Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

die letztere Benennung kann man ihnen nicht geben, wenn man weiss, dass in
jedem sogenannten Riechganglion, jeder Hälfte unsers Vorderhirnes in früherer
Zeit ein freies Ganglion enthalten ist.

Die Anschwellungen im Zwischenhirne müssen die Sehhügel seyn. Ueber-
diess liegt zwischen ihrem vordern Ende der Eingang in den Hirnanhang. Nach
hinten sind sie durch ein Faserbündel (Reils Schleife) mit dem Vierhügel ver-
bunden. Zwar liegen sie weiter aus einander, als die Sehhügel der Säugethiere
und Vögel, allein beim ersten Auftreten sind sie in den Embryonen dieser Thiere
noch weiter von einander gerückt, und so auch in ganz jungen Karpfen-Arten
von 1 Zoll Länge. -- Wie in allen Thieren verlängert sich nach unsrer Deu-
tung diese dritte Hirnhöhle auch in den Fischen nach unten in den Trichter.
Allein es hat in diesen Thieren noch die dritte Hirnhöhle eine kleine Oeffnung
nach vorn, die in die Furche zwischen dem Vorderhirn und diesem Zwischen-
hirne führt. Diese Oeffnung ist nichts anders als die in sehr früher Zeit aufge-
rissene Stelle des Zwischenhirnes, welches sich im Fische sehr viel weniger öff-
net, als im Vogel oder Säugethier. Dagegen ist hier sehr viel mehr Decke.
Diese geht im Vogel und Säugethier grösstentheils durch das Aufreissen verloren,
theils schiebt sie sich als Zirbel und sogenannte hintere Commissur zurück und
die ganze Hirnzelle des Mittelhirnes wird unkenntlich, indem bei stärkerer Wu-
cherung der Sehhügel der Rest der Seitenwand sich an diese anlegt. Wenn nun
das Vorderhirn sich hinüberzieht, so muss nothwendig die dritte Hirnhöhle oder
besser die Höhle des Zwischenhirnes unmittelbar in die gedoppelte Höhle des Vor-
derhirnes übergeben, im Fische aber nur in die Queerspalte zwischen beiden Ab-
theilungen des Hirnes.

Fragen Sie nun, ob ich die Decke des Mittelhirnes der Fische der Zirbel
oder der hintern Commissur gleich setze, so antworte ich: beiden Theilen, doch
mehr der letztern. Eine Spur von der Zirbelbildung sieht man nämlich auch in
vielen Fischen, dicht an dem vordern Eingange. Dazu kommt noch, dass die
sogenannte hintere Commissur, die wir uns gewöhnlich als schmale Binde zu
denken gewohnt sind, diese Gestalt erst später erhält, dass sie im Embryo des
Vogels bald nach dem Aufreissen der vordern Gegend viel mehr relative Länge
hat als später, vorzüglich aber, dass in den Larven der Batrachier, wo sich ein
Theil der Decke des Zwischenhirnes zur Zirbel ausbildet, hinter ihr noch ein
ansehnlicher Theil unter der gewöhnlichen Form der Decke übrig bleibt. Bis
hierher ist der Beweis, dass der besprochene Hirntheil der Knochenfische das
Zwischenhirn ist, so evident, dass ich nicht einsehe, was sich dagegen einwen-

die letztere Benennung kann man ihnen nicht geben, wenn man weiſs, daſs in
jedem sogenannten Riechganglion, jeder Hälfte unsers Vorderhirnes in früherer
Zeit ein freies Ganglion enthalten ist.

Die Anschwellungen im Zwischenhirne müssen die Sehhügel seyn. Ueber-
dieſs liegt zwischen ihrem vordern Ende der Eingang in den Hirnanhang. Nach
hinten sind sie durch ein Faserbündel (Reils Schleife) mit dem Vierhügel ver-
bunden. Zwar liegen sie weiter aus einander, als die Sehhügel der Säugethiere
und Vögel, allein beim ersten Auftreten sind sie in den Embryonen dieser Thiere
noch weiter von einander gerückt, und so auch in ganz jungen Karpfen-Arten
von 1 Zoll Länge. — Wie in allen Thieren verlängert sich nach unsrer Deu-
tung diese dritte Hirnhöhle auch in den Fischen nach unten in den Trichter.
Allein es hat in diesen Thieren noch die dritte Hirnhöhle eine kleine Oeffnung
nach vorn, die in die Furche zwischen dem Vorderhirn und diesem Zwischen-
hirne führt. Diese Oeffnung ist nichts anders als die in sehr früher Zeit aufge-
rissene Stelle des Zwischenhirnes, welches sich im Fische sehr viel weniger öff-
net, als im Vogel oder Säugethier. Dagegen ist hier sehr viel mehr Decke.
Diese geht im Vogel und Säugethier gröſstentheils durch das Aufreiſsen verloren,
theils schiebt sie sich als Zirbel und sogenannte hintere Commissur zurück und
die ganze Hirnzelle des Mittelhirnes wird unkenntlich, indem bei stärkerer Wu-
cherung der Sehhügel der Rest der Seitenwand sich an diese anlegt. Wenn nun
das Vorderhirn sich hinüberzieht, so muſs nothwendig die dritte Hirnhöhle oder
besser die Höhle des Zwischenhirnes unmittelbar in die gedoppelte Höhle des Vor-
derhirnes übergeben, im Fische aber nur in die Queerspalte zwischen beiden Ab-
theilungen des Hirnes.

