der Protestanten", denn er verdrängte ja die reformations- feindliche Dynastie Habsburg aus Deutschland und ersetzte sie durch das Haus Hohenzollern. Wenn die "Preus- sischen Jahrbücher" für 1900 von den Befreiungskämpfen schreiben konnten: "Der Genius Luthers zog in dem Früh- lingsbrausen des Jahres 1813 vor seinem heiligen Volke einher wie die Feuersäule vor dem Volke Israels in der Wüste", wie sehr hatte dann jener Superintendent Meyer recht, der Bismarcks Kaiserreich als die "nationale Krönung des Reformationswerkes" bezeichnete! Einen rosigen Blick in die Zukunft aber eröffnete Treitschke, indem er verkündete: "Es ist Preussen, die grösste protestantische Macht der Neuzeit, welche den andern dazu helfen wird, die Fesseln der allumspannenden Kirche abzuschütteln" 105).
Da hat man neben der protestantischen Politik auch die protestantische Philosophie: sie "schüttelt die Fesseln ab". Der Krieg ist für Bismarck "doch eigentlich der natür- liche Zustand des Menschen". Das Jägerleben ist "doch eigentlich das dem Menschen natürliche". Also Jagd auf Tiere und Menschen. "Gefangene?", ruft er in Versailles aus, "dass sie noch immer Gefangene machen. Sie hätten sie der Reihe nach füsilieren sollen!" Und als man ihm von verlassenen Häusern spricht, deren Wertsachen für die Kriegskasse konfisziert worden seien, lobt er dies und meint: "Eigentlich sollten solche Häuser niedergebrannt werden, nur träfe das die vernünftigen Leute mit, und so geht es leider nicht 106). Eigentlich. Eigentlich ...
Wie Bismarck blasphemisch zur Religion steht, so steht er höhnisch zum Volke. Das Parlament nennt er ein "Haus der Phrasen", was sich gut sagen lässt, wenn man geladene Gewehre hinter sich weiss, und er hält dafür: die äussere Politik, die er zu seiner Privatsache gemacht hat, sei schwer genug; durch "dreihundert Schafsköpfe" könne sie nur noch mehr verwirrt werden. Ein Gemütsmensch, ohne Zweifel; "von allen Deutschen der deutscheste Mann". Kennt er
der Protestanten“, denn er verdrängte ja die reformations- feindliche Dynastie Habsburg aus Deutschland und ersetzte sie durch das Haus Hohenzollern. Wenn die „Preus- sischen Jahrbücher“ für 1900 von den Befreiungskämpfen schreiben konnten: „Der Genius Luthers zog in dem Früh- lingsbrausen des Jahres 1813 vor seinem heiligen Volke einher wie die Feuersäule vor dem Volke Israels in der Wüste“, wie sehr hatte dann jener Superintendent Meyer recht, der Bismarcks Kaiserreich als die „nationale Krönung des Reformationswerkes“ bezeichnete! Einen rosigen Blick in die Zukunft aber eröffnete Treitschke, indem er verkündete: „Es ist Preussen, die grösste protestantische Macht der Neuzeit, welche den andern dazu helfen wird, die Fesseln der allumspannenden Kirche abzuschütteln“ 105).
Da hat man neben der protestantischen Politik auch die protestantische Philosophie: sie „schüttelt die Fesseln ab“. Der Krieg ist für Bismarck „doch eigentlich der natür- liche Zustand des Menschen“. Das Jägerleben ist „doch eigentlich das dem Menschen natürliche“. Also Jagd auf Tiere und Menschen. „Gefangene?“, ruft er in Versailles aus, „dass sie noch immer Gefangene machen. Sie hätten sie der Reihe nach füsilieren sollen!“ Und als man ihm von verlassenen Häusern spricht, deren Wertsachen für die Kriegskasse konfisziert worden seien, lobt er dies und meint: „Eigentlich sollten solche Häuser niedergebrannt werden, nur träfe das die vernünftigen Leute mit, und so geht es leider nicht 106). Eigentlich. Eigentlich ...
Wie Bismarck blasphemisch zur Religion steht, so steht er höhnisch zum Volke. Das Parlament nennt er ein „Haus der Phrasen“, was sich gut sagen lässt, wenn man geladene Gewehre hinter sich weiss, und er hält dafür: die äussere Politik, die er zu seiner Privatsache gemacht hat, sei schwer genug; durch „dreihundert Schafsköpfe“ könne sie nur noch mehr verwirrt werden. Ein Gemütsmensch, ohne Zweifel; „von allen Deutschen der deutscheste Mann“. Kennt er
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der Protestanten“, denn er verdrängte ja die reformations-
feindliche Dynastie Habsburg aus Deutschland und ersetzte
sie durch das Haus Hohenzollern. Wenn die „Preus-
sischen Jahrbücher“ für 1900 von den Befreiungskämpfen
schreiben konnten: „Der Genius Luthers zog in dem Früh-
lingsbrausen des Jahres 1813 vor seinem heiligen Volke
einher wie die Feuersäule vor dem Volke Israels in der
Wüste“, wie sehr hatte dann jener Superintendent Meyer recht,
der Bismarcks Kaiserreich als die „nationale Krönung des
Reformationswerkes“ bezeichnete! Einen rosigen Blick in
die Zukunft aber eröffnete Treitschke, indem er verkündete:
„Es ist Preussen, die grösste protestantische Macht der
Neuzeit, welche den andern dazu helfen wird, die Fesseln
der allumspannenden Kirche abzuschütteln“
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Da hat man neben der protestantischen Politik auch
die protestantische Philosophie: sie „schüttelt die Fesseln
ab“. Der Krieg ist für Bismarck „doch eigentlich der natür-
liche Zustand des Menschen“. Das Jägerleben ist „doch
eigentlich das dem Menschen natürliche“. Also Jagd auf
Tiere und Menschen. „Gefangene?“, ruft er in Versailles
aus, „dass sie noch immer Gefangene machen. Sie hätten
sie der Reihe nach füsilieren sollen!“ Und als man ihm
von verlassenen Häusern spricht, deren Wertsachen für die
Kriegskasse konfisziert worden seien, lobt er dies und meint:
„Eigentlich sollten solche Häuser niedergebrannt werden,
nur träfe das die vernünftigen Leute mit, und so geht es
leider nicht
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Wie Bismarck blasphemisch zur Religion steht, so steht er
höhnisch zum Volke. Das Parlament nennt er ein „Haus der
Phrasen“, was sich gut sagen lässt, wenn man geladene
Gewehre hinter sich weiss, und er hält dafür: die äussere
Politik, die er zu seiner Privatsache gemacht hat, sei schwer
genug; durch „dreihundert Schafsköpfe“ könne sie nur noch
mehr verwirrt werden. Ein Gemütsmensch, ohne Zweifel;
„von allen Deutschen der deutscheste Mann“. Kennt er
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/226>, abgerufen am 21.11.2024.
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