Ueberzeugung der Lehrer in den Kadettenschulen. Nimmt man aber für Grolman und Boyen die Namen der Blücher und Clausewitz, die heute noch leben und in aller Munde sind, so wird von den vier Haupthelden des damaligen preussischen Heeres berichtet, dass sie in ärmlichen Verhält- nissen, ohne regelmässigen Unterricht aufgewachsen sind. Das mag für "idealistische" Offiziere nicht ausschlaggebend sein, aber charakteristisch ist es.
Gleich Scharnhorst. "Sein Vater war hannoverischer Dragonerwachtmeister gewesen. Er wuchs arm und ohne Unterricht auf" 98). Seine idee fixe war die Nationalmiliz, um die er die französische Revolution beneidete. Seine Re- formen hatten stets den "Krieg um die Freiheit" vor Augen. Die ganze Masse des Volkes bewaffnet, das war sein Traum. Wie konnte man sich dann formidabel machen! Er hasste die Franzosen. Weshalb wohl? Von Scharnhorst kam der Satz: "Hat die Vorsehung irgend eine neuere Einrichtung dem Menschen unmittelbar eingegeben, so ist es die Diszi- plin der stehenden Armee" 99). Da Scharnhorst aber gleich- zeitig für die allgemeine Wehrpflicht agitierte, ergibt sich als sein Ideal: der altpreussische miles perpetuus, der Sträf- ling, in nationaler Anwendung.
Gneisenau genoss "den geistig dürftigen abergläubischen Unterricht von Jesuiten und Franziskanern" 100). In der franzö- sischen Revolution sah er entzückt "die Entfesselung bisher gebundener Volkskräfte". Er war überzeugt, dass die allge- meine Wehrpflicht und die Teilnahme des Volkes am poli- tischen Leben sich "als selbstverständlich ergänzen würden", und trat, selbst gegen die Ansicht des Freiherrn von Stein, für die Abschaffung der Prügelstrafe ein, was er poetisch "Freiheit des Rückens" nannte 101). "Religion, Gebet, Liebe zum Regenten", schrieb er in einer Denkschrift an den König, "sind nichts anderes als Poesie. Auf Poesie ist die Sicherheit der Throne gegründet 102).
Auch den Gebhard Leberecht von Blücher begleitet die
Ueberzeugung der Lehrer in den Kadettenschulen. Nimmt man aber für Grolman und Boyen die Namen der Blücher und Clausewitz, die heute noch leben und in aller Munde sind, so wird von den vier Haupthelden des damaligen preussischen Heeres berichtet, dass sie in ärmlichen Verhält- nissen, ohne regelmässigen Unterricht aufgewachsen sind. Das mag für „idealistische“ Offiziere nicht ausschlaggebend sein, aber charakteristisch ist es.
Gleich Scharnhorst. „Sein Vater war hannoverischer Dragonerwachtmeister gewesen. Er wuchs arm und ohne Unterricht auf“ 98). Seine idée fixe war die Nationalmiliz, um die er die französische Revolution beneidete. Seine Re- formen hatten stets den „Krieg um die Freiheit“ vor Augen. Die ganze Masse des Volkes bewaffnet, das war sein Traum. Wie konnte man sich dann formidabel machen! Er hasste die Franzosen. Weshalb wohl? Von Scharnhorst kam der Satz: „Hat die Vorsehung irgend eine neuere Einrichtung dem Menschen unmittelbar eingegeben, so ist es die Diszi- plin der stehenden Armee“ 99). Da Scharnhorst aber gleich- zeitig für die allgemeine Wehrpflicht agitierte, ergibt sich als sein Ideal: der altpreussische miles perpetuus, der Sträf- ling, in nationaler Anwendung.
Gneisenau genoss „den geistig dürftigen abergläubischen Unterricht von Jesuiten und Franziskanern“ 100). In der franzö- sischen Revolution sah er entzückt „die Entfesselung bisher gebundener Volkskräfte“. Er war überzeugt, dass die allge- meine Wehrpflicht und die Teilnahme des Volkes am poli- tischen Leben sich „als selbstverständlich ergänzen würden“, und trat, selbst gegen die Ansicht des Freiherrn von Stein, für die Abschaffung der Prügelstrafe ein, was er poetisch „Freiheit des Rückens“ nannte 101). „Religion, Gebet, Liebe zum Regenten“, schrieb er in einer Denkschrift an den König, „sind nichts anderes als Poesie. Auf Poesie ist die Sicherheit der Throne gegründet 102).
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Ueberzeugung der Lehrer in den Kadettenschulen. Nimmt
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und Clausewitz, die heute noch leben und in aller Munde
sind, so wird von den vier Haupthelden des damaligen
preussischen Heeres berichtet, dass sie in ärmlichen Verhält-
nissen, ohne regelmässigen Unterricht aufgewachsen sind.
Das mag für „idealistische“ Offiziere nicht ausschlaggebend
sein, aber charakteristisch ist es.
Gleich Scharnhorst. „Sein Vater war hannoverischer
Dragonerwachtmeister gewesen. Er wuchs arm und ohne
Unterricht auf“
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. Seine idée fixe war die Nationalmiliz,
um die er die französische Revolution beneidete. Seine Re-
formen hatten stets den „Krieg um die Freiheit“ vor Augen.
Die ganze Masse des Volkes bewaffnet, das war sein Traum.
Wie konnte man sich dann formidabel machen! Er hasste
die Franzosen. Weshalb wohl? Von Scharnhorst kam der
Satz: „Hat die Vorsehung irgend eine neuere Einrichtung
dem Menschen unmittelbar eingegeben, so ist es die Diszi-
plin der stehenden Armee“
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. Da Scharnhorst aber gleich-
zeitig für die allgemeine Wehrpflicht agitierte, ergibt sich
als sein Ideal: der altpreussische miles perpetuus, der Sträf-
ling, in nationaler Anwendung.
Gneisenau genoss „den geistig dürftigen abergläubischen
Unterricht von Jesuiten und Franziskanern“
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. In der franzö-
sischen Revolution sah er entzückt „die Entfesselung bisher
gebundener Volkskräfte“. Er war überzeugt, dass die allge-
meine Wehrpflicht und die Teilnahme des Volkes am poli-
tischen Leben sich „als selbstverständlich ergänzen würden“,
und trat, selbst gegen die Ansicht des Freiherrn von Stein,
für die Abschaffung der Prügelstrafe ein, was er poetisch
„Freiheit des Rückens“ nannte
¹⁰¹⁾
. „Religion, Gebet, Liebe zum
Regenten“, schrieb er in einer Denkschrift an den König,
„sind nichts anderes als Poesie. Auf Poesie ist die Sicherheit
der Throne gegründet
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Auch den Gebhard Leberecht von Blücher begleitet die
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/97>, abgerufen am 23.07.2024.
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