Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

Bild:
<< vorherige Seite

wählten, die zugleich Freiheit und Heiligung in sich tragen;
die den Kanon der Menschheit und Menschlichkeit auf-
rechterhalten und über Jahrhunderte weg zwischen Schi-
mären, Tierleibern, Fratzen und Höllenspuk das Urbild des
Schöpfers wahren.

Die Mentalität der Menge: das ist eine Summe von
Ziel- und Rastlosigkeit, von Verzweiflung und kleiner
Kurage, von Opportunismus und Weichlichkeit, von ver-
kappter Sentimentalität und überhobener Arroganz. Die
Mentalität der Menge: das ist ihr schlechtes Gewissen,
das sind ihre Fälscher und Wortverdreher, ihre "jahraus
jahrein galoppierenden Federn" und Denunzianten, ihre
Spitzel und Rabulisten, ihre Grossmäuler, Demagogen und
Faselhänse. Ein heilloses Konzert! Eine Orgie seltsamer
Verzerrung! Wehe dem Land, wo solche Mentalität den Geist
überschreit, aber dreimal wehe dem Land, wo sie allein
nur herrscht und sich selbst für den Geist hält. Verhärtung,
Zerrissenheit, Korruption verhindern das Mass und die
Norm; Tobsucht und Wut sind Trumpf. Solch Land ist
verloren und weiss es nicht.

4.

Eine der wichtigsten Aufgaben der Intelligenz ist es,
den Blick der Nation dorthin zu lenken, wo die grossen
Ideen herkommen; Raum zu schaffen für diese Ideen und
dem Lauf der Geschichte mit tausend offenen Sinnen knapp
auf den Fersen zu folgen. Die Geister, die Deutschland zu
bilden versprachen, jene Musiker der Kriterien und Masstäbe,
die in Philosophien wie in Partituren zu lesen verstanden, sind
nicht Legion. Sie fanden ihre Aufgabe erschwert. Sie fanden sich
von Anfang an in einer Umgebung, die ihre Aufgabe nicht
stützte, sondern ihr höhnisch und krass widersprach, ja sie un-
möglich machte. Die Idee des Imperium Romanum, die das
ganze Mittelalter erfüllte, Verbindung und Widerstreit zwischen

wählten, die zugleich Freiheit und Heiligung in sich tragen;
die den Kanon der Menschheit und Menschlichkeit auf-
rechterhalten und über Jahrhunderte weg zwischen Schi-
mären, Tierleibern, Fratzen und Höllenspuk das Urbild des
Schöpfers wahren.

Die Mentalität der Menge: das ist eine Summe von
Ziel- und Rastlosigkeit, von Verzweiflung und kleiner
Kurage, von Opportunismus und Weichlichkeit, von ver-
kappter Sentimentalität und überhobener Arroganz. Die
Mentalität der Menge: das ist ihr schlechtes Gewissen,
das sind ihre Fälscher und Wortverdreher, ihre „jahraus
jahrein galoppierenden Federn“ und Denunzianten, ihre
Spitzel und Rabulisten, ihre Grossmäuler, Demagogen und
Faselhänse. Ein heilloses Konzert! Eine Orgie seltsamer
Verzerrung! Wehe dem Land, wo solche Mentalität den Geist
überschreit, aber dreimal wehe dem Land, wo sie allein
nur herrscht und sich selbst für den Geist hält. Verhärtung,
Zerrissenheit, Korruption verhindern das Mass und die
Norm; Tobsucht und Wut sind Trumpf. Solch Land ist
verloren und weiss es nicht.

4.

Eine der wichtigsten Aufgaben der Intelligenz ist es,
den Blick der Nation dorthin zu lenken, wo die grossen
Ideen herkommen; Raum zu schaffen für diese Ideen und
dem Lauf der Geschichte mit tausend offenen Sinnen knapp
auf den Fersen zu folgen. Die Geister, die Deutschland zu
bilden versprachen, jene Musiker der Kriterien und Masstäbe,
die in Philosophien wie in Partituren zu lesen verstanden, sind
nicht Legion. Sie fanden ihre Aufgabe erschwert. Sie fanden sich
von Anfang an in einer Umgebung, die ihre Aufgabe nicht
stützte, sondern ihr höhnisch und krass widersprach, ja sie un-
möglich machte. Die Idee des Imperium Romanum, die das
ganze Mittelalter erfüllte, Verbindung und Widerstreit zwischen

