Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

Bild:
<< vorherige Seite
81) Ebendort, S. 253 (Nachtrag zu den Polit. Betrachtungen).
82) Es ist ein hartes Wort, das auch Schiller trifft. Er, wenn
einer, wäre als Ehrenbürger der Revolution gehalten gewesen,
die neuen Ideale postulativ in Prosaschriften zur Geltung zu bringen,
statt sie in versifizierter Racine-Nachfolge ästhetisch und dekorativ
zu entwerten. Aus der feudal-philantropischen Humanitätsschwär-
merei wäre ein reales Wissen um die Tatsache der Inhumanität
und Unfreiheit geworden, aus dem Allerweltshumanismus ein heil-
sames Eingeständnis der "Grenzen der Nation".
83) Siehe Tim Klein, "Der deutsche Soldat", Zeugnisse von
seinem wahren Wesen, 6.-10. Tausend, Franz Hanfstängel, Mün-
chen. Das Buch ist "Dem Andenken unserer Gefallenen gewidmet"
und beginnt mit Lessing- und Goethe-Zitaten.
84) Friedrich II., Brief an Voltaire, 27. Nov. 1773.
85) Wann werden preussische Offiziere zu Loyolas werden?
86) Brief Friedrich Wilhelms I. an Leopold von Anhalt-Dessau,
den "alten Dessauer", seinen Haupt-Exerzier- und Heermeister.
87) Zu den begnadigten Verbrechern kamen neugeworbene
und sogar mit Gewalt zusammengetriebene Söldner aus der Hefe
des Auslandes. Mehring ("Die Lessinglegende", Zur Geschichte des
preussischen Despotismus) teilt Aktenstücke mit, aus denen her-
vorgeht, dass die Werber Friedrich Wilhelms I. in den an Preussen
angrenzenden Ländern vogelfrei waren und erschlagen werden
durften, wo man ihrer habhaft werden konnte. Das preussische
Heer war eine Art Fremdenlegion im schlimmsten Sinne, den
die Schauerballade mit diesem Worte verbindet. "So fand ich eine
leere, wüste Stätte und versuchte, einen Bau darauf zu errichten",
schreibt Friedrich II. ("Zur Einführung in die Denkwürdigkeiten
zur Geschichte des Hauses Brandenburg.")
88) "Kritik der praktischen Vernunft." Kant fährt fort: "Wir
sind zwar gesetzgebende Glieder eines durch Freiheit möglichen,
durch praktische Vernunft uns zur Achtung vorgestellten Reichs
der Sitten, aber doch zugleich Untertanen, nicht das Oberhaupt
desselben,
und die Verkennung unserer niederen Stufe, als Geschöpfe,
und Weigerung des Eigendünkels gegen das Ansehen des heiligen
Gesetzes, ist schon eine Abtrünnigkeit von demselben dem Geiste
nach, wenn gleich der Buchstabe erfüllt wurde".
89) "Kritik der praktischen Vernunft."
90) Es wäre leicht, den Nachweis zu erbringen, dass er als
preussischer Staatsphilosoph gar nicht anders denken konnte. Die
Augsburgische Konfession macht ihn zum religiösen Instrument
seines Fürsten. Der Summepiskopus bestätigt seine Professur und
17
81) Ebendort, S. 253 (Nachtrag zu den Polit. Betrachtungen).
82) Es ist ein hartes Wort, das auch Schiller trifft. Er, wenn
einer, wäre als Ehrenbürger der Revolution gehalten gewesen,
die neuen Ideale postulativ in Prosaschriften zur Geltung zu bringen,
statt sie in versifizierter Racine-Nachfolge ästhetisch und dekorativ
zu entwerten. Aus der feudal-philantropischen Humanitätsschwär-
merei wäre ein reales Wissen um die Tatsache der Inhumanität
und Unfreiheit geworden, aus dem Allerweltshumanismus ein heil-
sames Eingeständnis der „Grenzen der Nation“.
83) Siehe Tim Klein, „Der deutsche Soldat“, Zeugnisse von
seinem wahren Wesen, 6.-10. Tausend, Franz Hanfstängel, Mün-
chen. Das Buch ist „Dem Andenken unserer Gefallenen gewidmet“
und beginnt mit Lessing- und Goethe-Zitaten.
84) Friedrich II., Brief an Voltaire, 27. Nov. 1773.
85) Wann werden preussische Offiziere zu Loyolas werden?
86) Brief Friedrich Wilhelms I. an Leopold von Anhalt-Dessau,
den „alten Dessauer“, seinen Haupt-Exerzier- und Heermeister.
