erkannt wurde, was sie war, ein Versuch deutscher Patrioten, die Aufmerksamkeit von dem in Aussicht stehenden pan- germanischen Kaiserreich auf das "die westliche Kultur bedrohende" Russland abzulenken 76).
Wie sehr Bakunin Recht behielt, als er schon 1871 das neue deutsche Reich als eine grössere Gefahr für die Zivilisation empfand als das zaristische Russland, hat die russische Revolution von 1917 erwiesen, und es ist nicht nur sehr zu bedauern, sondern es kennzeichnet die Wut und Nachhaltigkeit der marxistischen Intrige, dass die für die Beurteilung Marxens wichtigsten Schriften Bakunins noch 1918 ins Deutsche nicht übersetzt sind. Etwas mehr Kenntnis dieser Dinge hätte vielleicht 1914 in Deutsch- land und 1915/1916 auf den Konferenzen von Zimmer- wald und Kienthal dazu beigetragen, die Stellungnahme zu erleichtern.
Man kann bei den Geschichtsschreibern der deutschen Sozialdemokratie immer wieder in der gehässigsten Varia- tion die dunkle Nachricht vernehmen, dass ein gewisser Utopist Bakunin die erste (deutsche) Internationale gesprengt habe. Warum er diese Frivolität beging, vernimmt man nicht. So soll es hier mit klaren und unzweideutigen Worten stehen: weil er sie als ein Propagandainstitut für die Bismarck'schen Pläne empfand, wie wir heute die Reste der zweiten (sozialdemokratischen) Internationale, die marxistische Zimmerwald-Kienthal-Gründung, als ein Pro- pagandainstrument Ludendorffs bekämpfen und die Beweise in den Friedensverträgen von Brest-Litowsk vorzeigen 77). Die Marx'sche Doktrin vom abstrakten internationalen Ka- pital, gegen das in erster Linie revoltiert werden müsse, und das überall, ja in England und Amerika despotischer als sonstwo, die Herrschaft führe, enthüllt sich als die Aus- flucht eines patriotischen Juden, der über die mit kontinen- talen Ansprüchen auftretende Militärautokratie seines Landes hinwegtäuschen wollte; hinwegtäuschen wollte über die
erkannt wurde, was sie war, ein Versuch deutscher Patrioten, die Aufmerksamkeit von dem in Aussicht stehenden pan- germanischen Kaiserreich auf das „die westliche Kultur bedrohende“ Russland abzulenken 76).
Wie sehr Bakunin Recht behielt, als er schon 1871 das neue deutsche Reich als eine grössere Gefahr für die Zivilisation empfand als das zaristische Russland, hat die russische Revolution von 1917 erwiesen, und es ist nicht nur sehr zu bedauern, sondern es kennzeichnet die Wut und Nachhaltigkeit der marxistischen Intrige, dass die für die Beurteilung Marxens wichtigsten Schriften Bakunins noch 1918 ins Deutsche nicht übersetzt sind. Etwas mehr Kenntnis dieser Dinge hätte vielleicht 1914 in Deutsch- land und 1915/1916 auf den Konferenzen von Zimmer- wald und Kienthal dazu beigetragen, die Stellungnahme zu erleichtern.
Man kann bei den Geschichtsschreibern der deutschen Sozialdemokratie immer wieder in der gehässigsten Varia- tion die dunkle Nachricht vernehmen, dass ein gewisser Utopist Bakunin die erste (deutsche) Internationale gesprengt habe. Warum er diese Frivolität beging, vernimmt man nicht. So soll es hier mit klaren und unzweideutigen Worten stehen: weil er sie als ein Propagandainstitut für die Bismarck'schen Pläne empfand, wie wir heute die Reste der zweiten (sozialdemokratischen) Internationale, die marxistische Zimmerwald-Kienthal-Gründung, als ein Pro- pagandainstrument Ludendorffs bekämpfen und die Beweise in den Friedensverträgen von Brest-Litowsk vorzeigen 77). Die Marx'sche Doktrin vom abstrakten internationalen Ka- pital, gegen das in erster Linie revoltiert werden müsse, und das überall, ja in England und Amerika despotischer als sonstwo, die Herrschaft führe, enthüllt sich als die Aus- flucht eines patriotischen Juden, der über die mit kontinen- talen Ansprüchen auftretende Militärautokratie seines Landes hinwegtäuschen wollte; hinwegtäuschen wollte über die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0210"n="202"/>
erkannt wurde, was sie war, ein Versuch deutscher Patrioten,<lb/>
die Aufmerksamkeit von dem in Aussicht stehenden pan-<lb/>
germanischen Kaiserreich auf das „die westliche Kultur<lb/>
