Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

Allein diese Körnchen sind noch sehr viel zahlreicher und dunkler in dem Keim-
bläschen der lebendig gebärenden Reptilien. Sie bilden hier in der That eine
dünne gelbliche Dotterschicht, welche unter der Oberhaut des Keimbläschens
liegt *).

Ich zweifle nicht, dass man unter den sogenannten lebendig gebärenden
und eierlegenden Reptilien mancherlei Abstufungen in früher und später Gebärende
finden wird, und dass nicht alle eierlegenden Reptilien diese Eier bei derselben
Ausbildung des Harnsackes von sich geben werden. Aber ich glaube, dass die
Dicke der Schaale hiermit in Uebereinstimmung gefunden werden wird, und ich
zweifle, dass dickschaalige Eier im Leibe der Mutter die enthaltenen Embryonen
zur Reife bringen können, besonders wenn sie keinen eingeschlossenen Luftraum
haben, wie die Hühnereier, und der Luftraum kann sich wieder nicht ohne Ver-
dünstung bilden. Geoffroy glaubt **), dass man eierlegende Schlangen künstlich
in lebendig gebärende verwandeln könne. Er erzählt, das Herr Florent Pre-
vost
es dahin gebracht habe, das Eierlegen der Schlangen nach Willkühr zu be-
schleunigen und zu verzögern. Die Verzögerung sey dadurch bewirkt worden,
dass man die Schlangen gehindert habe, sich im Wasser zu baden. Durch das
Baden im Wasser werde die abgehende Haut macerirt. Jene trocken gehaltenen
Schlangen hätten sich daher nicht häuten können, seyen dadurch in ihren Bewe-
gungen gehindert gewesen und hätten deshalb ihre Eier nicht legen können. So
sey es an Coluber Natrix unter drei Versuchen einmal, und an Coluber lae-
vis
immer gelungen, die Eier so lange im Leibe zurück zu behalten, dass diese
Schlangen endlich lebendige (d. h. wohl völlig ausgebildete) Junge zur Welt ge-
bracht hätten.

Ich gestehe, dass mir diese Angaben sehr verdächtig vorkommen. Zuvör-
derst sehen wir aus den Beobachtungen von Leuckart und Andern (a. a. O.),
dass Coluber laevis im natürlichen Zustande lebendig gebärend ist. Es
bliebe also nur das Eine Exemplar von Coluber Natrix übrig. Sollte hier kein
Irrthum sich eingeschlichen haben, so würde ich glauben, dass die Entziehung
des Wassers die Secretion im Eileiter vermindert hat und dadurch die Schaalen
der Eier dünner geblieben sind als gewöhnlich ***). Denn, wie durch die dicke
Schaale im Leibe der Mutter die Athmung lange unterhalten werden könnte, ist

*) Abgebildet in meinem Sendschreiben: De ovi mammalium et hominis genesi -- und zwar im
zusammengefallenen Zustande.
**) Memoires du Musecum d'histoire naturelle Vol. IX. p. 3.
***) So hatten die Eier, welche Rossi durch Verstopfung des Eileiters im Leibe von Hühnern und
Putern einige Zeit sich entwickeln liess, keine Schaalen, sondern nur dünne Hänte. S. Memoires
de Turin
Vol. VI.
X 2

Allein diese Körnchen sind noch sehr viel zahlreicher und dunkler in dem Keim-
bläschen der lebendig gebärenden Reptilien. Sie bilden hier in der That eine
dünne gelbliche Dotterschicht, welche unter der Oberhaut des Keimbläschens
liegt *).

Ich zweifle nicht, daſs man unter den sogenannten lebendig gebärenden
und eierlegenden Reptilien mancherlei Abstufungen in früher und später Gebärende
finden wird, und daſs nicht alle eierlegenden Reptilien diese Eier bei derselben
Ausbildung des Harnsackes von sich geben werden. Aber ich glaube, daſs die
Dicke der Schaale hiermit in Uebereinstimmung gefunden werden wird, und ich
zweifle, daſs dickschaalige Eier im Leibe der Mutter die enthaltenen Embryonen
zur Reife bringen können, besonders wenn sie keinen eingeschlossenen Luftraum
haben, wie die Hühnereier, und der Luftraum kann sich wieder nicht ohne Ver-
dünstung bilden. Geoffroy glaubt **), daſs man eierlegende Schlangen künstlich
in lebendig gebärende verwandeln könne. Er erzählt, das Herr Florent Pré-
vost
es dahin gebracht habe, das Eierlegen der Schlangen nach Willkühr zu be-
schleunigen und zu verzögern. Die Verzögerung sey dadurch bewirkt worden,
daſs man die Schlangen gehindert habe, sich im Wasser zu baden. Durch das
Baden im Wasser werde die abgehende Haut macerirt. Jene trocken gehaltenen
Schlangen hätten sich daher nicht häuten können, seyen dadurch in ihren Bewe-
gungen gehindert gewesen und hätten deshalb ihre Eier nicht legen können. So
sey es an Coluber Natrix unter drei Versuchen einmal, und an Coluber lae-
vis
immer gelungen, die Eier so lange im Leibe zurück zu behalten, daſs diese
Schlangen endlich lebendige (d. h. wohl völlig ausgebildete) Junge zur Welt ge-
bracht hätten.

