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Bahnson, Minna: Ist es wünschenswert, daß der § 3 aus den Satzungen des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht gestrichen wird? Bremen, [1912].

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einem Punkt seines Programms. 1902 wurde dann der Deutsche Verein
für Frauenstimmrecht gegründet, der sich am 1. Oktober 1904 als
Deutscher Verband für Frauenstimmrecht neu organisierte, und erst von
der Hauptversammlung in Frankfurt a. M., also von 1907 an, erscheint
dieser berüchtigte § 3 in den Verbandssatzungen, der seitdem eigentlich
auf allen Tagungen ein heißumstrittenes Kampfobjekt war, und auf der
außerordentlichen Generalversammlung des Deutschen Verbandes für
Frauenstimmrecht in Berlin im März d. J. zu einer Art von Spruch-
gericht führte, wie man es sich unwürdiger wirklich nicht vorstellen
konnte. Dabei muß man sich doch sagen, wenn diese Forderung im
Anfang der Frauenstimmrechtsbewegung nicht als ganz selbstverständlich
damit verbunden wurde, jedenfalls nicht in den Satzungen enthalten
war, sondern erst fünf Jahre später nach heißen, stundenlangen Kämpfen
hineingebracht wurde, und sich nun nach Ansicht vieler als ein taktischer
Fehler herausstellt, ist es dann jetzt ein solches Majestätsverbrechen,
wenn man versucht, diesen Fehler wieder gut zu machen, indem man
ihn offen zugibt und den Paragraphen aus den Satzungen wieder streicht?

Die Verfechter dieses Paragraphen führen zu seiner Verteidigung
an, die Begründerinnen und Führerinnen unserer deutschen Frauen-
stimmrechtsbewegung hätten von Anfang an die Forderung des all-
gemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts als ganz selbst-
verständlich betrachtet. Erst als sich bei der Ausbreitung der Bewegung
andere Richtungen bemerkbar gemacht hätten, hätten sie die satzungs-
gemäße Festlegung dieser Forderung als notwendig empfunden und in
Frankfurt durchgesetzt. Damit wird aber doch eigentlich nur zugegeben,
daß die radikaleren oder fortschrittlicheren Elemente schon damals bewußt
die gemäßigteren oder weiter rechtsstehenden Frauen vom Frauenstimmrecht
ausschließen oder jedenfalls ein bestimmtes politisches Bekenntnis von den
Mitgliedern fordern wollten. Damit hemmten sie aber die Ausbreitung
ihrer Jdeen, statt sie zu fördern. Sie hemmten deren Ausbreitung
jedenfalls bei allen der Sozialdemokratie fernstehenden Frauen. Was
nützt alles Liebäugeln mit der Sozialdemokratie, alles ängstliche Ver-
meiden eines scheinbaren "Abrückens" von der Arbeiterinnenbewegung,
wenn diese immer wieder erklärt, eine tiefe Kluft trenne sie von allen
bürgerlichen Frauen. Man kann aber keine Bewegung, mag sie mit
noch so umstürzlerischen Jdeen begonnen haben, künstlich radikal erhalten.

Noch jede Bewegung ist in der praktischen Arbeit gemäßigter
geworden, ohne sich damit ihr eigenes Todesurteil zu sprechen. Jm
Gegenteil! Man denke nur z. B. gerade an die radikalste aller Parteien,
die Sozialdemokratie! Wieviel hat sie von den ursprünglichen An-

einem Punkt seines Programms. 1902 wurde dann der Deutsche Verein
für Frauenstimmrecht gegründet, der sich am 1. Oktober 1904 als
Deutscher Verband für Frauenstimmrecht neu organisierte, und erst von
der Hauptversammlung in Frankfurt a. M., also von 1907 an, erscheint
dieser berüchtigte § 3 in den Verbandssatzungen, der seitdem eigentlich
auf allen Tagungen ein heißumstrittenes Kampfobjekt war, und auf der
außerordentlichen Generalversammlung des Deutschen Verbandes für
Frauenstimmrecht in Berlin im März d. J. zu einer Art von Spruch-
gericht führte, wie man es sich unwürdiger wirklich nicht vorstellen
konnte. Dabei muß man sich doch sagen, wenn diese Forderung im
Anfang der Frauenstimmrechtsbewegung nicht als ganz selbstverständlich
damit verbunden wurde, jedenfalls nicht in den Satzungen enthalten
war, sondern erst fünf Jahre später nach heißen, stundenlangen Kämpfen
hineingebracht wurde, und sich nun nach Ansicht vieler als ein taktischer
Fehler herausstellt, ist es dann jetzt ein solches Majestätsverbrechen,
wenn man versucht, diesen Fehler wieder gut zu machen, indem man
ihn offen zugibt und den Paragraphen aus den Satzungen wieder streicht?

