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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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Die Philosophie Hegels läuft hinaus auf eine Erweite-
rung des protestantischen Gedankens und des absolutistischen
Bewusstseins, nicht aber der Wahrheit und Erkenntnis.
Jener Satz Hegels aus seiner Vorrede zur Rechtsphilosophie:
"Was vernünftig ist, das ist wirklich und was wirklich ist,
das ist vernünftig", mag einmal eine Tat gewesen sein, als
Anerkennung der Wirklichkeit gegenüber der doktrinären
Verdächtigung und Verfluchung aller Realität im heiligen
römischen Reich. Eine Erkenntnis aber enthielt er nie, und er
konnte auch in all seiner summarischen Anerkennung des
Verruchten wie des Verklärten nur innerhalb eines Systems
aufrechterhalten werden, das sich im Balancement von Ab-
straktionen und Begriffen intellektualiter begnügte. Jener
andere Hauptsatz Hegels aber, "der einzige Gedanke, den
die Philosophie mitbringt", der einfache Gedanke der Ver-
nunft, "dass die Vernunft die Welt beherrsche, dass es also
auch in der Weltgeschichte vernünftig zugegangen sei" 179):
ist nicht auch dieser Satz eine Unwahrheit, eine so hand-
greifliche moralische Kapitulation, dass nur ein in theolo-
gischen Dingen kritikloses Volk den hinterhältigen Glauben
an die Absurdität übersehen konnte, der sich hier verbarg? 180)

Die Hegel'sche Rechts- und Geschichtsphilosophie zu-
sammen hatten nur die Bestimmung, eine Art Beweisführung
für des Autors im protestantischen Dogma befangene Ueber-
zeugung zu liefern, dass "die preussische Monarchie das
Ideal eines politischen Organismus" sei 181). Denn ebenso
wie Bismarck später an den "grossen Entwicklungsprozess"
glaubte, "in welchem Moses, die christliche Offenbarung und
die Reformation als Etappen erscheinen", so glaubte Hegel
in seiner "Philosophie des Rechts" an den "germanischen
Geist" als den "Geist der neuen Welt" und an einen "Trieb
der Perfektibilität" 182). Wie argumentierte er doch? "Die
dritte Periode der germanischen Welt geht von der Refor-
mation bis auf unsere Zeiten. Das Prinzip des freien Geistes
ist hier zum Panier der Welt gemacht und an diesem Prin-

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Die Philosophie Hegels läuft hinaus auf eine Erweite-
rung des protestantischen Gedankens und des absolutistischen
Bewusstseins, nicht aber der Wahrheit und Erkenntnis.
Jener Satz Hegels aus seiner Vorrede zur Rechtsphilosophie:
„Was vernünftig ist, das ist wirklich und was wirklich ist,
das ist vernünftig“, mag einmal eine Tat gewesen sein, als
Anerkennung der Wirklichkeit gegenüber der doktrinären
Verdächtigung und Verfluchung aller Realität im heiligen
römischen Reich. Eine Erkenntnis aber enthielt er nie, und er
konnte auch in all seiner summarischen Anerkennung des
Verruchten wie des Verklärten nur innerhalb eines Systems
aufrechterhalten werden, das sich im Balancement von Ab-
straktionen und Begriffen intellektualiter begnügte. Jener
andere Hauptsatz Hegels aber, „der einzige Gedanke, den
die Philosophie mitbringt“, der einfache Gedanke der Ver-
nunft, „dass die Vernunft die Welt beherrsche, dass es also
auch in der Weltgeschichte vernünftig zugegangen sei“ 179):
ist nicht auch dieser Satz eine Unwahrheit, eine so hand-
greifliche moralische Kapitulation, dass nur ein in theolo-
gischen Dingen kritikloses Volk den hinterhältigen Glauben
an die Absurdität übersehen konnte, der sich hier verbarg? 180)

Die Hegel'sche Rechts- und Geschichtsphilosophie zu-
sammen hatten nur die Bestimmung, eine Art Beweisführung
für des Autors im protestantischen Dogma befangene Ueber-
zeugung zu liefern, dass „die preussische Monarchie das
Ideal eines politischen Organismus“ sei 181). Denn ebenso
wie Bismarck später an den „grossen Entwicklungsprozess“
glaubte, „in welchem Moses, die christliche Offenbarung und
die Reformation als Etappen erscheinen“, so glaubte Hegel
in seiner „Philosophie des Rechts“ an den „germanischen
Geist“ als den „Geist der neuen Welt“ und an einen „Trieb
der Perfektibilität“ 182). Wie argumentierte er doch? „Die
dritte Periode der germanischen Welt geht von der Refor-
mation bis auf unsere Zeiten. Das Prinzip des freien Geistes
ist hier zum Panier der Welt gemacht und an diesem Prin-

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[113/0121] Die Philosophie Hegels läuft hinaus auf eine Erweite- rung des protestantischen Gedankens und des absolutistischen Bewusstseins, nicht aber der Wahrheit und Erkenntnis. Jener Satz Hegels aus seiner Vorrede zur Rechtsphilosophie: „Was vernünftig ist, das ist wirklich und was wirklich ist, das ist vernünftig“, mag einmal eine Tat gewesen sein, als Anerkennung der Wirklichkeit gegenüber der doktrinären Verdächtigung und Verfluchung aller Realität im heiligen römischen Reich. Eine Erkenntnis aber enthielt er nie, und er konnte auch in all seiner summarischen Anerkennung des Verruchten wie des Verklärten nur innerhalb eines Systems aufrechterhalten werden, das sich im Balancement von Ab- straktionen und Begriffen intellektualiter begnügte. Jener andere Hauptsatz Hegels aber, „der einzige Gedanke, den die Philosophie mitbringt“, der einfache Gedanke der Ver- nunft, „dass die Vernunft die Welt beherrsche, dass es also auch in der Weltgeschichte vernünftig zugegangen sei“ ¹⁷⁹⁾ : ist nicht auch dieser Satz eine Unwahrheit, eine so hand- greifliche moralische Kapitulation, dass nur ein in theolo- gischen Dingen kritikloses Volk den hinterhältigen Glauben an die Absurdität übersehen konnte, der sich hier verbarg? ¹⁸⁰⁾ Die Hegel'sche Rechts- und Geschichtsphilosophie zu- sammen hatten nur die Bestimmung, eine Art Beweisführung für des Autors im protestantischen Dogma befangene Ueber- zeugung zu liefern, dass „die preussische Monarchie das Ideal eines politischen Organismus“ sei ¹⁸¹⁾ . Denn ebenso wie Bismarck später an den „grossen Entwicklungsprozess“ glaubte, „in welchem Moses, die christliche Offenbarung und die Reformation als Etappen erscheinen“, so glaubte Hegel in seiner „Philosophie des Rechts“ an den „germanischen Geist“ als den „Geist der neuen Welt“ und an einen „Trieb der Perfektibilität“ ¹⁸²⁾ . Wie argumentierte er doch? „Die dritte Periode der germanischen Welt geht von der Refor- mation bis auf unsere Zeiten. Das Prinzip des freien Geistes ist hier zum Panier der Welt gemacht und an diesem Prin- 8

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/121>, abgerufen am 23.11.2024.