Ich gestehe, daſs mir diese Angaben sehr verdächtig vorkommen. Zuvör-
derst sehen wir aus den Beobachtungen von Leuckart und Andern (a. a. O.),
daſs Coluber laevis im natürlichen Zustande lebendig gebärend ist. Es
bliebe also nur das Eine Exemplar von Coluber Natrix übrig. Sollte hier kein
Irrthum sich eingeschlichen haben, so würde ich glauben, daſs die Entziehung
des Wassers die Secretion im Eileiter vermindert hat und dadurch die Schaalen
der Eier dünner geblieben sind als gewöhnlich ***). Denn, wie durch die dicke
Schaale im Leibe der Mutter die Athmung lange unterhalten werden könnte, ist

*) Abgebildet in meinem Sendschreiben: De ovi mammalium et hominis genesi — und zwar im
zusammengefallenen Zustande.
**) Memoires du Musecum d’histoire naturelle Vol. IX. p. 3.
***) So hatten die Eier, welche Rossi durch Verstopfung des Eileiters im Leibe von Hühnern und
Putern einige Zeit sich entwickeln lieſs, keine Schaalen, sondern nur dünne Hänte. S. Memoires
de Turin
Vol. VI.
X 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0173" n="163"/>
Allein diese Körnchen sind noch sehr viel zahlreicher und dunkler in dem Keim-<lb/>
bläschen der lebendig gebärenden Reptilien. Sie bilden hier in der That eine<lb/>
dünne gelbliche Dotterschicht, welche unter der Oberhaut des Keimbläschens<lb/>
liegt <note place="foot" n="*)">Abgebildet in meinem Sendschreiben: <hi rendition="#i">De ovi mammalium et hominis genesi</hi> &#x2014; und zwar im<lb/>
zusammengefallenen Zustande.</note>.</p><lb/>
          <p>Ich zweifle nicht, da&#x017F;s man unter den sogenannten lebendig gebärenden<lb/>
und eierlegenden Reptilien mancherlei Abstufungen in früher und später Gebärende<lb/>
finden wird, und da&#x017F;s nicht alle eierlegenden Reptilien diese Eier bei derselben<lb/>
Ausbildung des Harnsackes von sich geben werden. Aber ich glaube, da&#x017F;s die<lb/>
Dicke der Schaale hiermit in Uebereinstimmung gefunden werden wird, und ich<lb/>
zweifle, da&#x017F;s dickschaalige Eier im Leibe der Mutter die enthaltenen Embryonen<lb/>
zur Reife bringen können, besonders wenn sie keinen eingeschlossenen Luftraum<lb/>
haben, wie die Hühnereier, und der Luftraum kann sich wieder nicht ohne Ver-<lb/>
dünstung bilden. <hi rendition="#g">Geoffroy</hi> glaubt <note place="foot" n="**)"><hi rendition="#i">Memoires du Musecum d&#x2019;histoire naturelle</hi> Vol. IX. p. 3.</note>, da&#x017F;s man eierlegende Schlangen künstlich<lb/>
in lebendig gebärende verwandeln könne. Er erzählt, das Herr <hi rendition="#g">Florent Pré-<lb/>
vost</hi> es dahin gebracht habe, das Eierlegen der Schlangen nach Willkühr zu be-<lb/>
schleunigen und zu verzögern. Die Verzögerung sey dadurch bewirkt worden,<lb/>
da&#x017F;s man die Schlangen gehindert habe, sich im Wasser zu baden. Durch das<lb/>
Baden im Wasser werde die abgehende Haut macerirt. Jene trocken gehaltenen<lb/>
Schlangen hätten sich daher nicht häuten können, seyen dadurch in ihren Bewe-<lb/>
gungen gehindert gewesen und hätten deshalb ihre Eier nicht legen können. So<lb/>
sey es an <hi rendition="#g"><hi rendition="#i">Coluber Natrix</hi></hi> unter drei Versuchen einmal, und an <hi rendition="#g"><hi rendition="#i">Coluber lae-<lb/>
vis</hi></hi> immer gelungen, die Eier so lange im Leibe zurück zu behalten, da&#x017F;s diese<lb/>
Schlangen endlich lebendige (d. h. wohl völlig ausgebildete) Junge zur Welt ge-<lb/>
bracht hätten.</p><lb/>
          <p>Ich gestehe, da&#x017F;s mir diese Angaben sehr verdächtig vorkommen. Zuvör-<lb/>
derst sehen wir aus den Beobachtungen von <hi rendition="#g">Leuckart</hi> und Andern (a. a. O.),<lb/>
da&#x017F;s <hi rendition="#g"><hi rendition="#i">Coluber laevis</hi></hi> im natürlichen Zustande lebendig gebärend ist. Es<lb/>
