Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

Bild:
<< vorherige Seite

Humanität damals verstand. In Deutschland bedeuten die
Worte nicht dasselbe wie anderswo. Die Religiosität des
sächsischen Oberhofpredigers Herder war naturgemäss der
Staatslutheranismus, die Humanität eine Art Verschwisterung
von Toleranz und Aufklärung, die man als eine schöngeistige
Pose in ernsthaften Fällen ohne gar grosse Bedenken auch
fallen lassen konnte. Man vernehme Fichte hierüber: "Diese
Zeitphilosophie war ... gar flach, kränklich und armselig
geworden, darbietend als ihr höchstes Gut eine gewisse
Humanität, Liberalität und Popularität ... Seit der französischen
Revolution sind die Lehren vom Menschenrechte und von der
Freiheit und ursprünglichen Gleichheit aller ... auch von
einigen der Unseren in der Hitze des Streites mit einem zu
grossen Akzente (!) behandelt worden" 52). Nur die abstrakte
Diktion der deutschen Begriffsphilosophie verhinderte, dass
man im Ausland die Rhetorik der klassischen Humanität nicht
früher durchschaute. Das Humanitätsideal war sehr theoretisch,
und gerade aus Fichtes Worten ersieht man, welche Schwen-
kung die hohen Begriffe von Freiheit, Menschheit und Recht
machten, als die Revolution sie aus der Theorie in die Praxis
zu übersetzen begann 53).

Beherrschung des vorgefundenen und vorhandenen
sinnlichen Seins! Man vergleiche damit, wie die französischen
Moralisten von Montaigne und Vauvenargues bis Laroche-
foucauld und Chamfort die vorhandenen Sinne und Interessen
durchdrangen und sublimierten! In Frankreich wird Huma-
nität das Wissen um Leib und Seele; in Deutschland zeigt
sich gelahrter Zirkel Importhumanismus. In Deutschland "das
Leben als Tat", in Frankreich "die Tat als das Leben". Der
"süsse mystische Opiumtraum unverstandener (!) Ideen und
Gefühle", von dem Herder an Hamann schreibt 54), kapituliert
gar rasch, wenn Herrscher, Interesse und Lage gebieten.

Hier ist es am Platze, von der deutschen Universalität
zu sprechen. Zu Zeiten der Würdepartei bestand auch die
Universalität nur im Beherrschen des vorgefundenen und vor-

Humanität damals verstand. In Deutschland bedeuten die
Worte nicht dasselbe wie anderswo. Die Religiosität des
sächsischen Oberhofpredigers Herder war naturgemäss der
Staatslutheranismus, die Humanität eine Art Verschwisterung
von Toleranz und Aufklärung, die man als eine schöngeistige
Pose in ernsthaften Fällen ohne gar grosse Bedenken auch
fallen lassen konnte. Man vernehme Fichte hierüber: „Diese
Zeitphilosophie war ... gar flach, kränklich und armselig
geworden, darbietend als ihr höchstes Gut eine gewisse
Humanität, Liberalität und Popularität ... Seit der französischen
Revolution sind die Lehren vom Menschenrechte und von der
Freiheit und ursprünglichen Gleichheit aller ... auch von
einigen der Unseren in der Hitze des Streites mit einem zu
grossen Akzente (!) behandelt worden“ 52). Nur die abstrakte
Diktion der deutschen Begriffsphilosophie verhinderte, dass
man im Ausland die Rhetorik der klassischen Humanität nicht
früher durchschaute. Das Humanitätsideal war sehr theoretisch,
und gerade aus Fichtes Worten ersieht man, welche Schwen-
kung die hohen Begriffe von Freiheit, Menschheit und Recht
machten, als die Revolution sie aus der Theorie in die Praxis
zu übersetzen begann 53).

Beherrschung des vorgefundenen und vorhandenen
sinnlichen Seins! Man vergleiche damit, wie die französischen
Moralisten von Montaigne und Vauvenargues bis Laroche-
foucauld und Chamfort die vorhandenen Sinne und Interessen
durchdrangen und sublimierten! In Frankreich wird Huma-
nität das Wissen um Leib und Seele; in Deutschland zeigt
sich gelahrter Zirkel Importhumanismus. In Deutschland „das
Leben als Tat“, in Frankreich „die Tat als das Leben“. Der
„süsse mystische Opiumtraum unverstandener (!) Ideen und
Gefühle“, von dem Herder an Hamann schreibt 54), kapituliert
gar rasch, wenn Herrscher, Interesse und Lage gebieten.

