Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

zonten so lange übersehen, bis Carus sie entdeckte! Das enge Anliegen des
Rückenmarkes in der ersten Zeit macht uns auch die Möglichkeit, ja die Noth-
wendigkeit der ursprünglichen Verbindung klar. Bedenkt man nämlich, dass
das Rückenmark am zweiten Tage nicht viel mehr, als die innere Fläche der ver-
wachsenen Rückenplatten ist, dass auch am dritten Tage, wo es doch schon eine
selbstständige Organisation hat, seine äussere Fläche noch so eng an der Wand an-
klebt, dass sie ohne gewaltsame Mittel sich nicht löst, so sieht man leicht ein, dass,
wenn in der Entwickelung eine Nothwendigkeit liegt, zwischen zweien Wirbeln
ein Nervenpaar zu erzeugen, dieses Nervenpaar oder die erste Spur seines Werdens
bis an das Rückenmark reichen muss. Ja man überzeugt sich leicht, dass bei
dem gewaltsamen Abtrennen des Rückenmarkes von der Wand die Nervenwurzeln
unkenntlich werden müssen, denn nur durch das Zurücktreten des Rückenmarkes
von der Wand seines Behältnisses werden diese Wurzeln ausgezogen und man könnte
in gewisser Hinsicht sagen, dass sie früher gar nicht da sind *). Eben so wenig
bedarf das plastische Nervensystem einer Anknüpfung an das animalische, da das
vegetative und das animalische Hauptblatt unter der Wirbelsäule sich gar nicht von
einander trennen, eine histologische Sonderung also von Anfang an zusammenhän-
gende Fäden in beiden erzeugen kann.

Die Ablösung der innern Fläche der Rückenplatten erfolgt erst, nachdemk. Central-
theil des Ner-
vensystems.

der Rücken geschlossen ist **). Der Centraltheil des Nervensystems ist daher auch
eine geschlossene Röhre, welche wir als Primitivorgan aufgeführt und die Medul-
larröhre (§. 6. o.) genannt haben. Dass diese Röhre auch nach dem Rückenkamme
hin keine Lücke hat, lernte ich vorzüglich dadurch, dass ich von unten, also von
dem Wirbelstamme aus, in den Rückenkanal eindrang und die Nervenröhre als
einen zusammenhängenden Ueberzug von den Wirbelbogen abtrennte. Allein
diese Nervenröhre enthält jetzt noch mehr als den Centraltheil selbst; sie enthält
zugleich seine Hüllen, die sich noch nicht gesondert haben. Sobald nämlich die
Rückenplatten sich an einander geschlossen haben, werden ihre innern Flächen
etwas dunkler und die Körnchen in ihnen werden grösser. Wenn nun diese in-
nere Fläche sich ablöst, um eine Röhre zu bilden, so sieht man im ganzen Um-
fange dieser Röhre eine Menge ansehnlicher Körnchen oder Kügelchen in eine un-
geformte Grundmasse eingesenkt. Die Nervenröhre unterscheidet sich also auch

*) Wenn man nämlich nur den Theil der Nerven seine Wurzel nennen will, der zwischen dem
Knochen und dem Rückenmarke in späterer Zeit enthalten ist.
**) Erster Theil S. 28. 154. oder im Momente des Schlusses. Ich habe diesen Gegenstand noch-
mals untersucht, doch erkenne ich das Rückenmark der Vögel als selbstständig erst nach dem
Schlusse.

zonten so lange übersehen, bis Carus sie entdeckte! Das enge Anliegen des
Rückenmarkes in der ersten Zeit macht uns auch die Möglichkeit, ja die Noth-
wendigkeit der ursprünglichen Verbindung klar. Bedenkt man nämlich, daſs
das Rückenmark am zweiten Tage nicht viel mehr, als die innere Fläche der ver-
wachsenen Rückenplatten ist, daſs auch am dritten Tage, wo es doch schon eine
selbstständige Organisation hat, seine äuſsere Fläche noch so eng an der Wand an-
klebt, daſs sie ohne gewaltsame Mittel sich nicht löst, so sieht man leicht ein, daſs,
wenn in der Entwickelung eine Nothwendigkeit liegt, zwischen zweien Wirbeln
ein Nervenpaar zu erzeugen, dieses Nervenpaar oder die erste Spur seines Werdens
bis an das Rückenmark reichen muſs. Ja man überzeugt sich leicht, daſs bei
dem gewaltsamen Abtrennen des Rückenmarkes von der Wand die Nervenwurzeln
unkenntlich werden müssen, denn nur durch das Zurücktreten des Rückenmarkes
von der Wand seines Behältnisses werden diese Wurzeln ausgezogen und man könnte
in gewisser Hinsicht sagen, daſs sie früher gar nicht da sind *). Eben so wenig
bedarf das plastische Nervensystem einer Anknüpfung an das animalische, da das
vegetative und das animalische Hauptblatt unter der Wirbelsäule sich gar nicht von
einander trennen, eine histologische Sonderung also von Anfang an zusammenhän-
gende Fäden in beiden erzeugen kann.

