Bismarcks System war mächtiger als seine offiziellen Gegner. In dieses System mündete der hundertjährige Mac- chiavellismus der Nation, mündeten die autoritären Systeme von den offiziellen Staatskirchen bis zum sozialdemokratischen Dogmenverband. Gierig nach Geschäften, Karriere, Genuss und Versorgung erkannten in diesem Systeme sich poten- ziert die atheistische und materialistische Schule, die anthro- pomorphe und die naturphilosophische. In ihm gipfelte jene Zerstörung der Moral, deren schlimmster Repräsentant Bismarck nach Luther und Hegel ist 113).
Man halte die Deutschen nicht für oberflächlich. Sie sind tief, sehr tief, tiefer als der Tag gedacht. Sie graben unterirdische Schächte und Gänge nach allen Seiten, aber -- nur in der Verschlagenheit, in der Ausflucht: wenn sie den geraden, den aufrechten, den menschlich logischen Weg gehen sollten; nur wenn es die Zerstörung, sei es der Moral, der Religion oder der Gesellschaft, wenn es ihre "Freiheit" betrifft. Ich spreche nicht von der Musik, dem Glanze unserer Versklavung. Ich spreche von der Ver- sklavung selbst, jenem abgeblendeten, verkrochenen, unheim- lichen Wesen, das unter der albernen Oberfläche eines konzilianten, bieder schmunzelnden Optimismus die bös- willige Rache derer übt, die, lange verderbt, ihr auf- rechtes Manntum eingebüsst haben. Es ist die furchtbare Tiefe, die unsere einzige Hoffnung ist, wenn wir begeistert den Gott, statt den Teufel hinunterführen, und wieder ans Licht kommen, reiner, begeistert, wissend, zermürbt.
Im jungen Nietzsche war Bismarck eine Gefahr geboren, mächtig genug an Begabung und Schwung, den Götzen- dienst aufzuheben, das Wotanschwert zu zerbrechen. Unter Wagners sibyllischem Einfluss wuchs er heran. Tradition der Romantiker wirkte hier fort: Abschüttelung der ver- ruchten Entartung, Gottverschwärmtheit in menschlicher Nähe. Aufhebung der Pedantenschulen, die da moralische Weltordnungen erdachten und sie despotisch verhängten.
Bismarcks System war mächtiger als seine offiziellen Gegner. In dieses System mündete der hundertjährige Mac- chiavellismus der Nation, mündeten die autoritären Systeme von den offiziellen Staatskirchen bis zum sozialdemokratischen Dogmenverband. Gierig nach Geschäften, Karriere, Genuss und Versorgung erkannten in diesem Systeme sich poten- ziert die atheistische und materialistische Schule, die anthro- pomorphe und die naturphilosophische. In ihm gipfelte jene Zerstörung der Moral, deren schlimmster Repräsentant Bismarck nach Luther und Hegel ist 113).
Man halte die Deutschen nicht für oberflächlich. Sie sind tief, sehr tief, tiefer als der Tag gedacht. Sie graben unterirdische Schächte und Gänge nach allen Seiten, aber — nur in der Verschlagenheit, in der Ausflucht: wenn sie den geraden, den aufrechten, den menschlich logischen Weg gehen sollten; nur wenn es die Zerstörung, sei es der Moral, der Religion oder der Gesellschaft, wenn es ihre „Freiheit“ betrifft. Ich spreche nicht von der Musik, dem Glanze unserer Versklavung. Ich spreche von der Ver- sklavung selbst, jenem abgeblendeten, verkrochenen, unheim- lichen Wesen, das unter der albernen Oberfläche eines konzilianten, bieder schmunzelnden Optimismus die bös- willige Rache derer übt, die, lange verderbt, ihr auf- rechtes Manntum eingebüsst haben. Es ist die furchtbare Tiefe, die unsere einzige Hoffnung ist, wenn wir begeistert den Gott, statt den Teufel hinunterführen, und wieder ans Licht kommen, reiner, begeistert, wissend, zermürbt.
Im jungen Nietzsche war Bismarck eine Gefahr geboren, mächtig genug an Begabung und Schwung, den Götzen- dienst aufzuheben, das Wotanschwert zu zerbrechen. Unter Wagners sibyllischem Einfluss wuchs er heran. Tradition der Romantiker wirkte hier fort: Abschüttelung der ver- ruchten Entartung, Gottverschwärmtheit in menschlicher Nähe. Aufhebung der Pedantenschulen, die da moralische Weltordnungen erdachten und sie despotisch verhängten.
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Bismarcks System war mächtiger als seine offiziellen
Gegner. In dieses System mündete der hundertjährige Mac-
chiavellismus der Nation, mündeten die autoritären Systeme
von den offiziellen Staatskirchen bis zum sozialdemokratischen
Dogmenverband. Gierig nach Geschäften, Karriere, Genuss
und Versorgung erkannten in diesem Systeme sich poten-
ziert die atheistische und materialistische Schule, die anthro-
pomorphe und die naturphilosophische. In ihm gipfelte
jene Zerstörung der Moral, deren schlimmster Repräsentant
Bismarck nach Luther und Hegel ist
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Man halte die Deutschen nicht für oberflächlich. Sie
sind tief, sehr tief, tiefer als der Tag gedacht. Sie graben
unterirdische Schächte und Gänge nach allen Seiten, aber
— nur in der Verschlagenheit, in der Ausflucht: wenn sie
den geraden, den aufrechten, den menschlich logischen Weg
gehen sollten; nur wenn es die Zerstörung, sei es der
Moral, der Religion oder der Gesellschaft, wenn es ihre
„Freiheit“ betrifft. Ich spreche nicht von der Musik, dem
Glanze unserer Versklavung. Ich spreche von der Ver-
sklavung selbst, jenem abgeblendeten, verkrochenen, unheim-
lichen Wesen, das unter der albernen Oberfläche eines
konzilianten, bieder schmunzelnden Optimismus die bös-
willige Rache derer übt, die, lange verderbt, ihr auf-
rechtes Manntum eingebüsst haben. Es ist die furchtbare
Tiefe, die unsere einzige Hoffnung ist, wenn wir begeistert
den Gott, statt den Teufel hinunterführen, und wieder ans
Licht kommen, reiner, begeistert, wissend, zermürbt.
Im jungen Nietzsche war Bismarck eine Gefahr geboren,
mächtig genug an Begabung und Schwung, den Götzen-
dienst aufzuheben, das Wotanschwert zu zerbrechen. Unter
Wagners sibyllischem Einfluss wuchs er heran. Tradition
der Romantiker wirkte hier fort: Abschüttelung der ver-
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/230>, abgerufen am 22.11.2024.
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