Fragen Sie nun, ob ich die Decke des Mittelhirnes der Fische der Zirbel
oder der hintern Commissur gleich setze, so antworte ich: beiden Theilen, doch
mehr der letztern. Eine Spur von der Zirbelbildung sieht man nämlich auch in
vielen Fischen, dicht an dem vordern Eingange. Dazu kommt noch, daſs die
sogenannte hintere Commissur, die wir uns gewöhnlich als schmale Binde zu
denken gewohnt sind, diese Gestalt erst später erhält, daſs sie im Embryo des
Vogels bald nach dem Aufreiſsen der vordern Gegend viel mehr relative Länge
hat als später, vorzüglich aber, daſs in den Larven der Batrachier, wo sich ein
Theil der Decke des Zwischenhirnes zur Zirbel ausbildet, hinter ihr noch ein
ansehnlicher Theil unter der gewöhnlichen Form der Decke übrig bleibt. Bis
hierher ist der Beweis, daſs der besprochene Hirntheil der Knochenfische das
Zwischenhirn ist, so evident, daſs ich nicht einsehe, was sich dagegen einwen-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0316" n="306"/>
die letztere Benennung kann man ihnen nicht geben, wenn man wei&#x017F;s, da&#x017F;s in<lb/>
jedem sogenannten Riechganglion, jeder Hälfte unsers Vorderhirnes in früherer<lb/>
Zeit ein freies Ganglion enthalten ist.</p><lb/>
          <p>Die Anschwellungen im Zwischenhirne müssen die Sehhügel seyn. Ueber-<lb/>
die&#x017F;s liegt zwischen ihrem vordern Ende der Eingang in den Hirnanhang. Nach<lb/>
hinten sind sie durch ein Faserbündel (<hi rendition="#g">Reils</hi> Schleife) mit dem Vierhügel ver-<lb/>
bunden. Zwar liegen sie weiter aus einander, als die Sehhügel der Säugethiere<lb/>
und Vögel, allein beim ersten Auftreten sind sie in den Embryonen dieser Thiere<lb/>
noch weiter von einander gerückt, und so auch in ganz jungen Karpfen-Arten<lb/>
von 1 Zoll Länge. &#x2014; Wie in allen Thieren verlängert sich nach unsrer Deu-<lb/>
tung diese dritte Hirnhöhle auch in den Fischen nach unten in den Trichter.<lb/>
Allein es hat in diesen Thieren noch die dritte Hirnhöhle eine kleine Oeffnung<lb/>
nach vorn, die in die Furche zwischen dem Vorderhirn und diesem Zwischen-<lb/>
hirne führt. Diese Oeffnung ist nichts anders als die in sehr früher Zeit aufge-<lb/>
rissene Stelle des Zwischenhirnes, welches sich im Fische sehr viel weniger öff-<lb/>
net, als im Vogel oder Säugethier. Dagegen ist hier sehr viel mehr Decke.<lb/>
Diese geht im Vogel und Säugethier grö&#x017F;stentheils durch das Aufrei&#x017F;sen verloren,<lb/>
theils schiebt sie sich als Zirbel und sogenannte hintere Commissur zurück und<lb/>
die ganze Hirnzelle des Mittelhirnes wird unkenntlich, indem bei stärkerer Wu-<lb/>
cherung der Sehhügel der Rest der Seitenwand sich an diese anlegt. Wenn nun<lb/>
das Vorderhirn sich hinüberzieht, so mu&#x017F;s nothwendig die dritte Hirnhöhle oder<lb/>
besser die Höhle des Zwischenhirnes unmittelbar in die gedoppelte Höhle des Vor-<lb/>
derhirnes übergeben, im Fische aber nur in die Queerspalte zwischen beiden Ab-<lb/>
theilungen des Hirnes.</p><lb/>
          <p>Fragen Sie nun, ob ich die Decke des Mittelhirnes der Fische der Zirbel<lb/>
oder der hintern Commissur gleich setze, so antworte ich: beiden Theilen, doch<lb/>
mehr der letztern. Eine Spur von der Zirbelbildung sieht man nämlich auch in<lb/>
vielen Fischen, dicht an dem vordern Eingange. Dazu kommt noch, da&#x017F;s die<lb/>
sogenannte hintere Commissur, die wir uns gewöhnlich als schmale Binde zu<lb/>
denken gewohnt sind, diese Gestalt erst später erhält, da&#x017F;s sie im Embryo des<lb/>
