einigen Deutschland", I. B. von Schweitzer, jener Nachfolger Lassalles, den seine deutschen Genossen im Auslande selbst als Spion Bismarcks verschrien, betonte nach Mehring "namentlich, dass er und die Arbeiter seiner Richtung dem Auslande gegenüber auf preussischer Seite ständen" 18). Von den beiden damaligen Fraktionen warfen die ,Lassalleaner' den ,Eisenachern' vor, es sei ihnen mit dem proletarischen Klassenkampf nicht ernst, sie seien "Halbsozialisten"; die Eisenacher aber rächten sich, indem sie in ihrem "Volks- staat" schrieben: "Wäre Lassalle nicht von selbst gekommen, so hätte Bismarck ihn erfinden müssen" 19).
Lassalle versuchte als Jude ein Arrangement zu treffen mit der protestantisch-liberalistischen Tradition seines Vater- landes. Das verlieh seinen Argumenten eine gewisse Basis und Kraft, seinem Enthusiasmus Schwung. Einen Ausgleich seiner Aspiration und Begabung scheint er empfunden zu haben im Attachement an Ulrich von Hutten und Franz von Sickingen, jene beiden ritterlichen Oppositionelle des 16. Jahrhunderts, die Luther ein Bündnis anboten wider den Papst und für ein einiges Deutschland; und eine sym- pathetische Vorliebe für Fichte und Hegel, die spekulativen Macchiavellisten. In einem Versdrama "Franz von Sickin- gen" (1859) zeigt dieser buntscheckige "Sozialist" sich als all das, was er nicht hätte sein dürfen, wenn er als Rebell für die Frei- heit auftrat; zeigt er sich als Vernunftapologet, Schwert- apostel und Monarchist. "Ehrwürdiger Herr! Schlecht kennt ihr die Geschichte, Ihr habt ganz Recht, es ist Vernunft ihr Inhalt", lässt er sich hegelianisch vernehmen. Oder: nachdem er Oekolampadius (ist das ein Pseudonym für Weitling?) von der Entweihung der Liebeslehre durch das Schwert hat sprechen lassen, bringt er einen "Panegyrikus auf das Schwert", an dem Bismarck und die Pangermanisten aller Zeiten ihre helle Freude haben konnten, und der schliesst:
12
einigen Deutschland“, I. B. von Schweitzer, jener Nachfolger Lassalles, den seine deutschen Genossen im Auslande selbst als Spion Bismarcks verschrien, betonte nach Mehring „namentlich, dass er und die Arbeiter seiner Richtung dem Auslande gegenüber auf preussischer Seite ständen“ 18). Von den beiden damaligen Fraktionen warfen die ‚Lassalleaner‘ den ‚Eisenachern‘ vor, es sei ihnen mit dem proletarischen Klassenkampf nicht ernst, sie seien „Halbsozialisten“; die Eisenacher aber rächten sich, indem sie in ihrem „Volks- staat“ schrieben: „Wäre Lassalle nicht von selbst gekommen, so hätte Bismarck ihn erfinden müssen“ 19).
Lassalle versuchte als Jude ein Arrangement zu treffen mit der protestantisch-liberalistischen Tradition seines Vater- landes. Das verlieh seinen Argumenten eine gewisse Basis und Kraft, seinem Enthusiasmus Schwung. Einen Ausgleich seiner Aspiration und Begabung scheint er empfunden zu haben im Attachement an Ulrich von Hutten und Franz von Sickingen, jene beiden ritterlichen Oppositionelle des 16. Jahrhunderts, die Luther ein Bündnis anboten wider den Papst und für ein einiges Deutschland; und eine sym- pathetische Vorliebe für Fichte und Hegel, die spekulativen Macchiavellisten. In einem Versdrama „Franz von Sickin- gen“ (1859) zeigt dieser buntscheckige „Sozialist“ sich als all das, was er nicht hätte sein dürfen, wenn er als Rebell für die Frei- heit auftrat; zeigt er sich als Vernunftapologet, Schwert- apostel und Monarchist. „Ehrwürdiger Herr! Schlecht kennt ihr die Geschichte, Ihr habt ganz Recht, es ist Vernunft ihr Inhalt“, lässt er sich hegelianisch vernehmen. Oder: nachdem er Oekolampadius (ist das ein Pseudonym für Weitling?) von der Entweihung der Liebeslehre durch das Schwert hat sprechen lassen, bringt er einen „Panegyrikus auf das Schwert“, an dem Bismarck und die Pangermanisten aller Zeiten ihre helle Freude haben konnten, und der schliesst:
12
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0185"n="177"/>
einigen Deutschland“, I. B. von Schweitzer, jener Nachfolger<lb/>
Lassalles, den seine deutschen Genossen im Auslande selbst<lb/>
als Spion Bismarcks verschrien, betonte nach Mehring<lb/>„namentlich, dass er und die Arbeiter seiner Richtung dem<lb/>
