tragen ihm Leipziger Weitlingianer ihre Führung an. 37 jährig stellt er sich an die Spitze einer Bewegung, mit deren freiwilligem Verzicht auf Genuss, Macht und Ruhm, ja mit deren kommunistischer Intention, von Weitlings christlicher Idee ganz zu schweigen, er nicht das Geringste gemeinsam hatte; denn typisch wie sein Ziel, diese Bewe- gung "zu einem Heerbann für seine hochfliegenden Pläne zu gestalten" 3), ist der Vorwurf, den Marx ihm später machen konnte, er habe das "Kommunistische Manifest" gefälscht oder nicht verstanden.
Er lässt sich von seiner Freundin Hatzfeld phantasti- sche Unterredungen mit Bismarck vermitteln und schlägt ihm, kurze Zeit vor Ausbruch des Krieges von 1866, der als Bruderkrieg keineswegs Aussicht auf Volkstümlichkeit hatte, die Oktroyierung des allgemeinen Wahlrechts und Produktivgenossenschaften mit Staatsmitteln vor, zwei Vor- schläge, die einem groben Vertrauensbruch der ihm blindlings ergebenen Arbeiterschaft gegenüber gleichkamen 4). Seine masslose Eitelkeit gefällt sich in der Rolle eines Vertrauten Bismarcks, dem er von allen seinen Veröffentlichungen durch das Sekretariat des "Allgemeinen deutschen Arbeitervereins" ein Doppelexemplar in verschlossenem Kuvert mit der Auf- schrift "persönlich" senden lässt 5); und der Ehrgeiz, Bräuti- gam eines adligen Fräuleins zu werden, zeigt diesen selt- samen jüdischen Revolutionär bereit, zum Katholizismus überzutreten, bei Ministern zu antichambrieren und junker- liche Duelle auszufechten 6). Er verwechselt in naivster Weise den äusseren mit dem inneren Adel. Er kennt keine Rücksichten und Hemmungen, wenn seine "Ehre" (bei Junkern!) und seine Karriere (unter Deutschen!) auf dem Spiele steht, und gleichwohl schwuren auf dem "Gothaer Einigungskongress" zwischen Marxisten und Lassalleanern (1875) zwei Drittel der jungen sozialdemokratischen Partei auf seinen Namen. Zu spät verrieten seine Tagebücher das Ge- heimnis seiner Pläne, in denen das Proletariat nur die Rolle
tragen ihm Leipziger Weitlingianer ihre Führung an. 37 jährig stellt er sich an die Spitze einer Bewegung, mit deren freiwilligem Verzicht auf Genuss, Macht und Ruhm, ja mit deren kommunistischer Intention, von Weitlings christlicher Idee ganz zu schweigen, er nicht das Geringste gemeinsam hatte; denn typisch wie sein Ziel, diese Bewe- gung „zu einem Heerbann für seine hochfliegenden Pläne zu gestalten“ 3), ist der Vorwurf, den Marx ihm später machen konnte, er habe das „Kommunistische Manifest“ gefälscht oder nicht verstanden.
Er lässt sich von seiner Freundin Hatzfeld phantasti- sche Unterredungen mit Bismarck vermitteln und schlägt ihm, kurze Zeit vor Ausbruch des Krieges von 1866, der als Bruderkrieg keineswegs Aussicht auf Volkstümlichkeit hatte, die Oktroyierung des allgemeinen Wahlrechts und Produktivgenossenschaften mit Staatsmitteln vor, zwei Vor- schläge, die einem groben Vertrauensbruch der ihm blindlings ergebenen Arbeiterschaft gegenüber gleichkamen 4). Seine masslose Eitelkeit gefällt sich in der Rolle eines Vertrauten Bismarcks, dem er von allen seinen Veröffentlichungen durch das Sekretariat des „Allgemeinen deutschen Arbeitervereins“ ein Doppelexemplar in verschlossenem Kuvert mit der Auf- schrift „persönlich“ senden lässt 5); und der Ehrgeiz, Bräuti- gam eines adligen Fräuleins zu werden, zeigt diesen selt- samen jüdischen Revolutionär bereit, zum Katholizismus überzutreten, bei Ministern zu antichambrieren und junker- liche Duelle auszufechten 6). Er verwechselt in naivster Weise den äusseren mit dem inneren Adel. Er kennt keine Rücksichten und Hemmungen, wenn seine „Ehre“ (bei Junkern!) und seine Karriere (unter Deutschen!) auf dem Spiele steht, und gleichwohl schwuren auf dem „Gothaer Einigungskongress“ zwischen Marxisten und Lassalleanern (1875) zwei Drittel der jungen sozialdemokratischen Partei auf seinen Namen. Zu spät verrieten seine Tagebücher das Ge- heimnis seiner Pläne, in denen das Proletariat nur die Rolle
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tragen ihm Leipziger Weitlingianer ihre Führung an.
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ja mit deren kommunistischer Intention, von Weitlings
christlicher Idee ganz zu schweigen, er nicht das Geringste
gemeinsam hatte; denn typisch wie sein Ziel, diese Bewe-
gung „zu einem Heerbann für seine hochfliegenden Pläne
zu gestalten“
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, ist der Vorwurf, den Marx ihm später machen
konnte, er habe das „Kommunistische Manifest“ gefälscht
oder nicht verstanden.
Er lässt sich von seiner Freundin Hatzfeld phantasti-
sche Unterredungen mit Bismarck vermitteln und schlägt
ihm, kurze Zeit vor Ausbruch des Krieges von 1866, der
als Bruderkrieg keineswegs Aussicht auf Volkstümlichkeit
hatte, die Oktroyierung des allgemeinen Wahlrechts und
Produktivgenossenschaften mit Staatsmitteln vor, zwei Vor-
schläge, die einem groben Vertrauensbruch der ihm blindlings
ergebenen Arbeiterschaft gegenüber gleichkamen
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. Seine
masslose Eitelkeit gefällt sich in der Rolle eines Vertrauten
Bismarcks, dem er von allen seinen Veröffentlichungen durch
das Sekretariat des „Allgemeinen deutschen Arbeitervereins“
ein Doppelexemplar in verschlossenem Kuvert mit der Auf-
schrift „persönlich“ senden lässt
⁵⁾
; und der Ehrgeiz, Bräuti-
gam eines adligen Fräuleins zu werden, zeigt diesen selt-
samen jüdischen Revolutionär bereit, zum Katholizismus
überzutreten, bei Ministern zu antichambrieren und junker-
liche Duelle auszufechten
⁶⁾
. Er verwechselt in naivster
Weise den äusseren mit dem inneren Adel. Er kennt keine
Rücksichten und Hemmungen, wenn seine „Ehre“ (bei
Junkern!) und seine Karriere (unter Deutschen!) auf dem
Spiele steht, und gleichwohl schwuren auf dem „Gothaer
Einigungskongress“ zwischen Marxisten und Lassalleanern
(1875) zwei Drittel der jungen sozialdemokratischen Partei auf
seinen Namen. Zu spät verrieten seine Tagebücher das Ge-
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/181>, abgerufen am 21.11.2024.
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