kalt, indifferent, reflektiert, ohne Boden und Leidenschaft; es war eine tote und fruchtlose Abstraktion, ein theoretisches Machwerk, das keinen Funken von produktivem, schaffen- dem Feuer in sich enthielt. Dem Kommunismus dagegen kann man keinen Mangel an Leidenschaft, an Feuer vorwerfen. Der Kommunismus ist kein Phantom, kein Schatten; in ihm ist eine Wärme, eine Glut verborgen, die gewaltig nach Licht strebt; eine Glut, die nicht mehr zu unterdrücken ist, und deren Entladung gefährlich, ja schreck- lich werden kann, wenn die bevorrechtigte Klasse ihm nicht mit Liebe, mit Opfer und mit einer vollständigen Aner- kennung seines weltgeschichtlichen Berufs diesen Uebergang zum Licht erleichtert" 74).
Das war die politische Seite. Die religiöse Wirkung war nicht geringer. Ludwig Feuerbach, dem ein Handwerks- bursche die "Garantien der Harmonie und Freiheit" über- brachte, rief aus: "Wie war ich überrascht von der Gesin- nung und dem Geiste dieses Schneidergesellen! Wahrlich, er ist ein Prophet seines Standes. Wie frappierten mich der Ernst, die Haltung, der Bildungstrieb! Was ist der Tross unserer akademischen Burschen gegen diesen!" 75) Und Bakunin: "Seit das Christentum nicht mehr das zusammen- haltende und belebende Band der europäischen Staaten ist -- was verbindet sie noch? Was hält noch in ihnen die Weihe der Eintracht und Liebe aufrecht, die durch das Christentum über sie ausgesprochen war? Der heilige Geist der Freiheit und der Gleichheit, der Geist der reinen Menschlichkeit, der durch die französische Revolution unter Blitz und Donner der Menschheit geoffenbart und durch die stürmischen Revolutionskriege als Same eines neuen Lebens überall verbreitet wurde. Dieser Geist ist es, aus dem der Kommunismus entstand; dieser Geist verbindet jetzt auf eine unsichtbare Weise alle Völker ohne Unter- schied der Nationen; diesem Geiste, diesem erhabenen Sohne des Christentums widerstreben jetzt die sogenannten christ-
kalt, indifferent, reflektiert, ohne Boden und Leidenschaft; es war eine tote und fruchtlose Abstraktion, ein theoretisches Machwerk, das keinen Funken von produktivem, schaffen- dem Feuer in sich enthielt. Dem Kommunismus dagegen kann man keinen Mangel an Leidenschaft, an Feuer vorwerfen. Der Kommunismus ist kein Phantom, kein Schatten; in ihm ist eine Wärme, eine Glut verborgen, die gewaltig nach Licht strebt; eine Glut, die nicht mehr zu unterdrücken ist, und deren Entladung gefährlich, ja schreck- lich werden kann, wenn die bevorrechtigte Klasse ihm nicht mit Liebe, mit Opfer und mit einer vollständigen Aner- kennung seines weltgeschichtlichen Berufs diesen Uebergang zum Licht erleichtert“ 74).
Das war die politische Seite. Die religiöse Wirkung war nicht geringer. Ludwig Feuerbach, dem ein Handwerks- bursche die „Garantien der Harmonie und Freiheit“ über- brachte, rief aus: „Wie war ich überrascht von der Gesin- nung und dem Geiste dieses Schneidergesellen! Wahrlich, er ist ein Prophet seines Standes. Wie frappierten mich der Ernst, die Haltung, der Bildungstrieb! Was ist der Tross unserer akademischen Burschen gegen diesen!“ 75) Und Bakunin: „Seit das Christentum nicht mehr das zusammen- haltende und belebende Band der europäischen Staaten ist — was verbindet sie noch? Was hält noch in ihnen die Weihe der Eintracht und Liebe aufrecht, die durch das Christentum über sie ausgesprochen war? Der heilige Geist der Freiheit und der Gleichheit, der Geist der reinen Menschlichkeit, der durch die französische Revolution unter Blitz und Donner der Menschheit geoffenbart und durch die stürmischen Revolutionskriege als Same eines neuen Lebens überall verbreitet wurde. Dieser Geist ist es, aus dem der Kommunismus entstand; dieser Geist verbindet jetzt auf eine unsichtbare Weise alle Völker ohne Unter- schied der Nationen; diesem Geiste, diesem erhabenen Sohne des Christentums widerstreben jetzt die sogenannten christ-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0165"n="157"/>
kalt, indifferent, reflektiert, ohne Boden und Leidenschaft;<lb/>
es war eine tote und fruchtlose Abstraktion, ein theoretisches<lb/>
Machwerk, das keinen Funken von produktivem, schaffen-<lb/>
