die Ausdrücke Typus und Schema mit einem gemeinsamen vertauschen können. Ich habe sie nur aus einander gehalten, um eben dadurch recht auschaulich zu machen, dass jede organische Form, in Hinsicht des Typus, das was sie ist, durch die Art der Bildungsweise wird. Das Schema der Entwickelung ist nichts als der werdende Typus, und der Typus das Resultat des Bildungsschema. Eben deshalb ist der Typus erst ganz zu verstehen aus seiner Entwickelungsweise. Diese bringt in die ursprünglich nach den wesentlichen Verhältnissen überein- stimmenden Keime Verschiedenheit. Es müssen verschiedene Bedingungen oder bildende Kräfte auf die Keime einwirken, um diese Mannigfaltigkeit zu erzeugen, worüber wir später ein Paar Fragen aufwerfen wollen.
l. Ueber- einstimmen- des in allen Entwicke- lungsfor- men.
Hier schliessen wir aber noch die Bemerkung an, dass die ursprüngliche Uebereinstimmung aller thierischen Keime auch in den ausgebildeten Formen nicht ganz schwindet und dass wir den tiefsten für uns erreichbaren Unterschied der Thierformen in der Entwickelungsweise aufzusuchen haben.
Was die ursprüngliche Uebereinstimmung anlangt, so erinnere ich, dass nach dem Corollarium des zweiten Scholions jedes Thier zuvörderst ein Theil seiner Mutter ist, dass es selbstständig wird, entweder durch unmittelbare Ent- wickelung der Mutter selbst, oder nach Einwirkung eines männlichen Princips, und dass dann der erste Act der Selbstständigkeit darin besteht, in eine Blasenform überzugehen, indem entweder das Ganze der Leib des neuen Thiers ist, oder der werdende Leib (der Keim) sich von einem bloss ernährenden, von ihm um- schlossenen Stoffe trennt. Hier theilen sich Thier und Pflanze, da die Pflanze den ernährenden Stoff nicht umschliesst. Die Blasenform ist also der allge- meinste Character des Thiers, der Gegensatz von äusserer und innerer Fläche der allgemeinste und also wesentlichste Gegensatz im Thiere. (Vergl. oben Schol. V. §. 4. d.)
Es bleibt noch ferner eine Uebereinstimmung zwischen allen Entwicke- lungsformen. In allen Thieren nämlich, welche einen Keim und einen Dotter in früher Zeit haben, scheidet sich der umgebende Keim in mehrere Schichten; die dem Dotter zugekehrte ist die plastische, aufnehmende, die von ihm abgekehrte die mehr animalische, wenn auch die äusserste Grenze derselben nur Grenzorgan wird, und sich mehr oder weniger mit einer ausgeschiedenen nicht lebendigen Schicht bekleidet. Dass nun das Gefässsystem, wenn es anders von der ver- dauenden Höhle geschieden ist, sich nach aussen von ihr, dem animalischen Theile näher bildet, dass im animalischen Theile Muskeln, Nerven u. s. w. sich trennen, scheint ebenfalls noch der Idee des Thiers überhaupt anzugehören, und
die Ausdrücke Typus und Schema mit einem gemeinsamen vertauschen können. Ich habe sie nur aus einander gehalten, um eben dadurch recht auschaulich zu machen, daſs jede organische Form, in Hinsicht des Typus, das was sie ist, durch die Art der Bildungsweise wird. Das Schema der Entwickelung ist nichts als der werdende Typus, und der Typus das Resultat des Bildungsschema. Eben deshalb ist der Typus erst ganz zu verstehen aus seiner Entwickelungsweise. Diese bringt in die ursprünglich nach den wesentlichen Verhältnissen überein- stimmenden Keime Verschiedenheit. Es müssen verschiedene Bedingungen oder bildende Kräfte auf die Keime einwirken, um diese Mannigfaltigkeit zu erzeugen, worüber wir später ein Paar Fragen aufwerfen wollen.
l. Ueber- einstimmen- des in allen Entwicke- lungsfor- men.
Hier schlieſsen wir aber noch die Bemerkung an, daſs die ursprüngliche Uebereinstimmung aller thierischen Keime auch in den ausgebildeten Formen nicht ganz schwindet und daſs wir den tiefsten für uns erreichbaren Unterschied der Thierformen in der Entwickelungsweise aufzusuchen haben.