bliebe also nur das Eine Exemplar von <hi rendition="#g"><hi rendition="#i">Coluber Natrix</hi></hi> übrig. Sollte hier kein<lb/>
Irrthum sich eingeschlichen haben, so würde ich glauben, da&#x017F;s die Entziehung<lb/>
des Wassers die Secretion im Eileiter vermindert hat und dadurch die Schaalen<lb/>
der Eier dünner geblieben sind als gewöhnlich <note place="foot" n="***)">So hatten die Eier, welche <hi rendition="#g">Rossi</hi> durch Verstopfung des Eileiters im Leibe von Hühnern und<lb/>
Putern einige Zeit sich entwickeln lie&#x017F;s, keine Schaalen, sondern nur dünne Hänte. S. <hi rendition="#i">Memoires<lb/>
de Turin</hi> Vol. VI.</note>. Denn, wie durch die dicke<lb/>
Schaale im Leibe der Mutter die Athmung lange unterhalten werden könnte, ist<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">X 2</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0173] Allein diese Körnchen sind noch sehr viel zahlreicher und dunkler in dem Keim- bläschen der lebendig gebärenden Reptilien. Sie bilden hier in der That eine dünne gelbliche Dotterschicht, welche unter der Oberhaut des Keimbläschens liegt *). Ich zweifle nicht, daſs man unter den sogenannten lebendig gebärenden und eierlegenden Reptilien mancherlei Abstufungen in früher und später Gebärende finden wird, und daſs nicht alle eierlegenden Reptilien diese Eier bei derselben Ausbildung des Harnsackes von sich geben werden. Aber ich glaube, daſs die Dicke der Schaale hiermit in Uebereinstimmung gefunden werden wird, und ich zweifle, daſs dickschaalige Eier im Leibe der Mutter die enthaltenen Embryonen zur Reife bringen können, besonders wenn sie keinen eingeschlossenen Luftraum haben, wie die Hühnereier, und der Luftraum kann sich wieder nicht ohne Ver- dünstung bilden. Geoffroy glaubt **), daſs man eierlegende Schlangen künstlich in lebendig gebärende verwandeln könne. Er erzählt, das Herr Florent Pré- vost es dahin gebracht habe, das Eierlegen der Schlangen nach Willkühr zu be- schleunigen und zu verzögern. Die Verzögerung sey dadurch bewirkt worden, daſs man die Schlangen gehindert habe, sich im Wasser zu baden. Durch das Baden im Wasser werde die abgehende Haut macerirt. Jene trocken gehaltenen Schlangen hätten sich daher nicht häuten können, seyen dadurch in ihren Bewe- gungen gehindert gewesen und hätten deshalb ihre Eier nicht legen können. So sey es an Coluber Natrix unter drei Versuchen einmal, und an Coluber lae- vis immer gelungen, die Eier so lange im Leibe zurück zu behalten, daſs diese Schlangen endlich lebendige (d. h. wohl völlig ausgebildete) Junge zur Welt ge- bracht hätten. Ich gestehe, daſs mir diese Angaben sehr verdächtig vorkommen. Zuvör- derst sehen wir aus den Beobachtungen von Leuckart und Andern (a. a. O.), daſs Coluber laevis im natürlichen Zustande lebendig gebärend ist. Es bliebe also nur das Eine Exemplar von Coluber Natrix übrig. Sollte hier kein Irrthum sich eingeschlichen haben, so würde ich glauben, daſs die Entziehung des Wassers die Secretion im Eileiter vermindert hat und dadurch die Schaalen der Eier dünner geblieben sind als gewöhnlich ***). Denn, wie durch die dicke Schaale im Leibe der Mutter die Athmung lange unterhalten werden könnte, ist *) Abgebildet in meinem Sendschreiben: De ovi mammalium et hominis genesi — und zwar im zusammengefallenen Zustande. **) Memoires du Musecum d’histoire naturelle Vol. IX. p. 3. ***) So hatten die Eier, welche Rossi durch Verstopfung des Eileiters im Leibe von Hühnern und Putern einige Zeit sich entwickeln lieſs, keine Schaalen, sondern nur dünne Hänte. S. Memoires de Turin Vol. VI. X 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/173
Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/173>, abgerufen am 25.11.2024.