Bezeichnend für solche Gesinnung ist, dass man während des Krieges jegliche Warnungsstimme im Lande wider- standslos ersticken oder verdächtigen durfte; bezeichnend, dass man ohne nennenswerte Empörung im Reichstag nicht nur Liebknecht und Dittmann verurteilen, Muehlon und Lichnowsky für geisteskrank erklären konnte, sondern auch den 70 jährigen Mehring in Schutzhaft nahm.
Die Reden und Schriften dieser ausgezeichneten Männer sind weiten Kreisen bekannt. Gleichwohl möchte ich mir nicht versagen, Adel und Junkertum auch in ihrem ideellen Zu- sammenhang etwas näher zu beschreiben. Ihre drei Haupteigenschaften sind:
1. Die Verkrampfung in die theokratische Ideologie des deut- schen Mittelalters, die sie als Sachwalter der heiligsten nationalen Ueberzeugungen gegen befremdliche internationale Strömun- gen (Sozialismus, Pazifismus und Judentum) erscheinen lässt 80).
2. Die aristokratisch-sporthafte Auffassung des Soldaten- tums, worin sie sich seit dem fridrizianischen Zeitalter dem um Hab und Gut besorgten Zivilisten und der soge- nannten Nützlichkeitsmoral überlegen fühlten; ihr Idealismus und Heroismus sozusagen, eine bäurisch dandyhafte Phi- losophie von der Nichtsnutzigkeit des Privatmanns und der Wertlosigkeit des Lebens, der in der Politik ein ebenso dreister wie grober Macchiavellismus entspricht 81).
3. Ein skrupelloser Zynismus, der nicht nur weite Kreise der bürgerlichen Intelligenz, sondern auch des werktätigen Volkes zu verführen wusste; der sich trotz Ludwig XIV. und der französischen Revolution, trotz 1830 und 1848 gegen Christlichkeit und Aufklärung, gegen Humanität und Menschenrechte so wohl zu behaupten wusste, dass man heute fast sagen kann, diese Begriffe seien dem Bewusst- sein der Nation entschwunden.
"Es soll schwer sein", sagt Mehring, "in der ganzen Weltgeschichte eine Klasse aufzufinden, die durch so lange Zeit so arm an Geist und Kraft und so überschwenglich
Bezeichnend für solche Gesinnung ist, dass man während des Krieges jegliche Warnungsstimme im Lande wider- standslos ersticken oder verdächtigen durfte; bezeichnend, dass man ohne nennenswerte Empörung im Reichstag nicht nur Liebknecht und Dittmann verurteilen, Muehlon und Lichnowsky für geisteskrank erklären konnte, sondern auch den 70 jährigen Mehring in Schutzhaft nahm.
Die Reden und Schriften dieser ausgezeichneten Männer sind weiten Kreisen bekannt. Gleichwohl möchte ich mir nicht versagen, Adel und Junkertum auch in ihrem ideellen Zu- sammenhang etwas näher zu beschreiben. Ihre drei Haupteigenschaften sind:
1. Die Verkrampfung in die theokratische Ideologie des deut- schen Mittelalters, die sie als Sachwalter der heiligsten nationalen Ueberzeugungen gegen befremdliche internationale Strömun- gen (Sozialismus, Pazifismus und Judentum) erscheinen lässt 80).
2. Die aristokratisch-sporthafte Auffassung des Soldaten- tums, worin sie sich seit dem fridrizianischen Zeitalter dem um Hab und Gut besorgten Zivilisten und der soge- nannten Nützlichkeitsmoral überlegen fühlten; ihr Idealismus und Heroismus sozusagen, eine bäurisch dandyhafte Phi- losophie von der Nichtsnutzigkeit des Privatmanns und der Wertlosigkeit des Lebens, der in der Politik ein ebenso dreister wie grober Macchiavellismus entspricht 81).
3. Ein skrupelloser Zynismus, der nicht nur weite Kreise der bürgerlichen Intelligenz, sondern auch des werktätigen Volkes zu verführen wusste; der sich trotz Ludwig XIV. und der französischen Revolution, trotz 1830 und 1848 gegen Christlichkeit und Aufklärung, gegen Humanität und Menschenrechte so wohl zu behaupten wusste, dass man heute fast sagen kann, diese Begriffe seien dem Bewusst- sein der Nation entschwunden.
„Es soll schwer sein“, sagt Mehring, „in der ganzen Weltgeschichte eine Klasse aufzufinden, die durch so lange Zeit so arm an Geist und Kraft und so überschwenglich
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[205/0213]
Bezeichnend für solche Gesinnung ist, dass man während
des Krieges jegliche Warnungsstimme im Lande wider-
standslos ersticken oder verdächtigen durfte; bezeichnend,
dass man ohne nennenswerte Empörung im Reichstag nicht
nur Liebknecht und Dittmann verurteilen, Muehlon und
Lichnowsky für geisteskrank erklären konnte, sondern auch
den 70 jährigen Mehring in Schutzhaft nahm.
Die Reden und Schriften dieser ausgezeichneten Männer
sind weiten Kreisen bekannt. Gleichwohl möchte ich mir nicht
versagen, Adel und Junkertum auch in ihrem ideellen Zu-
sammenhang etwas näher zu beschreiben. Ihre drei
Haupteigenschaften sind:
1. Die Verkrampfung in die theokratische Ideologie des deut-
schen Mittelalters, die sie als Sachwalter der heiligsten nationalen
Ueberzeugungen gegen befremdliche internationale Strömun-
gen (Sozialismus, Pazifismus und Judentum) erscheinen lässt
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2. Die aristokratisch-sporthafte Auffassung des Soldaten-
tums, worin sie sich seit dem fridrizianischen Zeitalter
dem um Hab und Gut besorgten Zivilisten und der soge-
nannten Nützlichkeitsmoral überlegen fühlten; ihr Idealismus
und Heroismus sozusagen, eine bäurisch dandyhafte Phi-
losophie von der Nichtsnutzigkeit des Privatmanns und der
Wertlosigkeit des Lebens, der in der Politik ein ebenso
dreister wie grober Macchiavellismus entspricht
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3. Ein skrupelloser Zynismus, der nicht nur weite Kreise
der bürgerlichen Intelligenz, sondern auch des werktätigen
Volkes zu verführen wusste; der sich trotz Ludwig XIV.
und der französischen Revolution, trotz 1830 und 1848
gegen Christlichkeit und Aufklärung, gegen Humanität und
Menschenrechte so wohl zu behaupten wusste, dass man
heute fast sagen kann, diese Begriffe seien dem Bewusst-
sein der Nation entschwunden.
„Es soll schwer sein“, sagt Mehring, „in der ganzen
Weltgeschichte eine Klasse aufzufinden, die durch so lange
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/213>, abgerufen am 23.07.2024.
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