Wir haben die Entwickelungsweise der Vögel in allen wesentlichen Ver- hältnissen ziemlich vollständig kennen zu lernen uns bestrebt, theils um dadurch eine möglichst zusammenhängende Uebersicht der Veränderung Einer Thierform an sich zu erlangen theils auch um verwandte Formen der Entwickelung mit desto mehr Kürze vergleichen zu können, und aufzufinden, was für die Ent- wickelung einzelner Klassen individuell und was für alle Wirbelthiere allge- mein gilt.
a. Schild- kröten.
Wir führen die andern Formen der Entwickelung nach der grössern oder geringern Aehnlichkeit mit den Vögeln auf. Zunächst an die Vögel reihen sich in Bezug auf den Bau des Eies die Schildkröten. In diesen Thieren ist, wie in den Vögeln, der Eierstock mit Ausnahme der frühesten Jugend traubig, indem die Eier, wenn sie heranwachsen, im Verhältniss zu dem Eierstocke sehr an- sehnlich sind und jedes Ei den benachbarten Theil des Eiertsockes in Form einer gestielten Beere hervorzieht, die nur nicht so lang herabhängt als im Vogel. Das unbefruchtete Ei besteht ebenfalls aus der Dotterkugel, die innerhalb einer ein- fachen Dotterhaut eine allmählig gelb werdende Dottersubstanz, eine Keimschicht und ein Keimbläschen enthält. Jede Dotterkugel liegt ohne organische Verbin- dung innerhalb einer aus zwei Häuten gebildeten Kapsel. Das Ei kann also auch nur durch Aufreissen der Kapsel in einer ansehnlichen Narbe entleert werden und lässt einen gestielten Kelch zurück, wie im Vogel. Auffallender ist der Un- terschied, dass in der weiblichen Schildkröte zwei Eierstöcke die beschriebene Beschaffenheit haben, im Vogel aber nur Ein Eierstock zur Entwickelung kommt, obgleich in frühester Zeit, im Embryonenzustande nämlich, auch im Vogel zwei Eierstöcke sich zu bilden anfangen (§. 7. ll.). Die Schildkröte hat nun für ihre zwei Eierstöcke auch zwei Eileiter, die erst in der Kloake sich be- gegnen. Diese Eileiter beginnen auch mit trichterförmigen Bauchmündungen, allein die einzelnen Abschnitte in ihnen sind nicht so verschieden unter sich, als im Huhne. Sie nehmen die Eier auf, und indem diese sich durch die Eileiter hin- durch bewegen, bildet sich um die Dotterkugel herum ebenfalls Eiweiss mit ei- ner äussern Haut desselben (oder einer Schaalenhaut) und einer Kalkschaale. Das Eiweiss ist aber in viel geringerer Menge da, und die Hagelschnüre fehlen ganz (wie schon Berthold bemerkt hat), weshalb ich doch eine vollständige Abwesenheit einer innern Haut des Eiweisses, die wir im Vogel die hageltragende Haut genannt haben, nicht behaupten will. Die Schaale ist viel poröser als im
§. 8. Entwickelungsgeschichte der Reptilien.
Wir haben die Entwickelungsweise der Vögel in allen wesentlichen Ver- hältnissen ziemlich vollständig kennen zu lernen uns bestrebt, theils um dadurch eine möglichst zusammenhängende Uebersicht der Veränderung Einer Thierform an sich zu erlangen theils auch um verwandte Formen der Entwickelung mit desto mehr Kürze vergleichen zu können, und aufzufinden, was für die Ent- wickelung einzelner Klassen individuell und was für alle Wirbelthiere allge- mein gilt.
a. Schild- kröten.