dem Feuer in sich enthielt. Dem Kommunismus dagegen<lb/>
kann man keinen Mangel an Leidenschaft, an Feuer<lb/>
vorwerfen. Der Kommunismus ist kein Phantom, kein<lb/>
Schatten; in ihm ist eine Wärme, eine Glut verborgen, die<lb/>
gewaltig nach Licht strebt; eine Glut, die nicht mehr zu<lb/>
unterdrücken ist, und deren Entladung gefährlich, ja schreck-<lb/>
lich werden kann, wenn die bevorrechtigte Klasse ihm nicht<lb/>
mit Liebe, mit Opfer und mit einer vollständigen Aner-<lb/>
kennung seines weltgeschichtlichen Berufs diesen Uebergang<lb/>
zum Licht erleichtert“<notexml:id="id74c"next="id74c74c"place="end"n="74)"/>.</p><lb/><p>Das war die politische Seite. Die religiöse Wirkung<lb/>
war nicht geringer. Ludwig Feuerbach, dem ein Handwerks-<lb/>
bursche die „Garantien der Harmonie und Freiheit“ über-<lb/>
brachte, rief aus: „Wie war ich überrascht von der Gesin-<lb/>
nung und dem Geiste dieses Schneidergesellen! Wahrlich,<lb/>
er ist ein Prophet seines Standes. Wie frappierten mich der<lb/>
Ernst, die Haltung, der Bildungstrieb! Was ist der Tross<lb/>
unserer akademischen Burschen gegen diesen!“<notexml:id="id75c"next="id75c75c"place="end"n="75)"/> Und<lb/>
Bakunin: „Seit das Christentum nicht mehr das zusammen-<lb/>
haltende und belebende Band der europäischen Staaten ist<lb/>— was verbindet sie noch? Was hält noch in ihnen die<lb/>
Weihe der Eintracht und Liebe aufrecht, die durch das<lb/>
Christentum über sie ausgesprochen war? Der heilige Geist<lb/>
der Freiheit und der Gleichheit, der Geist der reinen<lb/>
Menschlichkeit, der durch die französische Revolution unter<lb/>
Blitz und Donner der Menschheit geoffenbart und durch<lb/>
die stürmischen Revolutionskriege als Same eines neuen<lb/>
Lebens überall verbreitet wurde. Dieser Geist ist es, aus<lb/>
dem der Kommunismus entstand; dieser Geist verbindet<lb/>
jetzt auf eine unsichtbare Weise alle Völker ohne Unter-<lb/>
schied der Nationen; diesem Geiste, diesem erhabenen Sohne<lb/>
des Christentums widerstreben jetzt die sogenannten christ-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[157/0165]
kalt, indifferent, reflektiert, ohne Boden und Leidenschaft;
es war eine tote und fruchtlose Abstraktion, ein theoretisches
Machwerk, das keinen Funken von produktivem, schaffen-
dem Feuer in sich enthielt. Dem Kommunismus dagegen
kann man keinen Mangel an Leidenschaft, an Feuer
vorwerfen. Der Kommunismus ist kein Phantom, kein
Schatten; in ihm ist eine Wärme, eine Glut verborgen, die
gewaltig nach Licht strebt; eine Glut, die nicht mehr zu
unterdrücken ist, und deren Entladung gefährlich, ja schreck-
lich werden kann, wenn die bevorrechtigte Klasse ihm nicht
mit Liebe, mit Opfer und mit einer vollständigen Aner-
kennung seines weltgeschichtlichen Berufs diesen Uebergang
zum Licht erleichtert“
⁷⁴⁾
.
Das war die politische Seite. Die religiöse Wirkung
war nicht geringer. Ludwig Feuerbach, dem ein Handwerks-
bursche die „Garantien der Harmonie und Freiheit“ über-
brachte, rief aus: „Wie war ich überrascht von der Gesin-
nung und dem Geiste dieses Schneidergesellen! Wahrlich,
er ist ein Prophet seines Standes. Wie frappierten mich der
Ernst, die Haltung, der Bildungstrieb! Was ist der Tross
unserer akademischen Burschen gegen diesen!“
⁷⁵⁾
Und
Bakunin: „Seit das Christentum nicht mehr das zusammen-
haltende und belebende Band der europäischen Staaten ist
— was verbindet sie noch? Was hält noch in ihnen die
Weihe der Eintracht und Liebe aufrecht, die durch das
Christentum über sie ausgesprochen war? Der heilige Geist
der Freiheit und der Gleichheit, der Geist der reinen
Menschlichkeit, der durch die französische Revolution unter
Blitz und Donner der Menschheit geoffenbart und durch
die stürmischen Revolutionskriege als Same eines neuen
Lebens überall verbreitet wurde. Dieser Geist ist es, aus
dem der Kommunismus entstand; dieser Geist verbindet
jetzt auf eine unsichtbare Weise alle Völker ohne Unter-
schied der Nationen; diesem Geiste, diesem erhabenen Sohne
des Christentums widerstreben jetzt die sogenannten christ-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/165>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.