Die Ablösung der innern Fläche der Rückenplatten erfolgt erst, nachdemk. Central-
theil des Ner-
vensystems.

der Rücken geschlossen ist **). Der Centraltheil des Nervensystems ist daher auch
eine geschlossene Röhre, welche wir als Primitivorgan aufgeführt und die Medul-
larröhre (§. 6. o.) genannt haben. Daſs diese Röhre auch nach dem Rückenkamme
hin keine Lücke hat, lernte ich vorzüglich dadurch, daſs ich von unten, also von
dem Wirbelstamme aus, in den Rückenkanal eindrang und die Nervenröhre als
einen zusammenhängenden Ueberzug von den Wirbelbogen abtrennte. Allein
diese Nervenröhre enthält jetzt noch mehr als den Centraltheil selbst; sie enthält
zugleich seine Hüllen, die sich noch nicht gesondert haben. Sobald nämlich die
Rückenplatten sich an einander geschlossen haben, werden ihre innern Flächen
etwas dunkler und die Körnchen in ihnen werden gröſser. Wenn nun diese in-
nere Fläche sich ablöst, um eine Röhre zu bilden, so sieht man im ganzen Um-
fange dieser Röhre eine Menge ansehnlicher Körnchen oder Kügelchen in eine un-
geformte Grundmasse eingesenkt. Die Nervenröhre unterscheidet sich also auch