Wir führen die andern Formen der Entwickelung nach der gröſsern oder geringern Aehnlichkeit mit den Vögeln auf. Zunächst an die Vögel reihen sich in Bezug auf den Bau des Eies die Schildkröten. In diesen Thieren ist, wie in den Vögeln, der Eierstock mit Ausnahme der frühesten Jugend traubig, indem die Eier, wenn sie heranwachsen, im Verhältniſs zu dem Eierstocke sehr an- sehnlich sind und jedes Ei den benachbarten Theil des Eiertsockes in Form einer gestielten Beere hervorzieht, die nur nicht so lang herabhängt als im Vogel. Das unbefruchtete Ei besteht ebenfalls aus der Dotterkugel, die innerhalb einer ein- fachen Dotterhaut eine allmählig gelb werdende Dottersubstanz, eine Keimschicht und ein Keimbläschen enthält. Jede Dotterkugel liegt ohne organische Verbin- dung innerhalb einer aus zwei Häuten gebildeten Kapsel. Das Ei kann also auch nur durch Aufreiſsen der Kapsel in einer ansehnlichen Narbe entleert werden und läſst einen gestielten Kelch zurück, wie im Vogel. Auffallender ist der Un- terschied, daſs in der weiblichen Schildkröte zwei Eierstöcke die beschriebene Beschaffenheit haben, im Vogel aber nur Ein Eierstock zur Entwickelung kommt, obgleich in frühester Zeit, im Embryonenzustande nämlich, auch im Vogel zwei Eierstöcke sich zu bilden anfangen (§. 7. ll.). Die Schildkröte hat nun für ihre zwei Eierstöcke auch zwei Eileiter, die erst in der Kloake sich be- gegnen. Diese Eileiter beginnen auch mit trichterförmigen Bauchmündungen, allein die einzelnen Abschnitte in ihnen sind nicht so verschieden unter sich, als im Huhne. Sie nehmen die Eier auf, und indem diese sich durch die Eileiter hin- durch bewegen, bildet sich um die Dotterkugel herum ebenfalls Eiweiſs mit ei- ner äuſsern Haut desselben (oder einer Schaalenhaut) und einer Kalkschaale. Das Eiweiſs ist aber in viel geringerer Menge da, und die Hagelschnüre fehlen ganz (wie schon Berthold bemerkt hat), weshalb ich doch eine vollständige Abwesenheit einer innern Haut des Eiweiſses, die wir im Vogel die hageltragende Haut genannt haben, nicht behaupten will. Die Schaale ist viel poröser als im
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§. 8.
Entwickelungsgeschichte der Reptilien.
Wir haben die Entwickelungsweise der Vögel in allen wesentlichen Ver-
hältnissen ziemlich vollständig kennen zu lernen uns bestrebt, theils um dadurch
eine möglichst zusammenhängende Uebersicht der Veränderung Einer Thierform
an sich zu erlangen theils auch um verwandte Formen der Entwickelung mit
desto mehr Kürze vergleichen zu können, und aufzufinden, was für die Ent-
wickelung einzelner Klassen individuell und was für alle Wirbelthiere allge-
mein gilt.
Wir führen die andern Formen der Entwickelung nach der gröſsern oder
geringern Aehnlichkeit mit den Vögeln auf. Zunächst an die Vögel reihen sich
in Bezug auf den Bau des Eies die Schildkröten. In diesen Thieren ist, wie in
den Vögeln, der Eierstock mit Ausnahme der frühesten Jugend traubig, indem
die Eier, wenn sie heranwachsen, im Verhältniſs zu dem Eierstocke sehr an-
sehnlich sind und jedes Ei den benachbarten Theil des Eiertsockes in Form einer
gestielten Beere hervorzieht, die nur nicht so lang herabhängt als im Vogel. Das
unbefruchtete Ei besteht ebenfalls aus der Dotterkugel, die innerhalb einer ein-
fachen Dotterhaut eine allmählig gelb werdende Dottersubstanz, eine Keimschicht
und ein Keimbläschen enthält. Jede Dotterkugel liegt ohne organische Verbin-
dung innerhalb einer aus zwei Häuten gebildeten Kapsel. Das Ei kann also auch
nur durch Aufreiſsen der Kapsel in einer ansehnlichen Narbe entleert werden
und läſst einen gestielten Kelch zurück, wie im Vogel. Auffallender ist der Un-
terschied, daſs in der weiblichen Schildkröte zwei Eierstöcke die beschriebene
Beschaffenheit haben, im Vogel aber nur Ein Eierstock zur Entwickelung
kommt, obgleich in frühester Zeit, im Embryonenzustande nämlich, auch im
Vogel zwei Eierstöcke sich zu bilden anfangen (§. 7. ll.). Die Schildkröte hat
nun für ihre zwei Eierstöcke auch zwei Eileiter, die erst in der Kloake sich be-
gegnen. Diese Eileiter beginnen auch mit trichterförmigen Bauchmündungen,
allein die einzelnen Abschnitte in ihnen sind nicht so verschieden unter sich, als
im Huhne. Sie nehmen die Eier auf, und indem diese sich durch die Eileiter hin-
durch bewegen, bildet sich um die Dotterkugel herum ebenfalls Eiweiſs mit ei-
ner äuſsern Haut desselben (oder einer Schaalenhaut) und einer Kalkschaale.
Das Eiweiſs ist aber in viel geringerer Menge da, und die Hagelschnüre fehlen
ganz (wie schon Berthold bemerkt hat), weshalb ich doch eine vollständige
Abwesenheit einer innern Haut des Eiweiſses, die wir im Vogel die hageltragende
Haut genannt haben, nicht behaupten will. Die Schaale ist viel poröser als im
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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/164>, abgerufen am 25.11.2024.
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