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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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Vernachlässigung Deutschlands unter politisch universal,
religiös aber weltflüchtig gerichteten habsburgischen Kaisern
wie Rudolf II. und Karl V. Der katholische Zweig zeichnete
sich aus durch "passives" Christentum, grössere Spiritualität,
Weltverachtung, Musik, Romantik und Geheimdiplomatie; der
protestantische mehr durch "praktisches" Christentum, um-
fassende Versuche einer Sanierung der überkommenen Nichts-
nutzigkeit und Verschlampung, Staats- und Rechtspflege,
Gefängnis- und Armenwesen, Erziehungsanstalten, Sachlich-
keit und vollendete Zwecksetzung (Organisation genannt).
In Oesterreich dominierte die "Kulturmission", begleitet von
Brutalitätsanfällen, in Preussen die "ehrliche" Säbelautorität.
In Preussen ward Ideal und Sinn der Theokratie der zum
Soldaten begnadigte Sträfling (siehe Kapitel II, Abschnitt 5).
In Oesterreich der disziplinierte göttliche Schwärmer, Spion
und Schauspieler der Sinne, der weltmännische Jesuit.
Oesterreichs glänzendster Name ist Metternich, Freund des
Papstes, Bezwinger des groben Napoleon, Schöpfer der
"Heiligen Allianz", über die er sich lustig macht, und Di-
rigent jenes "Europäischen Konzerts" von 1815, des erlauch-
testen Reaktionskongresses theokratischer Herrscher und
Diplomaten. Preussens heiligster Name: Friedrich II., pro-
testantischer Papst (er zuerst entdeckte das), Besieger einer
"Weltkoalition", despotisches Gerippe der Pflichterfüllung
und des Sadismus, erster Diener des Staates und Meister
einer stammelnden deutschen Intelligenz, der in französischer
Sprache er preussische Haltung beizubringen das Zeug und
die Laune hat.

Die Geschichte des Macchiavellismus in Deutschland
müsste geschrieben sein! Sie würde erstaunliche Resultate
ergeben. Sie würde zeigen: erstens, dass den preussischen
Herrschern die theologische Idee im Rivalitätskampfe mit
Habsburg aufging (unter Friedrich II.), dass aber die preus-
sischen Macchiavellisten auf Thron und Katheder diese Idee
von Anfang an nur nach ihrem Nutzwerte schätzten, so

Vernachlässigung Deutschlands unter politisch universal,
religiös aber weltflüchtig gerichteten habsburgischen Kaisern
wie Rudolf II. und Karl V. Der katholische Zweig zeichnete
sich aus durch „passives“ Christentum, grössere Spiritualität,
Weltverachtung, Musik, Romantik und Geheimdiplomatie; der
protestantische mehr durch „praktisches“ Christentum, um-
fassende Versuche einer Sanierung der überkommenen Nichts-
nutzigkeit und Verschlampung, Staats- und Rechtspflege,
Gefängnis- und Armenwesen, Erziehungsanstalten, Sachlich-
keit und vollendete Zwecksetzung (Organisation genannt).
In Oesterreich dominierte die „Kulturmission“, begleitet von
Brutalitätsanfällen, in Preussen die „ehrliche“ Säbelautorität.
In Preussen ward Ideal und Sinn der Theokratie der zum
Soldaten begnadigte Sträfling (siehe Kapitel II, Abschnitt 5).
In Oesterreich der disziplinierte göttliche Schwärmer, Spion
und Schauspieler der Sinne, der weltmännische Jesuit.
Oesterreichs glänzendster Name ist Metternich, Freund des
Papstes, Bezwinger des groben Napoleon, Schöpfer der
„Heiligen Allianz“, über die er sich lustig macht, und Di-
rigent jenes „Europäischen Konzerts“ von 1815, des erlauch-
testen Reaktionskongresses theokratischer Herrscher und
Diplomaten. Preussens heiligster Name: Friedrich II., pro-
testantischer Papst (er zuerst entdeckte das), Besieger einer
„Weltkoalition“, despotisches Gerippe der Pflichterfüllung
und des Sadismus, erster Diener des Staates und Meister
einer stammelnden deutschen Intelligenz, der in französischer
Sprache er preussische Haltung beizubringen das Zeug und
die Laune hat.

Die Geschichte des Macchiavellismus in Deutschland
müsste geschrieben sein! Sie würde erstaunliche Resultate
ergeben. Sie würde zeigen: erstens, dass den preussischen
Herrschern die theologische Idee im Rivalitätskampfe mit
Habsburg aufging (unter Friedrich II.), dass aber die preus-
sischen Macchiavellisten auf Thron und Katheder diese Idee
von Anfang an nur nach ihrem Nutzwerte schätzten, so

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[233/0241] Vernachlässigung Deutschlands unter politisch universal, religiös aber weltflüchtig gerichteten habsburgischen Kaisern wie Rudolf II. und Karl V. Der katholische Zweig zeichnete sich aus durch „passives“ Christentum, grössere Spiritualität, Weltverachtung, Musik, Romantik und Geheimdiplomatie; der protestantische mehr durch „praktisches“ Christentum, um- fassende Versuche einer Sanierung der überkommenen Nichts- nutzigkeit und Verschlampung, Staats- und Rechtspflege, Gefängnis- und Armenwesen, Erziehungsanstalten, Sachlich- keit und vollendete Zwecksetzung (Organisation genannt). In Oesterreich dominierte die „Kulturmission“, begleitet von Brutalitätsanfällen, in Preussen die „ehrliche“ Säbelautorität. In Preussen ward Ideal und Sinn der Theokratie der zum Soldaten begnadigte Sträfling (siehe Kapitel II, Abschnitt 5). In Oesterreich der disziplinierte göttliche Schwärmer, Spion und Schauspieler der Sinne, der weltmännische Jesuit. Oesterreichs glänzendster Name ist Metternich, Freund des Papstes, Bezwinger des groben Napoleon, Schöpfer der „Heiligen Allianz“, über die er sich lustig macht, und Di- rigent jenes „Europäischen Konzerts“ von 1815, des erlauch- testen Reaktionskongresses theokratischer Herrscher und Diplomaten. Preussens heiligster Name: Friedrich II., pro- testantischer Papst (er zuerst entdeckte das), Besieger einer „Weltkoalition“, despotisches Gerippe der Pflichterfüllung und des Sadismus, erster Diener des Staates und Meister einer stammelnden deutschen Intelligenz, der in französischer Sprache er preussische Haltung beizubringen das Zeug und die Laune hat. Die Geschichte des Macchiavellismus in Deutschland müsste geschrieben sein! Sie würde erstaunliche Resultate ergeben. Sie würde zeigen: erstens, dass den preussischen Herrschern die theologische Idee im Rivalitätskampfe mit Habsburg aufging (unter Friedrich II.), dass aber die preus- sischen Macchiavellisten auf Thron und Katheder diese Idee von Anfang an nur nach ihrem Nutzwerte schätzten, so

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/241>, abgerufen am 25.11.2024.