87) Zu den begnadigten Verbrechern kamen neugeworbene
und sogar mit Gewalt zusammengetriebene Söldner aus der Hefe
des Auslandes. Mehring („Die Lessinglegende“, Zur Geschichte des
preussischen Despotismus) teilt Aktenstücke mit, aus denen her-
vorgeht, dass die Werber Friedrich Wilhelms I. in den an Preussen
angrenzenden Ländern vogelfrei waren und erschlagen werden
durften, wo man ihrer habhaft werden konnte. Das preussische
Heer war eine Art Fremdenlegion im schlimmsten Sinne, den
die Schauerballade mit diesem Worte verbindet. „So fand ich eine
leere, wüste Stätte und versuchte, einen Bau darauf zu errichten“,
schreibt Friedrich II. („Zur Einführung in die Denkwürdigkeiten
zur Geschichte des Hauses Brandenburg.“)
88) „Kritik der praktischen Vernunft.“ Kant fährt fort: „Wir
sind zwar gesetzgebende Glieder eines durch Freiheit möglichen,
durch praktische Vernunft uns zur Achtung vorgestellten Reichs
der Sitten, aber doch zugleich Untertanen, nicht das Oberhaupt
desselben,
und die Verkennung unserer niederen Stufe, als Geschöpfe,
und Weigerung des Eigendünkels gegen das Ansehen des heiligen
Gesetzes, ist schon eine Abtrünnigkeit von demselben dem Geiste
nach, wenn gleich der Buchstabe erfüllt wurde“.
89) „Kritik der praktischen Vernunft.“
90) Es wäre leicht, den Nachweis zu erbringen, dass er als
preussischer Staatsphilosoph gar nicht anders denken konnte. Die
Augsburgische Konfession macht ihn zum religiösen Instrument
seines Fürsten. Der Summepiskopus bestätigt seine Professur und
17
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0265" n="257"/>
            <note xml:id="id81b81b" prev="id81b" place="end" n="81)"> Ebendort, S. 253 (Nachtrag zu den Polit. Betrachtungen).</note><lb/>
            <note xml:id="id82b82b" prev="id82b" place="end" n="82)"> Es ist ein hartes Wort, das auch Schiller trifft. Er, wenn<lb/>
einer, wäre als Ehrenbürger der Revolution gehalten gewesen,<lb/>
die neuen Ideale postulativ in Prosaschriften zur Geltung zu bringen,<lb/>
statt sie in versifizierter Racine-Nachfolge ästhetisch und dekorativ<lb/>
zu entwerten. Aus der feudal-philantropischen Humanitätsschwär-<lb/>
merei wäre ein reales Wissen um die Tatsache der Inhumanität<lb/>
und Unfreiheit geworden, aus dem Allerweltshumanismus ein heil-<lb/>
sames Eingeständnis der &#x201E;Grenzen der Nation&#x201C;.</note><lb/>
            <note xml:id="id83b83b" prev="id83b" place="end" n="83)"> Siehe Tim Klein, &#x201E;Der deutsche Soldat&#x201C;, Zeugnisse von<lb/>
seinem wahren Wesen, 6.-10. Tausend, Franz Hanfstängel, Mün-<lb/>
chen. Das Buch ist &#x201E;Dem Andenken unserer Gefallenen gewidmet&#x201C;<lb/>
und beginnt mit Lessing- und Goethe-Zitaten.</note><lb/>
            <note xml:id="id84b84b" prev="id84b" place="end" n="84)"> Friedrich II., Brief an Voltaire, 27. Nov. 1773.</note><lb/>
            <note xml:id="id85b85b" prev="id85b" place="end" n="85)"> Wann werden preussische Offiziere zu Loyolas werden?</note><lb/>
            <note xml:id="id86b86b" prev="id86b" place="end" n="86)"> Brief Friedrich Wilhelms I. an Leopold von Anhalt-Dessau,<lb/>
den &#x201E;alten Dessauer&#x201C;, seinen Haupt-Exerzier- und Heermeister.</note><lb/>
            <note xml:id="id87b87b" prev="id87b" place="end" n="87)"> Zu den begnadigten Verbrechern kamen neugeworbene<lb/>
und sogar mit Gewalt zusammengetriebene Söldner aus der Hefe<lb/>
des Auslandes. Mehring (&#x201E;Die Lessinglegende&#x201C;, Zur Geschichte des<lb/>
preussischen Despotismus) teilt Aktenstücke mit, aus denen her-<lb/>
vorgeht, dass die Werber Friedrich Wilhelms I. in den an Preussen<lb/>
angrenzenden Ländern vogelfrei waren und erschlagen werden<lb/>
durften, wo man ihrer habhaft werden konnte. Das preussische<lb/>
Heer war eine Art Fremdenlegion im schlimmsten Sinne, den<lb/>
die Schauerballade mit diesem Worte verbindet. &#x201E;So fand ich eine<lb/>
leere, wüste Stätte und versuchte, einen Bau darauf zu errichten&#x201C;,<lb/>
schreibt Friedrich II. (&#x201E;Zur Einführung in die Denkwürdigkeiten<lb/>
zur Geschichte des Hauses Brandenburg.&#x201C;)</note><lb/>
            <note xml:id="id88b88b" prev="id88b" place="end" n="88)"> &#x201E;Kritik der praktischen Vernunft.&#x201C; Kant fährt fort: &#x201E;Wir<lb/>