Vogels bald nach dem Aufrei&#x017F;sen der vordern Gegend viel mehr relative Länge<lb/>
hat als später, vorzüglich aber, da&#x017F;s in den Larven der Batrachier, wo sich ein<lb/>
Theil der Decke des Zwischenhirnes zur Zirbel ausbildet, hinter ihr noch ein<lb/>
ansehnlicher Theil unter der gewöhnlichen Form der Decke übrig bleibt. Bis<lb/>
hierher ist der Beweis, da&#x017F;s der besprochene Hirntheil der Knochenfische das<lb/>
Zwischenhirn ist, so evident, da&#x017F;s ich nicht einsehe, was sich dagegen einwen-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[306/0316] die letztere Benennung kann man ihnen nicht geben, wenn man weiſs, daſs in jedem sogenannten Riechganglion, jeder Hälfte unsers Vorderhirnes in früherer Zeit ein freies Ganglion enthalten ist. Die Anschwellungen im Zwischenhirne müssen die Sehhügel seyn. Ueber- dieſs liegt zwischen ihrem vordern Ende der Eingang in den Hirnanhang. Nach hinten sind sie durch ein Faserbündel (Reils Schleife) mit dem Vierhügel ver- bunden. Zwar liegen sie weiter aus einander, als die Sehhügel der Säugethiere und Vögel, allein beim ersten Auftreten sind sie in den Embryonen dieser Thiere noch weiter von einander gerückt, und so auch in ganz jungen Karpfen-Arten von 1 Zoll Länge. — Wie in allen Thieren verlängert sich nach unsrer Deu- tung diese dritte Hirnhöhle auch in den Fischen nach unten in den Trichter. Allein es hat in diesen Thieren noch die dritte Hirnhöhle eine kleine Oeffnung nach vorn, die in die Furche zwischen dem Vorderhirn und diesem Zwischen- hirne führt. Diese Oeffnung ist nichts anders als die in sehr früher Zeit aufge- rissene Stelle des Zwischenhirnes, welches sich im Fische sehr viel weniger öff- net, als im Vogel oder Säugethier. Dagegen ist hier sehr viel mehr Decke. Diese geht im Vogel und Säugethier gröſstentheils durch das Aufreiſsen verloren, theils schiebt sie sich als Zirbel und sogenannte hintere Commissur zurück und die ganze Hirnzelle des Mittelhirnes wird unkenntlich, indem bei stärkerer Wu- cherung der Sehhügel der Rest der Seitenwand sich an diese anlegt. Wenn nun das Vorderhirn sich hinüberzieht, so muſs nothwendig die dritte Hirnhöhle oder besser die Höhle des Zwischenhirnes unmittelbar in die gedoppelte Höhle des Vor- derhirnes übergeben, im Fische aber nur in die Queerspalte zwischen beiden Ab- theilungen des Hirnes. Fragen Sie nun, ob ich die Decke des Mittelhirnes der Fische der Zirbel oder der hintern Commissur gleich setze, so antworte ich: beiden Theilen, doch mehr der letztern. Eine Spur von der Zirbelbildung sieht man nämlich auch in vielen Fischen, dicht an dem vordern Eingange. Dazu kommt noch, daſs die sogenannte hintere Commissur, die wir uns gewöhnlich als schmale Binde zu denken gewohnt sind, diese Gestalt erst später erhält, daſs sie im Embryo des Vogels bald nach dem Aufreiſsen der vordern Gegend viel mehr relative Länge hat als später, vorzüglich aber, daſs in den Larven der Batrachier, wo sich ein Theil der Decke des Zwischenhirnes zur Zirbel ausbildet, hinter ihr noch ein ansehnlicher Theil unter der gewöhnlichen Form der Decke übrig bleibt. Bis hierher ist der Beweis, daſs der besprochene Hirntheil der Knochenfische das Zwischenhirn ist, so evident, daſs ich nicht einsehe, was sich dagegen einwen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/316
Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/316>, abgerufen am 21.05.2024.