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0013" n="5"/>
wählten, die zugleich Freiheit und Heiligung in sich tragen;<lb/>
die den Kanon der Menschheit und Menschlichkeit auf-<lb/>
rechterhalten und über Jahrhunderte weg zwischen Schi-<lb/>
mären, Tierleibern, Fratzen und Höllenspuk das Urbild des<lb/>
Schöpfers wahren.</p><lb/>
          <p>Die Mentalität der Menge: das ist eine Summe von<lb/>
Ziel- und Rastlosigkeit, von Verzweiflung und kleiner<lb/>
Kurage, von Opportunismus und Weichlichkeit, von ver-<lb/>
kappter Sentimentalität und überhobener Arroganz. Die<lb/>
Mentalität der Menge: das ist ihr schlechtes Gewissen,<lb/>
das sind ihre Fälscher und Wortverdreher, ihre &#x201E;jahraus<lb/>
jahrein galoppierenden Federn&#x201C; und Denunzianten, ihre<lb/>
Spitzel und Rabulisten, ihre Grossmäuler, Demagogen und<lb/>
Faselhänse. Ein heilloses Konzert! Eine Orgie seltsamer<lb/>
Verzerrung! Wehe dem Land, wo solche Mentalität den Geist<lb/>
überschreit, aber dreimal wehe dem Land, wo sie allein<lb/>
nur herrscht und sich selbst für den Geist hält. Verhärtung,<lb/>
Zerrissenheit, Korruption verhindern das Mass und die<lb/>
Norm; Tobsucht und Wut sind Trumpf. Solch Land ist<lb/>
verloren und weiss es nicht.</p><lb/>
        </div>
        <div n="2">
          <head>4.</head><lb/>
          <p>Eine der wichtigsten Aufgaben der Intelligenz ist es,<lb/>
den Blick der Nation dorthin zu lenken, wo die grossen<lb/>
Ideen herkommen; Raum zu schaffen für diese Ideen und<lb/>
dem Lauf der Geschichte mit tausend offenen Sinnen knapp<lb/>
auf den Fersen zu folgen. Die Geister, die Deutschland zu<lb/>
bilden versprachen, jene Musiker der Kriterien und Masstäbe,<lb/>
die in Philosophien wie in Partituren zu lesen verstanden, sind<lb/>
nicht Legion. Sie fanden ihre Aufgabe erschwert. Sie fanden sich<lb/>
von Anfang an in einer Umgebung, die ihre Aufgabe nicht<lb/>
stützte, sondern ihr höhnisch und krass widersprach, ja sie un-<lb/>
möglich machte. Die Idee des Imperium Romanum, die das<lb/>
ganze Mittelalter erfüllte, Verbindung und Widerstreit zwischen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[5/0013] wählten, die zugleich Freiheit und Heiligung in sich tragen; die den Kanon der Menschheit und Menschlichkeit auf- rechterhalten und über Jahrhunderte weg zwischen Schi- mären, Tierleibern, Fratzen und Höllenspuk das Urbild des Schöpfers wahren. Die Mentalität der Menge: das ist eine Summe von Ziel- und Rastlosigkeit, von Verzweiflung und kleiner Kurage, von Opportunismus und Weichlichkeit, von ver- kappter Sentimentalität und überhobener Arroganz. Die Mentalität der Menge: das ist ihr schlechtes Gewissen, das sind ihre Fälscher und Wortverdreher, ihre „jahraus jahrein galoppierenden Federn“ und Denunzianten, ihre Spitzel und Rabulisten, ihre Grossmäuler, Demagogen und Faselhänse. Ein heilloses Konzert! Eine Orgie seltsamer Verzerrung! Wehe dem Land, wo solche Mentalität den Geist überschreit, aber dreimal wehe dem Land, wo sie allein nur herrscht und sich selbst für den Geist hält. Verhärtung, Zerrissenheit, Korruption verhindern das Mass und die Norm; Tobsucht und Wut sind Trumpf. Solch Land ist verloren und weiss es nicht. 4. Eine der wichtigsten Aufgaben der Intelligenz ist es, den Blick der Nation dorthin zu lenken, wo die grossen Ideen herkommen; Raum zu schaffen für diese Ideen und dem Lauf der Geschichte mit tausend offenen Sinnen knapp auf den Fersen zu folgen. Die Geister, die Deutschland zu bilden versprachen, jene Musiker der Kriterien und Masstäbe, die in Philosophien wie in Partituren zu lesen verstanden, sind nicht Legion. Sie fanden ihre Aufgabe erschwert. Sie fanden sich von Anfang an in einer Umgebung, die ihre Aufgabe nicht stützte, sondern ihr höhnisch und krass widersprach, ja sie un- möglich machte. Die Idee des Imperium Romanum, die das ganze Mittelalter erfüllte, Verbindung und Widerstreit zwischen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Schulz, Dienstleister (Muttersprachler): Bereitstellung der Texttranskription nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-02-17T09:20:45Z)
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-02-17T09:20:45Z)

Weitere Informationen:

  • Nach den Richtlinien des Deutschen Textarchivs (DTA) transkribiert und ausgezeichnet.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/13
Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/13>, abgerufen am 21.11.2024.