Die Verfechter dieses Paragraphen führen zu seiner Verteidigung
an, die Begründerinnen und Führerinnen unserer deutschen Frauen-
stimmrechtsbewegung hätten von Anfang an die Forderung des all-
gemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts als ganz selbst-
verständlich betrachtet. Erst als sich bei der Ausbreitung der Bewegung
andere Richtungen bemerkbar gemacht hätten, hätten sie die satzungs-
gemäße Festlegung dieser Forderung als notwendig empfunden und in
Frankfurt durchgesetzt. Damit wird aber doch eigentlich nur zugegeben,
daß die radikaleren oder fortschrittlicheren Elemente schon damals bewußt
die gemäßigteren oder weiter rechtsstehenden Frauen vom Frauenstimmrecht
ausschließen oder jedenfalls ein bestimmtes politisches Bekenntnis von den
Mitgliedern fordern wollten. Damit hemmten sie aber die Ausbreitung
ihrer Jdeen, statt sie zu fördern. Sie hemmten deren Ausbreitung
jedenfalls bei allen der Sozialdemokratie fernstehenden Frauen. Was
nützt alles Liebäugeln mit der Sozialdemokratie, alles ängstliche Ver-
meiden eines scheinbaren „Abrückens“ von der Arbeiterinnenbewegung,
wenn diese immer wieder erklärt, eine tiefe Kluft trenne sie von allen
bürgerlichen Frauen. Man kann aber keine Bewegung, mag sie mit
noch so umstürzlerischen Jdeen begonnen haben, künstlich radikal erhalten.

Noch jede Bewegung ist in der praktischen Arbeit gemäßigter
geworden, ohne sich damit ihr eigenes Todesurteil zu sprechen. Jm
Gegenteil! Man denke nur z. B. gerade an die radikalste aller Parteien,
die Sozialdemokratie! Wieviel hat sie von den ursprünglichen An-

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[4/0003] einem Punkt seines Programms. 1902 wurde dann der Deutsche Verein für Frauenstimmrecht gegründet, der sich am 1. Oktober 1904 als Deutscher Verband für Frauenstimmrecht neu organisierte, und erst von der Hauptversammlung in Frankfurt a. M., also von 1907 an, erscheint dieser berüchtigte § 3 in den Verbandssatzungen, der seitdem eigentlich auf allen Tagungen ein heißumstrittenes Kampfobjekt war, und auf der außerordentlichen Generalversammlung des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht in Berlin im März d. J. zu einer Art von Spruch- gericht führte, wie man es sich unwürdiger wirklich nicht vorstellen konnte. Dabei muß man sich doch sagen, wenn diese Forderung im Anfang der Frauenstimmrechtsbewegung nicht als ganz selbstverständlich damit verbunden wurde, jedenfalls nicht in den Satzungen enthalten war, sondern erst fünf Jahre später nach heißen, stundenlangen Kämpfen hineingebracht wurde, und sich nun nach Ansicht vieler als ein taktischer Fehler herausstellt, ist es dann jetzt ein solches Majestätsverbrechen, wenn man versucht, diesen Fehler wieder gut zu machen, indem man ihn offen zugibt und den Paragraphen aus den Satzungen wieder streicht? Die Verfechter dieses Paragraphen führen zu seiner Verteidigung an, die Begründerinnen und Führerinnen unserer deutschen Frauen- stimmrechtsbewegung hätten von Anfang an die Forderung des all- gemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts als ganz selbst- verständlich betrachtet. Erst als sich bei der Ausbreitung der Bewegung andere Richtungen bemerkbar gemacht hätten, hätten sie die satzungs- gemäße Festlegung dieser Forderung als notwendig empfunden und in Frankfurt durchgesetzt. Damit wird aber doch eigentlich nur zugegeben, daß die radikaleren oder fortschrittlicheren Elemente schon damals bewußt die gemäßigteren oder weiter rechtsstehenden Frauen vom Frauenstimmrecht ausschließen oder jedenfalls ein bestimmtes politisches Bekenntnis von den Mitgliedern fordern wollten. Damit hemmten sie aber die Ausbreitung ihrer Jdeen, statt sie zu fördern. Sie hemmten deren Ausbreitung jedenfalls bei allen der Sozialdemokratie fernstehenden Frauen. Was nützt alles Liebäugeln mit der Sozialdemokratie, alles ängstliche Ver- meiden eines scheinbaren „Abrückens“ von der Arbeiterinnenbewegung, wenn diese immer wieder erklärt, eine tiefe Kluft trenne sie von allen bürgerlichen Frauen. Man kann aber keine Bewegung, mag sie mit noch so umstürzlerischen Jdeen begonnen haben, künstlich radikal erhalten. Noch jede Bewegung ist in der praktischen Arbeit gemäßigter geworden, ohne sich damit ihr eigenes Todesurteil zu sprechen. Jm Gegenteil! Man denke nur z. B. gerade an die radikalste aller Parteien, die Sozialdemokratie! Wieviel hat sie von den ursprünglichen An-

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-12-05T18:44:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-12-05T18:44:52Z)

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Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Bahnson, Minna: Ist es wünschenswert, daß der § 3 aus den Satzungen des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht gestrichen wird? Bremen, [1912], S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bahnson_satzungen_1912/3>, abgerufen am 22.11.2024.