Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

Es ist nämlich vernünftiger Weise nicht zu zweifeln, dass die Frucht in den
innern Geschlechtstheilen zuerst gebildet werde. Die Beutelthiere haben zwei
Eierstöcke, die im Wesentlichen mit den Eierstöcken anderer Säugethiere über-
einzustimmen scheinen, deren Bau wir bald näher kennen lernen werden. Lei-
der habe ich nicht Gelegenheit gehabt, diese Eierstöcke in frischem Zustande zu
untersuchen, ich weiss daher nicht, ob in den Dottern oder den Graaf'schen Bläs-
chen eine Besonderheit sich zeigt. Die Eileiter finde ich in ihrer hintern Hälfte
bedeutend mehr erweitert, als in den gewöhnlichen Säugethieren. Diese Erwei-
terung stimmt mit dem Eihälter der Monotremen, den ich schon deshalb nicht
für übereinstimmend mit dem Fruchthälter der spätgebärenden Säugethiere halten
möchte. In den Beutelthieren folgt nämlich auf die Eileiter noch ein Theil, den
man gewöhnlich für den Fruchthälter nimmt, der aber doch von der ausgebilde-
ten Form desselben in den gewöhnlichen Säugethieren bedeutend abweicht. Er
zeigt uns nämlich ausser einem mittlern Theile zwei weite Seitenkanäle, die eben-
falls in die Scheide einmünden. Der mittlere Theil ist durch eine Längsfalte
wieder in zwei Gänge getheilt und mündet zwischen den beiden Seitengängen in
die Scheide. Ich werde erst später zeigen können, dass diese Form, die man
einen Uterus contortus genannt hat, als ein in der Entwickelung gehemm-
ter Fruchthälter von gewöhnlicher Form zu betrachten ist. Dieses Verhältniss
angenommen, wird es Sie weniger wundern, dass der Zitzenbeutel als ein zweiter
Fruchthälter dem Emhryo dient. Eben deshalb muss man aber auch wahrschein-
lich finden, dass die Embryonen gradezu in ihn hineingeboren werden, wobei
ohne Zweifel die Scheide sich nach vorn krümmt und die Zitzenknochen die
Oeffnung des Beutels nach hinten ziehen. Andere Wege aus den innern Ge-
schlechtstheilen in den Zitzenbeutel hat man wenigstens nicht finden können.

Wie die Eier oder Embryonen im Zitzenbeutel einen festen Sitz erhalten,
lässt sich nach ganz neuen Beobachtungen von Morgan *) einigermassen ver-
muthen. Dieser fand nämlich, dass vor der Periode des Säugens die Zitzen nicht
vorragen, sondern, dass jede in eine kleine Höhle zurückgezogen sich befindet.
Es ist wahrscheinlich, dass die Embryonen mit dem Munde in diese Höhlen hin-
eingedrängt werden, wenn nicht etwa das ganze Ei hierher gelangt und der Em-
bryo erst hier von den Eihüllen sich löst.

Darüber ist man nämlich noch ganz ungewiss, wie lange der Embryo in
den Eihäuten eingeschlossen bleibt und ob er mit ihnen oder ohne sie in den Zi-
tzenbeutel kommt. Man hat schon an Känguruhs von 56 Pfd Gewicht enthüllte

*) Transactions of the Linnean society. Vol. XVI.

Es ist nämlich vernünftiger Weise nicht zu zweifeln, daſs die Frucht in den
innern Geschlechtstheilen zuerst gebildet werde. Die Beutelthiere haben zwei
Eierstöcke, die im Wesentlichen mit den Eierstöcken anderer Säugethiere über-
einzustimmen scheinen, deren Bau wir bald näher kennen lernen werden. Lei-
der habe ich nicht Gelegenheit gehabt, diese Eierstöcke in frischem Zustande zu
untersuchen, ich weiſs daher nicht, ob in den Dottern oder den Graaf’schen Bläs-
chen eine Besonderheit sich zeigt. Die Eileiter finde ich in ihrer hintern Hälfte
bedeutend mehr erweitert, als in den gewöhnlichen Säugethieren. Diese Erwei-
terung stimmt mit dem Eihälter der Monotremen, den ich schon deshalb nicht
für übereinstimmend mit dem Fruchthälter der spätgebärenden Säugethiere halten
möchte. In den Beutelthieren folgt nämlich auf die Eileiter noch ein Theil, den
man gewöhnlich für den Fruchthälter nimmt, der aber doch von der ausgebilde-
ten Form desselben in den gewöhnlichen Säugethieren bedeutend abweicht. Er
zeigt uns nämlich auſser einem mittlern Theile zwei weite Seitenkanäle, die eben-
falls in die Scheide einmünden. Der mittlere Theil ist durch eine Längsfalte
wieder in zwei Gänge getheilt und mündet zwischen den beiden Seitengängen in
die Scheide. Ich werde erst später zeigen können, daſs diese Form, die man
einen Uterus contortus genannt hat, als ein in der Entwickelung gehemm-
ter Fruchthälter von gewöhnlicher Form zu betrachten ist. Dieses Verhältniſs
angenommen, wird es Sie weniger wundern, daſs der Zitzenbeutel als ein zweiter
Fruchthälter dem Emhryo dient. Eben deshalb muſs man aber auch wahrschein-
lich finden, daſs die Embryonen gradezu in ihn hineingeboren werden, wobei
ohne Zweifel die Scheide sich nach vorn krümmt und die Zitzenknochen die
Oeffnung des Beutels nach hinten ziehen. Andere Wege aus den innern Ge-
schlechtstheilen in den Zitzenbeutel hat man wenigstens nicht finden können.

