Es ist meine feste Ueberzeugung, dass der Sturz der preussisch-deutschen Willkürherrschaft, wie ihn Präsident Wilson in seiner berühmten Rede auf Mount Vernon po- stulierte, nicht genügen wird, die Welt vor einem ferneren deutschen Attentat -- das ja nicht nur in kriegerischen Aktionen zu bestehen braucht -- zu schützen. Es ist für den in Aussicht genommenen Völkerbund von der höchsten Wichtigkeit, sich die historische Stärke der vereitelten deut- schen Intrige, die moralische Erschöpfung eines Volkes, das tausend Jahre unter der furchtbarsten Theokratie ge- litten hat, vor Augen zu halten, wenn Heil und Versöh- nung wirklich erfolgen und auch garantiert sein sollen.
Um die deutsche Denkart in ihrem ganzen Relief her- vortreten zu lassen, suchte ich das Gegenbild aufzustellen, das kein anderes sein konnte, als ein konsequent christliches, wie es im Bewusstsein führender europäischer Geister seit hundert Jahren zu einer universalen Renaissance strebt. Und da ich den religiösen Despotismus für das Grab des deut- schen Gedankens hielt, versuchte ich, das neue Ideal aus- serhalb des Staates und der historischen Kirche in einer neuen Internationale der religiösen Intelligenz zu begründen. Es kennzeichnet die Freiheit, dass sie so wenig verwirk- licht werden kann, wie Gott zu verwirklichen ist. Es gibt keinen Gott ausser in der Freiheit, wie es keine Freiheit gibt ausser in Gott.
Bern, 24. Dezember 1918.
Hugo Ball
Es ist meine feste Ueberzeugung, dass der Sturz der preussisch-deutschen Willkürherrschaft, wie ihn Präsident Wilson in seiner berühmten Rede auf Mount Vernon po- stulierte, nicht genügen wird, die Welt vor einem ferneren deutschen Attentat — das ja nicht nur in kriegerischen Aktionen zu bestehen braucht — zu schützen. Es ist für den in Aussicht genommenen Völkerbund von der höchsten Wichtigkeit, sich die historische Stärke der vereitelten deut- schen Intrige, die moralische Erschöpfung eines Volkes, das tausend Jahre unter der furchtbarsten Theokratie ge- litten hat, vor Augen zu halten, wenn Heil und Versöh- nung wirklich erfolgen und auch garantiert sein sollen.
Um die deutsche Denkart in ihrem ganzen Relief her- vortreten zu lassen, suchte ich das Gegenbild aufzustellen, das kein anderes sein konnte, als ein konsequent christliches, wie es im Bewusstsein führender europäischer Geister seit hundert Jahren zu einer universalen Renaissance strebt. Und da ich den religiösen Despotismus für das Grab des deut- schen Gedankens hielt, versuchte ich, das neue Ideal aus- serhalb des Staates und der historischen Kirche in einer neuen Internationale der religiösen Intelligenz zu begründen. Es kennzeichnet die Freiheit, dass sie so wenig verwirk- licht werden kann, wie Gott zu verwirklichen ist. Es gibt keinen Gott ausser in der Freiheit, wie es keine Freiheit gibt ausser in Gott.
Bern, 24. Dezember 1918.
Hugo Ball
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[VI/0006]
Es ist meine feste Ueberzeugung, dass der Sturz der
preussisch-deutschen Willkürherrschaft, wie ihn Präsident
Wilson in seiner berühmten Rede auf Mount Vernon po-
stulierte, nicht genügen wird, die Welt vor einem ferneren
deutschen Attentat — das ja nicht nur in kriegerischen
Aktionen zu bestehen braucht — zu schützen. Es ist für
den in Aussicht genommenen Völkerbund von der höchsten
Wichtigkeit, sich die historische Stärke der vereitelten deut-
schen Intrige, die moralische Erschöpfung eines Volkes,
das tausend Jahre unter der furchtbarsten Theokratie ge-
litten hat, vor Augen zu halten, wenn Heil und Versöh-
nung wirklich erfolgen und auch garantiert sein sollen.
Um die deutsche Denkart in ihrem ganzen Relief her-
vortreten zu lassen, suchte ich das Gegenbild aufzustellen,
das kein anderes sein konnte, als ein konsequent christliches,
wie es im Bewusstsein führender europäischer Geister seit
hundert Jahren zu einer universalen Renaissance strebt. Und
da ich den religiösen Despotismus für das Grab des deut-
schen Gedankens hielt, versuchte ich, das neue Ideal aus-
serhalb des Staates und der historischen Kirche in einer
neuen Internationale der religiösen Intelligenz zu begründen.
Es kennzeichnet die Freiheit, dass sie so wenig verwirk-
licht werden kann, wie Gott zu verwirklichen ist. Es gibt
keinen Gott ausser in der Freiheit, wie es keine Freiheit
gibt ausser in Gott.
Bern, 24. Dezember 1918.
Hugo Ball
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/6>, abgerufen am 21.11.2024.
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