bedrohende“ Russland abzulenken <notexml:id="id76d"next="id76d76d"place="end"n="76)"/>.</p><lb/><p>Wie sehr Bakunin Recht behielt, als er schon 1871<lb/>
das neue deutsche Reich als eine grössere Gefahr für die<lb/>
Zivilisation empfand als das zaristische Russland, hat die<lb/>
russische Revolution von 1917 erwiesen, und es ist nicht<lb/>
nur sehr zu bedauern, sondern es kennzeichnet die Wut<lb/>
und Nachhaltigkeit der marxistischen Intrige, dass die für<lb/>
die Beurteilung Marxens wichtigsten Schriften Bakunins<lb/>
noch 1918 ins Deutsche nicht übersetzt sind. Etwas mehr<lb/>
Kenntnis dieser Dinge hätte vielleicht 1914 in Deutsch-<lb/>
land und 1915/1916 auf den Konferenzen von Zimmer-<lb/>
wald und Kienthal dazu beigetragen, die Stellungnahme zu<lb/>
erleichtern.</p><lb/><p>Man kann bei den Geschichtsschreibern der deutschen<lb/>
Sozialdemokratie immer wieder in der gehässigsten Varia-<lb/>
tion die dunkle Nachricht vernehmen, dass ein gewisser<lb/>
Utopist Bakunin die erste (deutsche) Internationale gesprengt<lb/>
habe. <hirendition="#i">Warum</hi> er diese Frivolität beging, vernimmt man<lb/>
nicht. So soll es hier mit klaren und unzweideutigen<lb/>
Worten stehen: weil er sie als ein Propagandainstitut für<lb/>
die Bismarck'schen Pläne empfand, wie wir heute die<lb/>
Reste der zweiten (sozialdemokratischen) Internationale, die<lb/>
marxistische Zimmerwald-Kienthal-Gründung, als ein Pro-<lb/>
pagandainstrument Ludendorffs bekämpfen und die Beweise<lb/>
in den Friedensverträgen von Brest-Litowsk vorzeigen <notexml:id="id77d"next="id77d77d"place="end"n="77)"/>.<lb/>
Die Marx'sche Doktrin vom abstrakten internationalen Ka-<lb/>
pital, gegen das in erster Linie revoltiert werden müsse,<lb/>
und das überall, ja in England und Amerika despotischer<lb/>
als sonstwo, die Herrschaft führe, enthüllt sich als die Aus-<lb/>
flucht eines patriotischen Juden, der über die mit kontinen-<lb/>
talen Ansprüchen auftretende Militärautokratie seines Landes<lb/>
hinwegtäuschen wollte; hinwegtäuschen wollte über die<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[202/0210]
erkannt wurde, was sie war, ein Versuch deutscher Patrioten,
die Aufmerksamkeit von dem in Aussicht stehenden pan-
germanischen Kaiserreich auf das „die westliche Kultur
bedrohende“ Russland abzulenken
⁷⁶⁾
.
Wie sehr Bakunin Recht behielt, als er schon 1871
das neue deutsche Reich als eine grössere Gefahr für die
Zivilisation empfand als das zaristische Russland, hat die
russische Revolution von 1917 erwiesen, und es ist nicht
nur sehr zu bedauern, sondern es kennzeichnet die Wut
und Nachhaltigkeit der marxistischen Intrige, dass die für
die Beurteilung Marxens wichtigsten Schriften Bakunins
noch 1918 ins Deutsche nicht übersetzt sind. Etwas mehr
Kenntnis dieser Dinge hätte vielleicht 1914 in Deutsch-
land und 1915/1916 auf den Konferenzen von Zimmer-
wald und Kienthal dazu beigetragen, die Stellungnahme zu
erleichtern.
Man kann bei den Geschichtsschreibern der deutschen
Sozialdemokratie immer wieder in der gehässigsten Varia-
tion die dunkle Nachricht vernehmen, dass ein gewisser
Utopist Bakunin die erste (deutsche) Internationale gesprengt
habe. Warum er diese Frivolität beging, vernimmt man
nicht. So soll es hier mit klaren und unzweideutigen
Worten stehen: weil er sie als ein Propagandainstitut für
die Bismarck'schen Pläne empfand, wie wir heute die
Reste der zweiten (sozialdemokratischen) Internationale, die
marxistische Zimmerwald-Kienthal-Gründung, als ein Pro-
pagandainstrument Ludendorffs bekämpfen und die Beweise
in den Friedensverträgen von Brest-Litowsk vorzeigen
⁷⁷⁾
.
Die Marx'sche Doktrin vom abstrakten internationalen Ka-
pital, gegen das in erster Linie revoltiert werden müsse,
und das überall, ja in England und Amerika despotischer
als sonstwo, die Herrschaft führe, enthüllt sich als die Aus-
flucht eines patriotischen Juden, der über die mit kontinen-
talen Ansprüchen auftretende Militärautokratie seines Landes
hinwegtäuschen wollte; hinwegtäuschen wollte über die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/210>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.