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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828.

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denklichkeit gebe ich diese Darstellung als das Resultat meiner bisherigen Unter-
suchungen, da sie durchaus meinen Vermuthungen nicht entsprochen haben. Es
schien nämlich vielmehr wahrscheinlich, dass durch Zuströmungen aus dem Keim-
blatte das Herz zuerst mit Blut versorgt werde, deshalb möchte ich zu wiederhol-
ten Untersuchungen auffordern, denn die Blutbildung in warmblütigen Thieren
zu erforschen, unterliegt fast unendlichen Schwierigkeiten, und nur sehr viel-
fache Beobachtungen können so viele einzelne glückliche Momente geben, dass
daraus eine vollständige und zuverlässige Geschichte dieser Bildung entworfen wer-
den kann. Selbst die vielbesprochene Strömung des Blutes, ohne Kanäle,
würde mir am Hühnchen nicht erweisbar scheinen, denn so oft ich auch Strömun-
gen im durchsichtigen Fruchthofe sah, erkannte ich doch jedes Mal einen überaus
zarten Schatten zu beiden Seiten der Strömung, der, wenn er auch nur die Grenze
des benachbarten Bildungsgewebes andeutete, doch anzeigte, dass das Blut in
einer ausgefurchten Bahn sich bewegte. Dagegen habe ich an Eidechsen-Em-
bryonen, deren Kreislauf man stundenlang beobachten kann, mit Bestimmtheit
gesehen, dass aus einer Schlagader für das Hirn sieben bis acht dünne Strömchen
über die Wölbung dieses Organs flossen, und dass, je nachdem jeder einzelne Herz-
schlag kräftiger oder schwächer war, die beiden hintersten Strömungen näher oder
entfernter von den vordern verliefen, als entscheidenden Beweis, dass durch ein
halbflüssiges Bildungsgewebe hier das Blut ohne vorgezeichnete Bahn getrieben
wurde.

q. Herzbil-
dung.

Wir gehen zur Bildung des Herzens und der Gefässstämme über. Der er-
steren glaube ich sehr vollständig gefolgt zu seyn. Gegen die Mitte des zweiten
Tages scheint die dunkle Masse, die in der untern Wandung des vordern geschlos-
senen Theils des Embryo zusammengetrieben war, zu schwinden; indem diese
Gegend hell wird. Untersucht man das vordere Körperende aber von der Seite,
so bemerkt man eine stärkere Hervortreibung nach unten, also nicht Abnahme,
sondern Vermehrung des Umfanges. Sehr bald sieht man auch Pulsationen und
die Wandung des Herzens. Dass das Herz aus der dunklen zusammengescho-
benen Masse geworden ist, wird schon daraus ersichtlich, dass die Schenkel jener
Masse, deren äusserste Zipfel nicht hell geworden waren, jetzt Schenkel des Her-
zens sind. Die früheste Form des Herzens, die ich beobachtet habe, war näm-
lich folgende. Nach hinten, dicht am Umschlage des Schleimblattes, lief es nach
beiden Seiten in zwei Schenkel aus, deren Anfang hohl zu seyn schien, die aber
nach der Seite ganz unbestimmt sich in die Keimhaut verloren, ohne Gefässe auf-
zunehmen, aber durchaus auch nicht mit offenen Mündungen, sondern von noch
nicht aufgelöster Körnermasse begrenzt. Von dem Vereinigungswinkel der Schen-

kel

denklichkeit gebe ich diese Darstellung als das Resultat meiner bisherigen Unter-
suchungen, da sie durchaus meinen Vermuthungen nicht entsprochen haben. Es
schien nämlich vielmehr wahrscheinlich, daſs durch Zuströmungen aus dem Keim-
blatte das Herz zuerst mit Blut versorgt werde, deshalb möchte ich zu wiederhol-
ten Untersuchungen auffordern, denn die Blutbildung in warmblütigen Thieren
zu erforschen, unterliegt fast unendlichen Schwierigkeiten, und nur sehr viel-
fache Beobachtungen können so viele einzelne glückliche Momente geben, daſs
daraus eine vollständige und zuverlässige Geschichte dieser Bildung entworfen wer-
den kann. Selbst die vielbesprochene Strömung des Blutes, ohne Kanäle,
würde mir am Hühnchen nicht erweisbar scheinen, denn so oft ich auch Strömun-
gen im durchsichtigen Fruchthofe sah, erkannte ich doch jedes Mal einen überaus
zarten Schatten zu beiden Seiten der Strömung, der, wenn er auch nur die Grenze
des benachbarten Bildungsgewebes andeutete, doch anzeigte, daſs das Blut in
einer ausgefurchten Bahn sich bewegte. Dagegen habe ich an Eidechsen-Em-
bryonen, deren Kreislauf man stundenlang beobachten kann, mit Bestimmtheit
gesehen, daſs aus einer Schlagader für das Hirn sieben bis acht dünne Strömchen
über die Wölbung dieses Organs flossen, und daſs, je nachdem jeder einzelne Herz-
schlag kräftiger oder schwächer war, die beiden hintersten Strömungen näher oder
entfernter von den vordern verliefen, als entscheidenden Beweis, daſs durch ein
halbflüssiges Bildungsgewebe hier das Blut ohne vorgezeichnete Bahn getrieben
wurde.

q. Herzbil-
dung.