Auslande gegenüber auf preussischer Seite ständen“<notexml:id="id18d"next="id18d18d"place="end"n="18)"/>. Von<lb/>
den beiden damaligen Fraktionen warfen die ‚Lassalleaner‘<lb/>
den ‚Eisenachern‘ vor, es sei ihnen mit dem proletarischen<lb/>
Klassenkampf nicht ernst, sie seien „Halbsozialisten“; die<lb/>
Eisenacher aber rächten sich, indem sie in ihrem „Volks-<lb/>
staat“ schrieben: „Wäre Lassalle nicht von selbst gekommen,<lb/>
so hätte Bismarck ihn erfinden müssen“<notexml:id="id19d"next="id19d19d"place="end"n="19)"/>.</p><lb/><p>Lassalle versuchte als Jude ein Arrangement zu treffen<lb/>
mit der protestantisch-liberalistischen Tradition seines Vater-<lb/>
landes. Das verlieh seinen Argumenten eine gewisse Basis<lb/>
und Kraft, seinem Enthusiasmus Schwung. Einen Ausgleich<lb/>
seiner Aspiration und Begabung scheint er empfunden zu<lb/>
haben im Attachement an Ulrich von Hutten und Franz<lb/>
von Sickingen, jene beiden ritterlichen Oppositionelle des<lb/>
16. Jahrhunderts, die Luther ein Bündnis anboten wider<lb/>
den Papst und für ein einiges Deutschland; und eine sym-<lb/>
pathetische Vorliebe für Fichte und Hegel, die spekulativen<lb/>
Macchiavellisten. In einem Versdrama „Franz von Sickin-<lb/>
gen“ (1859) zeigt dieser buntscheckige „Sozialist“ sich als all<lb/>
das, was er nicht hätte sein dürfen, wenn er als Rebell für die Frei-<lb/>
heit auftrat; zeigt er sich als Vernunftapologet, Schwert-<lb/>
apostel und Monarchist.<lb/><hirendition="#et">„Ehrwürdiger Herr! Schlecht kennt ihr die Geschichte,<lb/>
Ihr habt ganz Recht, es ist Vernunft ihr Inhalt“,</hi><lb/>
lässt er sich hegelianisch vernehmen. Oder: nachdem er<lb/>
Oekolampadius (ist das ein Pseudonym für Weitling?) von<lb/>
der Entweihung der Liebeslehre durch das Schwert hat<lb/>
sprechen lassen, bringt er einen „Panegyrikus auf das<lb/>
Schwert“, an dem Bismarck und die Pangermanisten<lb/>
aller Zeiten ihre helle Freude haben konnten, und der<lb/>
schliesst:<lb/><fwplace="bottom"type="sig">12</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[177/0185]
einigen Deutschland“, I. B. von Schweitzer, jener Nachfolger
Lassalles, den seine deutschen Genossen im Auslande selbst
als Spion Bismarcks verschrien, betonte nach Mehring
„namentlich, dass er und die Arbeiter seiner Richtung dem
Auslande gegenüber auf preussischer Seite ständen“
¹⁸⁾
. Von
den beiden damaligen Fraktionen warfen die ‚Lassalleaner‘
den ‚Eisenachern‘ vor, es sei ihnen mit dem proletarischen
Klassenkampf nicht ernst, sie seien „Halbsozialisten“; die
Eisenacher aber rächten sich, indem sie in ihrem „Volks-
staat“ schrieben: „Wäre Lassalle nicht von selbst gekommen,
so hätte Bismarck ihn erfinden müssen“
¹⁹⁾
.
Lassalle versuchte als Jude ein Arrangement zu treffen
mit der protestantisch-liberalistischen Tradition seines Vater-
landes. Das verlieh seinen Argumenten eine gewisse Basis
und Kraft, seinem Enthusiasmus Schwung. Einen Ausgleich
seiner Aspiration und Begabung scheint er empfunden zu
haben im Attachement an Ulrich von Hutten und Franz
von Sickingen, jene beiden ritterlichen Oppositionelle des
16. Jahrhunderts, die Luther ein Bündnis anboten wider
den Papst und für ein einiges Deutschland; und eine sym-
pathetische Vorliebe für Fichte und Hegel, die spekulativen
Macchiavellisten. In einem Versdrama „Franz von Sickin-
gen“ (1859) zeigt dieser buntscheckige „Sozialist“ sich als all
das, was er nicht hätte sein dürfen, wenn er als Rebell für die Frei-
heit auftrat; zeigt er sich als Vernunftapologet, Schwert-
apostel und Monarchist.
„Ehrwürdiger Herr! Schlecht kennt ihr die Geschichte,
Ihr habt ganz Recht, es ist Vernunft ihr Inhalt“,
lässt er sich hegelianisch vernehmen. Oder: nachdem er
Oekolampadius (ist das ein Pseudonym für Weitling?) von
der Entweihung der Liebeslehre durch das Schwert hat
sprechen lassen, bringt er einen „Panegyrikus auf das
Schwert“, an dem Bismarck und die Pangermanisten
aller Zeiten ihre helle Freude haben konnten, und der
schliesst:
12
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/185>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.