Wie die Eier oder Embryonen im Zitzenbeutel einen festen Sitz erhalten,
läſst sich nach ganz neuen Beobachtungen von Morgan *) einigermaſsen ver-
muthen. Dieser fand nämlich, daſs vor der Periode des Säugens die Zitzen nicht
vorragen, sondern, daſs jede in eine kleine Höhle zurückgezogen sich befindet.
Es ist wahrscheinlich, daſs die Embryonen mit dem Munde in diese Höhlen hin-
eingedrängt werden, wenn nicht etwa das ganze Ei hierher gelangt und der Em-
bryo erst hier von den Eihüllen sich löst.

Darüber ist man nämlich noch ganz ungewiſs, wie lange der Embryo in
den Eihäuten eingeschlossen bleibt und ob er mit ihnen oder ohne sie in den Zi-
tzenbeutel kommt. Man hat schon an Känguruhs von 56 Pfd Gewicht enthüllte

*) Transactions of the Linnean society. Vol. XVI.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0177" n="167"/>
          <p>Es ist nämlich vernünftiger Weise nicht zu zweifeln, da&#x017F;s die Frucht in den<lb/>
innern Geschlechtstheilen zuerst gebildet werde. Die Beutelthiere haben zwei<lb/>
Eierstöcke, die im Wesentlichen mit den Eierstöcken anderer Säugethiere über-<lb/>
einzustimmen scheinen, deren Bau wir bald näher kennen lernen werden. Lei-<lb/>
der habe ich nicht Gelegenheit gehabt, diese Eierstöcke in frischem Zustande zu<lb/>
untersuchen, ich wei&#x017F;s daher nicht, ob in den Dottern oder den Graaf&#x2019;schen Bläs-<lb/>
chen eine Besonderheit sich zeigt. Die Eileiter finde ich in ihrer hintern Hälfte<lb/>
bedeutend mehr erweitert, als in den gewöhnlichen Säugethieren. Diese Erwei-<lb/>
terung stimmt mit dem Eihälter der Monotremen, den ich schon deshalb nicht<lb/>
für übereinstimmend mit dem Fruchthälter der spätgebärenden Säugethiere halten<lb/>
möchte. In den Beutelthieren folgt nämlich auf die Eileiter noch ein Theil, den<lb/>
man gewöhnlich für den Fruchthälter nimmt, der aber doch von der ausgebilde-<lb/>
ten Form desselben in den gewöhnlichen Säugethieren bedeutend abweicht. Er<lb/>
zeigt uns nämlich au&#x017F;ser einem mittlern Theile zwei weite Seitenkanäle, die eben-<lb/>
falls in die Scheide einmünden. Der mittlere Theil ist durch eine Längsfalte<lb/>
wieder in zwei Gänge getheilt und mündet zwischen den beiden Seitengängen in<lb/>
die Scheide. Ich werde erst später zeigen können, da&#x017F;s diese Form, die man<lb/>
einen <hi rendition="#g"><hi rendition="#i">Uterus contortus</hi></hi> genannt hat, als ein in der Entwickelung gehemm-<lb/>
ter Fruchthälter von gewöhnlicher Form zu betrachten ist. Dieses Verhältni&#x017F;s<lb/>
angenommen, wird es Sie weniger wundern, da&#x017F;s der Zitzenbeutel als ein zweiter<lb/>
Fruchthälter dem Emhryo dient. Eben deshalb mu&#x017F;s man aber auch wahrschein-<lb/>
lich finden, da&#x017F;s die Embryonen gradezu in ihn hineingeboren werden, wobei<lb/>
ohne Zweifel die Scheide sich nach vorn krümmt und die Zitzenknochen die<lb/>
Oeffnung des Beutels nach hinten ziehen. Andere Wege aus den innern Ge-<lb/>
schlechtstheilen in den Zitzenbeutel hat man wenigstens nicht finden können.</p><lb/>
          <p>Wie die Eier oder Embryonen im Zitzenbeutel einen festen Sitz erhalten,<lb/>&#x017F;st sich nach ganz neuen Beobachtungen von <hi rendition="#g">Morgan</hi> <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#i">Transactions of the Linnean society.</hi> Vol. XVI.</note> einigerma&#x017F;sen ver-<lb/>
muthen. Dieser fand nämlich, da&#x017F;s vor der Periode des Säugens die Zitzen nicht<lb/>