Was die ursprüngliche Uebereinstimmung anlangt, so erinnere ich, daſs nach dem Corollarium des zweiten Scholions jedes Thier zuvörderst ein Theil seiner Mutter ist, daſs es selbstständig wird, entweder durch unmittelbare Ent- wickelung der Mutter selbst, oder nach Einwirkung eines männlichen Princips, und daſs dann der erste Act der Selbstständigkeit darin besteht, in eine Blasenform überzugehen, indem entweder das Ganze der Leib des neuen Thiers ist, oder der werdende Leib (der Keim) sich von einem bloſs ernährenden, von ihm um- schlossenen Stoffe trennt. Hier theilen sich Thier und Pflanze, da die Pflanze den ernährenden Stoff nicht umschlieſst. Die Blasenform ist also der allge- meinste Character des Thiers, der Gegensatz von äuſserer und innerer Fläche der allgemeinste und also wesentlichste Gegensatz im Thiere. (Vergl. oben Schol. V. §. 4. d.)
Es bleibt noch ferner eine Uebereinstimmung zwischen allen Entwicke- lungsformen. In allen Thieren nämlich, welche einen Keim und einen Dotter in früher Zeit haben, scheidet sich der umgebende Keim in mehrere Schichten; die dem Dotter zugekehrte ist die plastische, aufnehmende, die von ihm abgekehrte die mehr animalische, wenn auch die äuſserste Grenze derselben nur Grenzorgan wird, und sich mehr oder weniger mit einer ausgeschiedenen nicht lebendigen Schicht bekleidet. Daſs nun das Gefäſssystem, wenn es anders von der ver- dauenden Höhle geschieden ist, sich nach auſsen von ihr, dem animalischen Theile näher bildet, daſs im animalischen Theile Muskeln, Nerven u. s. w. sich trennen, scheint ebenfalls noch der Idee des Thiers überhaupt anzugehören, und
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die Ausdrücke Typus und Schema mit einem gemeinsamen vertauschen können.
Ich habe sie nur aus einander gehalten, um eben dadurch recht auschaulich zu
machen, daſs jede organische Form, in Hinsicht des Typus, das was sie ist,
durch die Art der Bildungsweise wird. Das Schema der Entwickelung ist nichts
als der werdende Typus, und der Typus das Resultat des Bildungsschema. Eben
deshalb ist der Typus erst ganz zu verstehen aus seiner Entwickelungsweise.
Diese bringt in die ursprünglich nach den wesentlichen Verhältnissen überein-
stimmenden Keime Verschiedenheit. Es müssen verschiedene Bedingungen oder
bildende Kräfte auf die Keime einwirken, um diese Mannigfaltigkeit zu erzeugen,
worüber wir später ein Paar Fragen aufwerfen wollen.
Hier schlieſsen wir aber noch die Bemerkung an, daſs die ursprüngliche
Uebereinstimmung aller thierischen Keime auch in den ausgebildeten Formen
nicht ganz schwindet und daſs wir den tiefsten für uns erreichbaren Unterschied
der Thierformen in der Entwickelungsweise aufzusuchen haben.
Was die ursprüngliche Uebereinstimmung anlangt, so erinnere ich, daſs
nach dem Corollarium des zweiten Scholions jedes Thier zuvörderst ein Theil
seiner Mutter ist, daſs es selbstständig wird, entweder durch unmittelbare Ent-
wickelung der Mutter selbst, oder nach Einwirkung eines männlichen Princips,
und daſs dann der erste Act der Selbstständigkeit darin besteht, in eine Blasenform
überzugehen, indem entweder das Ganze der Leib des neuen Thiers ist, oder der
werdende Leib (der Keim) sich von einem bloſs ernährenden, von ihm um-
schlossenen Stoffe trennt. Hier theilen sich Thier und Pflanze, da die Pflanze
den ernährenden Stoff nicht umschlieſst. Die Blasenform ist also der allge-
meinste Character des Thiers, der Gegensatz von äuſserer und innerer Fläche
der allgemeinste und also wesentlichste Gegensatz im Thiere. (Vergl. oben
Schol. V. §. 4. d.)
Es bleibt noch ferner eine Uebereinstimmung zwischen allen Entwicke-
lungsformen. In allen Thieren nämlich, welche einen Keim und einen Dotter in
früher Zeit haben, scheidet sich der umgebende Keim in mehrere Schichten; die
dem Dotter zugekehrte ist die plastische, aufnehmende, die von ihm abgekehrte
die mehr animalische, wenn auch die äuſserste Grenze derselben nur Grenzorgan
wird, und sich mehr oder weniger mit einer ausgeschiedenen nicht lebendigen
Schicht bekleidet. Daſs nun das Gefäſssystem, wenn es anders von der ver-
dauenden Höhle geschieden ist, sich nach auſsen von ihr, dem animalischen
Theile näher bildet, daſs im animalischen Theile Muskeln, Nerven u. s. w. sich
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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/290>, abgerufen am 16.02.2025.
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