Hier ist es am Platze, von der deutschen Universalität
zu sprechen. Zu Zeiten der Würdepartei bestand auch die
Universalität nur im Beherrschen des vorgefundenen und vor-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0079" n="71"/>
Humanität damals verstand. In Deutschland bedeuten die<lb/>
Worte nicht dasselbe wie anderswo. Die Religiosität des<lb/>
sächsischen Oberhofpredigers Herder war naturgemäss der<lb/>
Staatslutheranismus, die Humanität eine Art Verschwisterung<lb/>
von Toleranz und Aufklärung, die man als eine schöngeistige<lb/>
Pose in ernsthaften Fällen ohne gar grosse Bedenken auch<lb/>
fallen lassen konnte. Man vernehme Fichte hierüber: &#x201E;Diese<lb/>
Zeitphilosophie war ... gar flach, kränklich und armselig<lb/>
geworden, darbietend als ihr höchstes Gut eine gewisse<lb/>
Humanität, Liberalität und Popularität ... Seit der französischen<lb/>
Revolution sind die Lehren vom Menschenrechte und von der<lb/>
Freiheit und ursprünglichen Gleichheit aller ... auch von<lb/>
einigen der Unseren in der Hitze des Streites mit einem zu<lb/>
grossen Akzente (!) behandelt worden&#x201C; <note xml:id="id52b" next="id52b52b" place="end" n="52)"/>. Nur die abstrakte<lb/>
Diktion der deutschen Begriffsphilosophie verhinderte, dass<lb/>
man im Ausland die Rhetorik der klassischen Humanität nicht<lb/>
früher durchschaute. Das Humanitätsideal war sehr theoretisch,<lb/>
und gerade aus Fichtes Worten ersieht man, welche Schwen-<lb/>
kung die hohen Begriffe von Freiheit, Menschheit und Recht<lb/>
machten, als die Revolution sie aus der Theorie in die Praxis<lb/>
zu übersetzen begann <note xml:id="id53b" next="id53b53b" place="end" n="53)"/>.</p><lb/>
          <p>Beherrschung des vorgefundenen und vorhandenen<lb/>
sinnlichen Seins! Man vergleiche damit, wie die französischen<lb/>
Moralisten von Montaigne und Vauvenargues bis Laroche-<lb/>
foucauld und Chamfort die vorhandenen Sinne und Interessen<lb/>
durchdrangen und sublimierten! In Frankreich wird Huma-<lb/>
nität das Wissen um Leib und Seele; in Deutschland zeigt<lb/>
sich gelahrter Zirkel Importhumanismus. In Deutschland &#x201E;das<lb/>
Leben als Tat&#x201C;, in Frankreich &#x201E;die Tat als das Leben&#x201C;. Der<lb/>
&#x201E;süsse mystische Opiumtraum unverstandener (!) Ideen und<lb/>
Gefühle&#x201C;, von dem Herder an Hamann schreibt <note xml:id="id54b" next="id54b54b" place="end" n="54)"/>, kapituliert<lb/>
gar rasch, wenn Herrscher, Interesse und Lage gebieten.</p><lb/>
          <p>Hier ist es am Platze, von der deutschen Universalität<lb/>
zu sprechen. Zu Zeiten der Würdepartei bestand auch die<lb/>
Universalität nur im Beherrschen des vorgefundenen und vor-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0079] Humanität damals verstand. In Deutschland bedeuten die Worte nicht dasselbe wie anderswo. Die Religiosität des sächsischen Oberhofpredigers Herder war naturgemäss der Staatslutheranismus, die Humanität eine Art Verschwisterung von Toleranz und Aufklärung, die man als eine schöngeistige Pose in ernsthaften Fällen ohne gar grosse Bedenken auch fallen lassen konnte. Man vernehme Fichte hierüber: „Diese Zeitphilosophie war ... gar flach, kränklich und armselig geworden, darbietend als ihr höchstes Gut eine gewisse Humanität, Liberalität und Popularität ... Seit der französischen Revolution sind die Lehren vom Menschenrechte und von der Freiheit und ursprünglichen Gleichheit aller ... auch von einigen der Unseren in der Hitze des Streites mit einem zu grossen Akzente (!) behandelt worden“ ⁵²⁾ . Nur die abstrakte Diktion der deutschen Begriffsphilosophie verhinderte, dass man im Ausland die Rhetorik der klassischen Humanität nicht früher durchschaute. Das Humanitätsideal war sehr theoretisch, und gerade aus Fichtes Worten ersieht man, welche Schwen- kung die hohen Begriffe von Freiheit, Menschheit und Recht machten, als die Revolution sie aus der Theorie in die Praxis zu übersetzen begann ⁵³⁾ . Beherrschung des vorgefundenen und vorhandenen sinnlichen Seins! Man vergleiche damit, wie die französischen Moralisten von Montaigne und Vauvenargues bis Laroche- foucauld und Chamfort die vorhandenen Sinne und Interessen durchdrangen und sublimierten! In Frankreich wird Huma- nität das Wissen um Leib und Seele; in Deutschland zeigt sich gelahrter Zirkel Importhumanismus. In Deutschland „das Leben als Tat“, in Frankreich „die Tat als das Leben“. Der „süsse mystische Opiumtraum unverstandener (!) Ideen und Gefühle“, von dem Herder an Hamann schreibt ⁵⁴⁾ , kapituliert gar rasch, wenn Herrscher, Interesse und Lage gebieten. Hier ist es am Platze, von der deutschen Universalität zu sprechen. Zu Zeiten der Würdepartei bestand auch die Universalität nur im Beherrschen des vorgefundenen und vor-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Schulz, Dienstleister (Muttersprachler): Bereitstellung der Texttranskription nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-02-17T09:20:45Z)
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-02-17T09:20:45Z)

Weitere Informationen:

  • Nach den Richtlinien des Deutschen Textarchivs (DTA) transkribiert und ausgezeichnet.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/79
Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/79>, abgerufen am 18.12.2024.