vorragen, sondern, da&#x017F;s jede in eine kleine Höhle zurückgezogen sich befindet.<lb/>
Es ist wahrscheinlich, da&#x017F;s die Embryonen mit dem Munde in diese Höhlen hin-<lb/>
eingedrängt werden, wenn nicht etwa das ganze Ei hierher gelangt und der Em-<lb/>
bryo erst hier von den Eihüllen sich löst.</p><lb/>
          <p>Darüber ist man nämlich noch ganz ungewi&#x017F;s, wie lange der Embryo in<lb/>
den Eihäuten eingeschlossen bleibt und ob er mit ihnen oder ohne sie in den Zi-<lb/>
tzenbeutel kommt. Man hat schon an Känguruhs von 56 Pfd Gewicht enthüllte<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0177] Es ist nämlich vernünftiger Weise nicht zu zweifeln, daſs die Frucht in den innern Geschlechtstheilen zuerst gebildet werde. Die Beutelthiere haben zwei Eierstöcke, die im Wesentlichen mit den Eierstöcken anderer Säugethiere über- einzustimmen scheinen, deren Bau wir bald näher kennen lernen werden. Lei- der habe ich nicht Gelegenheit gehabt, diese Eierstöcke in frischem Zustande zu untersuchen, ich weiſs daher nicht, ob in den Dottern oder den Graaf’schen Bläs- chen eine Besonderheit sich zeigt. Die Eileiter finde ich in ihrer hintern Hälfte bedeutend mehr erweitert, als in den gewöhnlichen Säugethieren. Diese Erwei- terung stimmt mit dem Eihälter der Monotremen, den ich schon deshalb nicht für übereinstimmend mit dem Fruchthälter der spätgebärenden Säugethiere halten möchte. In den Beutelthieren folgt nämlich auf die Eileiter noch ein Theil, den man gewöhnlich für den Fruchthälter nimmt, der aber doch von der ausgebilde- ten Form desselben in den gewöhnlichen Säugethieren bedeutend abweicht. Er zeigt uns nämlich auſser einem mittlern Theile zwei weite Seitenkanäle, die eben- falls in die Scheide einmünden. Der mittlere Theil ist durch eine Längsfalte wieder in zwei Gänge getheilt und mündet zwischen den beiden Seitengängen in die Scheide. Ich werde erst später zeigen können, daſs diese Form, die man einen Uterus contortus genannt hat, als ein in der Entwickelung gehemm- ter Fruchthälter von gewöhnlicher Form zu betrachten ist. Dieses Verhältniſs angenommen, wird es Sie weniger wundern, daſs der Zitzenbeutel als ein zweiter Fruchthälter dem Emhryo dient. Eben deshalb muſs man aber auch wahrschein- lich finden, daſs die Embryonen gradezu in ihn hineingeboren werden, wobei ohne Zweifel die Scheide sich nach vorn krümmt und die Zitzenknochen die Oeffnung des Beutels nach hinten ziehen. Andere Wege aus den innern Ge- schlechtstheilen in den Zitzenbeutel hat man wenigstens nicht finden können. Wie die Eier oder Embryonen im Zitzenbeutel einen festen Sitz erhalten, läſst sich nach ganz neuen Beobachtungen von Morgan *) einigermaſsen ver- muthen. Dieser fand nämlich, daſs vor der Periode des Säugens die Zitzen nicht vorragen, sondern, daſs jede in eine kleine Höhle zurückgezogen sich befindet. Es ist wahrscheinlich, daſs die Embryonen mit dem Munde in diese Höhlen hin- eingedrängt werden, wenn nicht etwa das ganze Ei hierher gelangt und der Em- bryo erst hier von den Eihüllen sich löst. Darüber ist man nämlich noch ganz ungewiſs, wie lange der Embryo in den Eihäuten eingeschlossen bleibt und ob er mit ihnen oder ohne sie in den Zi- tzenbeutel kommt. Man hat schon an Känguruhs von 56 Pfd Gewicht enthüllte *) Transactions of the Linnean society. Vol. XVI.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/177
Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/177>, abgerufen am 24.11.2024.