*) Wenn man nämlich nur den Theil der Nerven seine Wurzel nennen will, der zwischen dem
Knochen und dem Rückenmarke in späterer Zeit enthalten ist.
**) Erster Theil S. 28. 154. oder im Momente des Schlusses. Ich habe diesen Gegenstand noch-
mals untersucht, doch erkenne ich das Rückenmark der Vögel als selbstständig erst nach dem
Schlusse.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><hi rendition="#i"><pb facs="#f0113" n="103"/>
zonten</hi> so lange übersehen, bis <hi rendition="#g">Carus</hi> sie entdeckte! Das enge Anliegen des<lb/>
Rückenmarkes in der ersten Zeit macht uns auch die Möglichkeit, ja die Noth-<lb/>
wendigkeit der ursprünglichen Verbindung klar. Bedenkt man nämlich, da&#x017F;s<lb/>
das Rückenmark am zweiten Tage nicht viel mehr, als die innere Fläche der ver-<lb/>
wachsenen Rückenplatten ist, da&#x017F;s auch am dritten Tage, wo es doch schon eine<lb/>
selbstständige Organisation hat, seine äu&#x017F;sere Fläche noch so eng an der Wand an-<lb/>
klebt, da&#x017F;s sie ohne gewaltsame Mittel sich nicht löst, so sieht man leicht ein, da&#x017F;s,<lb/>
wenn in der Entwickelung eine Nothwendigkeit liegt, zwischen zweien Wirbeln<lb/>
ein Nervenpaar zu erzeugen, dieses Nervenpaar oder die erste Spur seines Werdens<lb/>
bis an das Rückenmark reichen mu&#x017F;s. Ja man überzeugt sich leicht, da&#x017F;s bei<lb/>
dem gewaltsamen Abtrennen des Rückenmarkes von der Wand die Nervenwurzeln<lb/>
unkenntlich werden müssen, denn nur durch das Zurücktreten des Rückenmarkes<lb/>
von der Wand seines Behältnisses werden diese Wurzeln ausgezogen und man könnte<lb/>
in gewisser Hinsicht sagen, da&#x017F;s sie früher gar nicht da sind <note place="foot" n="*)">Wenn man nämlich nur den Theil der Nerven seine Wurzel nennen will, der zwischen dem<lb/>
Knochen und dem Rückenmarke in späterer Zeit enthalten ist.</note>. Eben so wenig<lb/>
bedarf das plastische Nervensystem einer Anknüpfung an das animalische, da das<lb/>
vegetative und das animalische Hauptblatt unter der Wirbelsäule sich gar nicht von<lb/>
einander trennen, eine histologische Sonderung also von Anfang an zusammenhän-<lb/>
gende Fäden in beiden erzeugen kann.</p><lb/>
          <p>Die Ablösung der innern Fläche der Rückenplatten erfolgt erst, nachdem<note place="right"><hi rendition="#i">k.</hi> Central-<lb/>
theil des Ner-<lb/>
vensystems.</note><lb/>
der Rücken geschlossen ist <note place="foot" n="**)">Erster Theil S. 28. 154. oder im Momente des Schlusses. Ich habe diesen Gegenstand noch-<lb/>
mals untersucht, doch erkenne ich das Rückenmark der Vögel als selbstständig erst nach dem<lb/>
Schlusse.</note>. Der Centraltheil des Nervensystems ist daher auch<lb/>
eine geschlossene Röhre, welche wir als Primitivorgan aufgeführt und die Medul-<lb/>
larröhre (§. 6. <hi rendition="#i">o.</hi>) genannt haben. Da&#x017F;s diese Röhre auch nach dem Rückenkamme<lb/>
hin keine Lücke hat, lernte ich vorzüglich dadurch, da&#x017F;s ich von unten, also von<lb/>
dem Wirbelstamme aus, in den Rückenkanal eindrang und die Nervenröhre als<lb/>
einen zusammenhängenden Ueberzug von den Wirbelbogen abtrennte. Allein<lb/>
diese Nervenröhre enthält jetzt noch mehr als den Centraltheil selbst; sie enthält<lb/>
zugleich seine Hüllen, die sich noch nicht gesondert haben. Sobald nämlich die<lb/>
Rückenplatten sich an einander geschlossen haben, werden ihre innern Flächen<lb/>
etwas dunkler und die Körnchen in ihnen werden grö&#x017F;ser. Wenn nun diese in-<lb/>
nere Fläche sich ablöst, um eine Röhre zu bilden, so sieht man im ganzen Um-<lb/>
fange dieser Röhre eine Menge ansehnlicher Körnchen oder Kügelchen in eine un-<lb/>
geformte Grundmasse eingesenkt. Die Nervenröhre unterscheidet sich also auch<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0113] zonten so lange übersehen, bis Carus sie entdeckte! Das enge Anliegen des Rückenmarkes in der ersten Zeit macht uns auch die Möglichkeit, ja die Noth- wendigkeit der ursprünglichen Verbindung klar. Bedenkt man nämlich, daſs das Rückenmark am zweiten Tage nicht viel mehr, als die innere Fläche der ver- wachsenen Rückenplatten ist, daſs auch am dritten Tage, wo es doch schon eine selbstständige Organisation hat, seine äuſsere Fläche noch so eng an der Wand an- klebt, daſs sie ohne gewaltsame Mittel sich nicht löst, so sieht man leicht ein, daſs, wenn in der Entwickelung eine Nothwendigkeit liegt, zwischen zweien Wirbeln ein Nervenpaar zu erzeugen, dieses Nervenpaar oder die erste Spur seines Werdens bis an das Rückenmark reichen muſs. Ja man überzeugt sich leicht, daſs bei dem gewaltsamen Abtrennen des Rückenmarkes von der Wand die Nervenwurzeln unkenntlich werden müssen, denn nur durch das Zurücktreten des Rückenmarkes von der Wand seines Behältnisses werden diese Wurzeln ausgezogen und man könnte in gewisser Hinsicht sagen, daſs sie früher gar nicht da sind *). Eben so wenig bedarf das plastische Nervensystem einer Anknüpfung an das animalische, da das vegetative und das animalische Hauptblatt unter der Wirbelsäule sich gar nicht von einander trennen, eine histologische Sonderung also von Anfang an zusammenhän- gende Fäden in beiden erzeugen kann. Die Ablösung der innern Fläche der Rückenplatten erfolgt erst, nachdem der Rücken geschlossen ist **). Der Centraltheil des Nervensystems ist daher auch eine geschlossene Röhre, welche wir als Primitivorgan aufgeführt und die Medul- larröhre (§. 6. o.) genannt haben. Daſs diese Röhre auch nach dem Rückenkamme hin keine Lücke hat, lernte ich vorzüglich dadurch, daſs ich von unten, also von dem Wirbelstamme aus, in den Rückenkanal eindrang und die Nervenröhre als einen zusammenhängenden Ueberzug von den Wirbelbogen abtrennte. Allein diese Nervenröhre enthält jetzt noch mehr als den Centraltheil selbst; sie enthält zugleich seine Hüllen, die sich noch nicht gesondert haben. Sobald nämlich die Rückenplatten sich an einander geschlossen haben, werden ihre innern Flächen etwas dunkler und die Körnchen in ihnen werden gröſser. Wenn nun diese in- nere Fläche sich ablöst, um eine Röhre zu bilden, so sieht man im ganzen Um- fange dieser Röhre eine Menge ansehnlicher Körnchen oder Kügelchen in eine un- geformte Grundmasse eingesenkt. Die Nervenröhre unterscheidet sich also auch k. Central- theil des Ner- vensystems. *) Wenn man nämlich nur den Theil der Nerven seine Wurzel nennen will, der zwischen dem Knochen und dem Rückenmarke in späterer Zeit enthalten ist. **) Erster Theil S. 28. 154. oder im Momente des Schlusses. Ich habe diesen Gegenstand noch- mals untersucht, doch erkenne ich das Rückenmark der Vögel als selbstständig erst nach dem Schlusse.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/113
Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/113>, abgerufen am 22.11.2024.