sind zwar gesetzgebende Glieder eines durch Freiheit möglichen,<lb/>
durch praktische Vernunft uns zur Achtung vorgestellten Reichs<lb/>
der Sitten, <hi rendition="#i">aber doch zugleich Untertanen, nicht das Oberhaupt<lb/>
desselben,</hi> und die Verkennung <hi rendition="#i">unserer niederen Stufe, als Geschöpfe,</hi><lb/>
und Weigerung des Eigendünkels gegen das Ansehen des heiligen<lb/>
Gesetzes, ist <hi rendition="#i">schon eine Abtrünnigkeit</hi> von demselben dem Geiste<lb/>
nach, <hi rendition="#i">wenn gleich der Buchstabe erfüllt wurde</hi>&#x201C;.</note><lb/>
            <note xml:id="id89b89b" prev="id89b" place="end" n="89)"> &#x201E;Kritik der praktischen Vernunft.&#x201C;</note><lb/>
            <note xml:id="id90b90b" prev="id90b" place="end" n="90)"> Es wäre leicht, den Nachweis zu erbringen, dass er als<lb/>
preussischer Staatsphilosoph gar nicht anders denken konnte. Die<lb/>
Augsburgische Konfession macht ihn zum religiösen Instrument<lb/>
seines Fürsten. Der Summepiskopus bestätigt seine Professur und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">17</fw><lb/></note>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[257/0265] ⁸¹⁾ Ebendort, S. 253 (Nachtrag zu den Polit. Betrachtungen). ⁸²⁾ Es ist ein hartes Wort, das auch Schiller trifft. Er, wenn einer, wäre als Ehrenbürger der Revolution gehalten gewesen, die neuen Ideale postulativ in Prosaschriften zur Geltung zu bringen, statt sie in versifizierter Racine-Nachfolge ästhetisch und dekorativ zu entwerten. Aus der feudal-philantropischen Humanitätsschwär- merei wäre ein reales Wissen um die Tatsache der Inhumanität und Unfreiheit geworden, aus dem Allerweltshumanismus ein heil- sames Eingeständnis der „Grenzen der Nation“. ⁸³⁾ Siehe Tim Klein, „Der deutsche Soldat“, Zeugnisse von seinem wahren Wesen, 6.-10. Tausend, Franz Hanfstängel, Mün- chen. Das Buch ist „Dem Andenken unserer Gefallenen gewidmet“ und beginnt mit Lessing- und Goethe-Zitaten. ⁸⁴⁾ Friedrich II., Brief an Voltaire, 27. Nov. 1773. ⁸⁵⁾ Wann werden preussische Offiziere zu Loyolas werden? ⁸⁶⁾ Brief Friedrich Wilhelms I. an Leopold von Anhalt-Dessau, den „alten Dessauer“, seinen Haupt-Exerzier- und Heermeister. ⁸⁷⁾ Zu den begnadigten Verbrechern kamen neugeworbene und sogar mit Gewalt zusammengetriebene Söldner aus der Hefe des Auslandes. Mehring („Die Lessinglegende“, Zur Geschichte des preussischen Despotismus) teilt Aktenstücke mit, aus denen her- vorgeht, dass die Werber Friedrich Wilhelms I. in den an Preussen angrenzenden Ländern vogelfrei waren und erschlagen werden durften, wo man ihrer habhaft werden konnte. Das preussische Heer war eine Art Fremdenlegion im schlimmsten Sinne, den die Schauerballade mit diesem Worte verbindet. „So fand ich eine leere, wüste Stätte und versuchte, einen Bau darauf zu errichten“, schreibt Friedrich II. („Zur Einführung in die Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg.“) ⁸⁸⁾ „Kritik der praktischen Vernunft.“ Kant fährt fort: „Wir sind zwar gesetzgebende Glieder eines durch Freiheit möglichen, durch praktische Vernunft uns zur Achtung vorgestellten Reichs der Sitten, aber doch zugleich Untertanen, nicht das Oberhaupt desselben, und die Verkennung unserer niederen Stufe, als Geschöpfe, und Weigerung des Eigendünkels gegen das Ansehen des heiligen Gesetzes, ist schon eine Abtrünnigkeit von demselben dem Geiste nach, wenn gleich der Buchstabe erfüllt wurde“. ⁸⁹⁾ „Kritik der praktischen Vernunft.“ ⁹⁰⁾ Es wäre leicht, den Nachweis zu erbringen, dass er als preussischer Staatsphilosoph gar nicht anders denken konnte. Die Augsburgische Konfession macht ihn zum religiösen Instrument seines Fürsten. Der Summepiskopus bestätigt seine Professur und 17

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Schulz, Dienstleister (Muttersprachler): Bereitstellung der Texttranskription nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-02-17T09:20:45Z)
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-02-17T09:20:45Z)

Weitere Informationen:

  • Nach den Richtlinien des Deutschen Textarchivs (DTA) transkribiert und ausgezeichnet.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/265
Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/265>, abgerufen am 21.05.2024.