sittenlehre

Ein Mensch, der nur wegen seiner Gabe des
Scherzes, und sonst wegen keiner guten Eigenschaft
gefällt, oder der aus Begierde zu scherzen, allezeit
den Anlaß versäumt, die bessern Seiten seines Ver-
standes und Herzens zu zeigen, ein solcher Lustig-
macher
wird von den vernünftigen Menschen nicht
geachtet. Sagt er im Scherze sogar Zoten und
Beleidigungen, so ist er ihnen ein Abscheu.

Der Scherz, welcher zugleich die Absicht hat,
Fehler und Laster lächerlich zu machen, heißt saty-
risch.
Er gefällt selten demjenigen, der solche
Fehler begangen hat, wenn sie nicht für klein gehal-
ten werden. Dieser Scherz, wenn er unvorsichtig
ist, stört manche Freundschaft und manches Glück,
und verursacht Haß und Rachbegierde. Uebe dich also
keinesweges in dieser so gefährlichen Kunst.

Affectire nicht, sonderbar oder Etwas zu schei-
nen, welches du nicht bist, und zu seyn nicht be-
darfst. Affectire nicht den Schein der hohen Ge-
burt, des Reichthums und der grossen Hoffnung;
den Schein grosser Leibesstärke und der Empfind-
lichkeit oder Weichlichkeit; den Schein, in vielen
fremden Ländern gewesen zn seyn, und viele Kün-
ste, Wissenschaften und Sprachen zu wissen; den
Schein der Erfahrung sonderbarer und gefährlicher
Begebenheiten; den Schein des Zorns und der
Rachbegierde; den Schein der Gunst bey dem
Frauenzimmer; den Schein wichtiger Geheimnisse

und
Die Sittenlehre

Ein Menſch, der nur wegen ſeiner Gabe des
Scherzes, und ſonſt wegen keiner guten Eigenſchaft
gefaͤllt, oder der aus Begierde zu ſcherzen, allezeit
den Anlaß verſaͤumt, die beſſern Seiten ſeines Ver-
ſtandes und Herzens zu zeigen, ein ſolcher Luſtig-
macher
wird von den vernuͤnftigen Menſchen nicht
geachtet. Sagt er im Scherze ſogar Zoten und
Beleidigungen, ſo iſt er ihnen ein Abſcheu.

Der Scherz, welcher zugleich die Abſicht hat,
Fehler und Laſter laͤcherlich zu machen, heißt ſaty-
riſch.
Er gefaͤllt ſelten demjenigen, der ſolche
Fehler begangen hat, wenn ſie nicht fuͤr klein gehal-
ten werden. Dieſer Scherz, wenn er unvorſichtig
iſt, ſtoͤrt manche Freundſchaft und manches Gluͤck,
und verurſacht Haß und Rachbegierde. Uebe dich alſo
keinesweges in dieſer ſo gefaͤhrlichen Kunſt.

Affectire nicht, ſonderbar oder Etwas zu ſchei-
nen, welches du nicht biſt, und zu ſeyn nicht be-
darfſt. Affectire nicht den Schein der hohen Ge-
burt, des Reichthums und der groſſen Hoffnung;
den Schein groſſer Leibesſtaͤrke und der Empfind-
lichkeit oder Weichlichkeit; den Schein, in vielen
fremden Laͤndern geweſen zn ſeyn, und viele Kuͤn-
ſte, Wiſſenſchaften und Sprachen zu wiſſen; den
Schein der Erfahrung ſonderbarer und gefaͤhrlicher
Begebenheiten; den Schein des Zorns und der
Rachbegierde; den Schein der Gunſt bey dem
Frauenzimmer; den Schein wichtiger Geheimniſſe

und
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[102/0126] Die Sittenlehre Ein Menſch, der nur wegen ſeiner Gabe des Scherzes, und ſonſt wegen keiner guten Eigenſchaft gefaͤllt, oder der aus Begierde zu ſcherzen, allezeit den Anlaß verſaͤumt, die beſſern Seiten ſeines Ver- ſtandes und Herzens zu zeigen, ein ſolcher Luſtig- macher wird von den vernuͤnftigen Menſchen nicht geachtet. Sagt er im Scherze ſogar Zoten und Beleidigungen, ſo iſt er ihnen ein Abſcheu. Der Scherz, welcher zugleich die Abſicht hat, Fehler und Laſter laͤcherlich zu machen, heißt ſaty- riſch. Er gefaͤllt ſelten demjenigen, der ſolche Fehler begangen hat, wenn ſie nicht fuͤr klein gehal- ten werden. Dieſer Scherz, wenn er unvorſichtig iſt, ſtoͤrt manche Freundſchaft und manches Gluͤck, und verurſacht Haß und Rachbegierde. Uebe dich alſo keinesweges in dieſer ſo gefaͤhrlichen Kunſt. Affectire nicht, ſonderbar oder Etwas zu ſchei- nen, welches du nicht biſt, und zu ſeyn nicht be- darfſt. Affectire nicht den Schein der hohen Ge- burt, des Reichthums und der groſſen Hoffnung; den Schein groſſer Leibesſtaͤrke und der Empfind- lichkeit oder Weichlichkeit; den Schein, in vielen fremden Laͤndern geweſen zn ſeyn, und viele Kuͤn- ſte, Wiſſenſchaften und Sprachen zu wiſſen; den Schein der Erfahrung ſonderbarer und gefaͤhrlicher Begebenheiten; den Schein des Zorns und der Rachbegierde; den Schein der Gunſt bey dem Frauenzimmer; den Schein wichtiger Geheimniſſe und

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Zitationshilfe: Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768], S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_weisheit_1768/126>, abgerufen am 27.04.2024.