geschehen, weil keiner mehr an die Ewigkeit denkt. "Was das Wort Majestät betrifft", sagt Guadet, "so darf man es ferner nur noch verwenden, wenn man von Gott und vom Volke spricht".
Selbstbestimmung, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: die himmlischen Worte überstürzten einander. Enthusiasmus und Freude erheben auf Riesenschultern Paris zur Haupt- stadt der Welt. Papst, Henker und Thron versinken im Dunkel. Denn siehe: euch wurde der Mitmensch geboren. "La vertu est un enthusiasme": Nichts mehr von leidendem Glauben, nichts mehr von Dogmen. Das Dogma ist tot; tot der pedantische Gott, der überm Sinai Dogmen erdacht hat. Mensch sein heisst tanzen und jubeln können: alle Geisteskräfte zugleich entströmen dem Körper.
Die Carmagnole heult und die Marseillaise grollt. Brennende Köpfe, schäumende Lippen. "Das Vaterland ist in Gefahr", sagt Brisson, "nicht weil es an Truppen fehlt, nein, weil man seine Kräfte gelähmt hat. Und wer hat sie gelähmt? Ein einziger Mann, gerade der, den die Verfassung zu ihrem Haupte und den treulose Ratgeber zu ihrem Feinde gemacht haben. Man sagt euch, fürchtet die Könige von Ungarn und Preussen, und ich sage, die Hauptmacht dieser Könige ist am Hofe, und da müssen wir sie zuerst besiegen. Man sagt euch, schlagt auf die widerspenstigen Priester im ganzen Königreiche, und ich sage, schlagt auf den Hof der Tuillerien, und ihr schlagt jene Priester mit einem ein- zigen Schlage. Man sagt euch, verfolgt alle Ränkeschmiede, alle Meuterer, alle Verschwörer; ich sage, diese verschwinden alle, wenn ihr auf das Kabinett der Tuillerien schlagt; denn dies Kabinett ist der Mittelpunkt, wo alle Fäden zu- sammenlaufen, wo alle Anschläge angezettelt werden, von wo jeder erste Anstoss kommt. Die Nation ist der Spielball dieses Kabinetts. Das ist das Geheimnis unserer Lage. Das ist die Quelle des Uebels. Das ist die Stelle, wo abgeholfen werden muss" 64).
geschehen, weil keiner mehr an die Ewigkeit denkt. „Was das Wort Majestät betrifft“, sagt Guadet, „so darf man es ferner nur noch verwenden, wenn man von Gott und vom Volke spricht“.
Selbstbestimmung, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: die himmlischen Worte überstürzten einander. Enthusiasmus und Freude erheben auf Riesenschultern Paris zur Haupt- stadt der Welt. Papst, Henker und Thron versinken im Dunkel. Denn siehe: euch wurde der Mitmensch geboren. „La vertu est un enthusiasme“: Nichts mehr von leidendem Glauben, nichts mehr von Dogmen. Das Dogma ist tot; tot der pedantische Gott, der überm Sinai Dogmen erdacht hat. Mensch sein heisst tanzen und jubeln können: alle Geisteskräfte zugleich entströmen dem Körper.
Die Carmagnole heult und die Marseillaise grollt. Brennende Köpfe, schäumende Lippen. „Das Vaterland ist in Gefahr“, sagt Brisson, „nicht weil es an Truppen fehlt, nein, weil man seine Kräfte gelähmt hat. Und wer hat sie gelähmt? Ein einziger Mann, gerade der, den die Verfassung zu ihrem Haupte und den treulose Ratgeber zu ihrem Feinde gemacht haben. Man sagt euch, fürchtet die Könige von Ungarn und Preussen, und ich sage, die Hauptmacht dieser Könige ist am Hofe, und da müssen wir sie zuerst besiegen. Man sagt euch, schlagt auf die widerspenstigen Priester im ganzen Königreiche, und ich sage, schlagt auf den Hof der Tuillerien, und ihr schlagt jene Priester mit einem ein- zigen Schlage. Man sagt euch, verfolgt alle Ränkeschmiede, alle Meuterer, alle Verschwörer; ich sage, diese verschwinden alle, wenn ihr auf das Kabinett der Tuillerien schlagt; denn dies Kabinett ist der Mittelpunkt, wo alle Fäden zu- sammenlaufen, wo alle Anschläge angezettelt werden, von wo jeder erste Anstoss kommt. Die Nation ist der Spielball dieses Kabinetts. Das ist das Geheimnis unserer Lage. Das ist die Quelle des Uebels. Das ist die Stelle, wo abgeholfen werden muss“ 64).
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geschehen, weil keiner mehr an die Ewigkeit denkt. „Was
das Wort Majestät betrifft“, sagt Guadet, „so darf man es
ferner nur noch verwenden, wenn man von Gott und vom
Volke spricht“.
Selbstbestimmung, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit:
die himmlischen Worte überstürzten einander. Enthusiasmus
und Freude erheben auf Riesenschultern Paris zur Haupt-
stadt der Welt. Papst, Henker und Thron versinken im
Dunkel. Denn siehe: euch wurde der Mitmensch geboren.
„La vertu est un enthusiasme“: Nichts mehr von leidendem
Glauben, nichts mehr von Dogmen. Das Dogma ist tot;
tot der pedantische Gott, der überm Sinai Dogmen erdacht
hat. Mensch sein heisst tanzen und jubeln können: alle
Geisteskräfte zugleich entströmen dem Körper.
Die Carmagnole heult und die Marseillaise grollt.
Brennende Köpfe, schäumende Lippen. „Das Vaterland ist
in Gefahr“, sagt Brisson, „nicht weil es an Truppen fehlt,
nein, weil man seine Kräfte gelähmt hat. Und wer hat sie
gelähmt? Ein einziger Mann, gerade der, den die Verfassung
zu ihrem Haupte und den treulose Ratgeber zu ihrem Feinde
gemacht haben. Man sagt euch, fürchtet die Könige von
Ungarn und Preussen, und ich sage, die Hauptmacht dieser
Könige ist am Hofe, und da müssen wir sie zuerst besiegen.
Man sagt euch, schlagt auf die widerspenstigen Priester im
ganzen Königreiche, und ich sage, schlagt auf den Hof
der Tuillerien, und ihr schlagt jene Priester mit einem ein-
zigen Schlage. Man sagt euch, verfolgt alle Ränkeschmiede,
alle Meuterer, alle Verschwörer; ich sage, diese verschwinden
alle, wenn ihr auf das Kabinett der Tuillerien schlagt;
denn dies Kabinett ist der Mittelpunkt, wo alle Fäden zu-
sammenlaufen, wo alle Anschläge angezettelt werden, von
wo jeder erste Anstoss kommt. Die Nation ist der Spielball
dieses Kabinetts. Das ist das Geheimnis unserer Lage. Das
ist die Quelle des Uebels. Das ist die Stelle, wo abgeholfen
werden muss“
⁶⁴⁾
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/84>, abgerufen am 21.11.2024.
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