Wir gehen zur Bildung des Herzens und der Gefäſsstämme über. Der er-
steren glaube ich sehr vollständig gefolgt zu seyn. Gegen die Mitte des zweiten
Tages scheint die dunkle Masse, die in der untern Wandung des vordern geschlos-
senen Theils des Embryo zusammengetrieben war, zu schwinden; indem diese
Gegend hell wird. Untersucht man das vordere Körperende aber von der Seite,
so bemerkt man eine stärkere Hervortreibung nach unten, also nicht Abnahme,
sondern Vermehrung des Umfanges. Sehr bald sieht man auch Pulsationen und
die Wandung des Herzens. Daſs das Herz aus der dunklen zusammengescho-
benen Masse geworden ist, wird schon daraus ersichtlich, daſs die Schenkel jener
Masse, deren äuſserste Zipfel nicht hell geworden waren, jetzt Schenkel des Her-
zens sind. Die früheste Form des Herzens, die ich beobachtet habe, war näm-
lich folgende. Nach hinten, dicht am Umschlage des Schleimblattes, lief es nach
beiden Seiten in zwei Schenkel aus, deren Anfang hohl zu seyn schien, die aber
nach der Seite ganz unbestimmt sich in die Keimhaut verloren, ohne Gefäſse auf-
zunehmen, aber durchaus auch nicht mit offenen Mündungen, sondern von noch
nicht aufgelöster Körnermasse begrenzt. Von dem Vereinigungswinkel der Schen-

kel
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[32/0062] denklichkeit gebe ich diese Darstellung als das Resultat meiner bisherigen Unter- suchungen, da sie durchaus meinen Vermuthungen nicht entsprochen haben. Es schien nämlich vielmehr wahrscheinlich, daſs durch Zuströmungen aus dem Keim- blatte das Herz zuerst mit Blut versorgt werde, deshalb möchte ich zu wiederhol- ten Untersuchungen auffordern, denn die Blutbildung in warmblütigen Thieren zu erforschen, unterliegt fast unendlichen Schwierigkeiten, und nur sehr viel- fache Beobachtungen können so viele einzelne glückliche Momente geben, daſs daraus eine vollständige und zuverlässige Geschichte dieser Bildung entworfen wer- den kann. Selbst die vielbesprochene Strömung des Blutes, ohne Kanäle, würde mir am Hühnchen nicht erweisbar scheinen, denn so oft ich auch Strömun- gen im durchsichtigen Fruchthofe sah, erkannte ich doch jedes Mal einen überaus zarten Schatten zu beiden Seiten der Strömung, der, wenn er auch nur die Grenze des benachbarten Bildungsgewebes andeutete, doch anzeigte, daſs das Blut in einer ausgefurchten Bahn sich bewegte. Dagegen habe ich an Eidechsen-Em- bryonen, deren Kreislauf man stundenlang beobachten kann, mit Bestimmtheit gesehen, daſs aus einer Schlagader für das Hirn sieben bis acht dünne Strömchen über die Wölbung dieses Organs flossen, und daſs, je nachdem jeder einzelne Herz- schlag kräftiger oder schwächer war, die beiden hintersten Strömungen näher oder entfernter von den vordern verliefen, als entscheidenden Beweis, daſs durch ein halbflüssiges Bildungsgewebe hier das Blut ohne vorgezeichnete Bahn getrieben wurde. Wir gehen zur Bildung des Herzens und der Gefäſsstämme über. Der er- steren glaube ich sehr vollständig gefolgt zu seyn. Gegen die Mitte des zweiten Tages scheint die dunkle Masse, die in der untern Wandung des vordern geschlos- senen Theils des Embryo zusammengetrieben war, zu schwinden; indem diese Gegend hell wird. Untersucht man das vordere Körperende aber von der Seite, so bemerkt man eine stärkere Hervortreibung nach unten, also nicht Abnahme, sondern Vermehrung des Umfanges. Sehr bald sieht man auch Pulsationen und die Wandung des Herzens. Daſs das Herz aus der dunklen zusammengescho- benen Masse geworden ist, wird schon daraus ersichtlich, daſs die Schenkel jener Masse, deren äuſserste Zipfel nicht hell geworden waren, jetzt Schenkel des Her- zens sind. Die früheste Form des Herzens, die ich beobachtet habe, war näm- lich folgende. Nach hinten, dicht am Umschlage des Schleimblattes, lief es nach beiden Seiten in zwei Schenkel aus, deren Anfang hohl zu seyn schien, die aber nach der Seite ganz unbestimmt sich in die Keimhaut verloren, ohne Gefäſse auf- zunehmen, aber durchaus auch nicht mit offenen Mündungen, sondern von noch nicht aufgelöster Körnermasse begrenzt. Von dem Vereinigungswinkel der Schen- kel

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/62>, abgerufen am 27.11.2024.