nen muss, haben doch die Erkenntniss der Entwickelungsgeschichte dadurch unendlich gefördert, dass sie die Naturforscher zu einem deutlichern Bewusst- seyn brachten. So hoch ich auch Dutrochet's und Cuvier's Belehrun- gen über die Entwickelung der Säugethiere schätze, so scheint es mir doch unläugbar, dass Oken's Untersuchungen der Wendepunkt für eine richtigere Erkenntniss des Eies der Säugethiere geworden sind.
Die Erinnerung an das Schicksal der Oken'schen Bestrebungen flösst mir nur Einen Wunsch ein, den ich nicht unterdrücken will. Mögen meine Nachfolger, die nothwendig meine Richter sind, mir die Bitte nicht abschla- gen, meinen Bericht über die Entwickelungsgeschichte des Hühnchens stets von den angehängten Folgerungen zu unterscheiden, und die Erzählung über die Veränderung der letzten Tage nur als gelegentliche Ergänzung anzusehen. Es würde Beschränktheit verrathen, wenn ich glaubte, nicht auch in der frühern Zeit geirrt zu haben, aber das Zeugniss, den Irrthum nach Kräften vermieden zu haben, hoffe ich zu verdienen. Dass ich in den Anhängen dreister gewesen bin, habe ich so eben erklärt. Obgleich ich immer von dem Bestreben erfüllt war, nichts zu sagen, was ich nicht vertheidigen könne, so habe ich aus den angegebenen Gründen doch manches Verhältniss sehr scharf und bis ins Einzelne bestimmt ausgesprochen. Das gilt besonders von einem Theile dessen, was ich über das Schema der Entwickelungsweise der Wirbelthiere sage. Ich glaubte dieses Schema, nach dem was ich in Vögeln, Amphibien und Säugethieren beobachtet habe, vollständig ausmalen zu müs- sen, damit es Richtschnur für künftige Untersuchungen und Vergleichungen werden könne. Diese mögen bestimmen, was weniger allgemein ist und wie sich das Schema im Einzelnen modificirt, dessen Gültigkeit im Allgemeinen ich nicht bezweifeln kann. Ich betrachte das Einzelne als hingestellte Frage- sätze. Deshalb wird mich jede Belehrung und Beleuchtung herzlich freuen. Es ist nicht Sache Eines Menschen, die Gesetze der Entwickelungsgeschichte in allen Modificationen zu durchschauen, und es soll mir vollständiger Lohn seyn,
nen muſs, haben doch die Erkenntniſs der Entwickelungsgeschichte dadurch unendlich gefördert, daſs sie die Naturforscher zu einem deutlichern Bewuſst- seyn brachten. So hoch ich auch Dutrochet’s und Cuvier’s Belehrun- gen über die Entwickelung der Säugethiere schätze, so scheint es mir doch unläugbar, daſs Oken’s Untersuchungen der Wendepunkt für eine richtigere Erkenntniſs des Eies der Säugethiere geworden sind.
Die Erinnerung an das Schicksal der Oken’schen Bestrebungen flöſst mir nur Einen Wunsch ein, den ich nicht unterdrücken will. Mögen meine Nachfolger, die nothwendig meine Richter sind, mir die Bitte nicht abschla- gen, meinen Bericht über die Entwickelungsgeschichte des Hühnchens stets von den angehängten Folgerungen zu unterscheiden, und die Erzählung über die Veränderung der letzten Tage nur als gelegentliche Ergänzung anzusehen. Es würde Beschränktheit verrathen, wenn ich glaubte, nicht auch in der frühern Zeit geirrt zu haben, aber das Zeugniſs, den Irrthum nach Kräften vermieden zu haben, hoffe ich zu verdienen. Daſs ich in den Anhängen dreister gewesen bin, habe ich so eben erklärt. Obgleich ich immer von dem Bestreben erfüllt war, nichts zu sagen, was ich nicht vertheidigen könne, so habe ich aus den angegebenen Gründen doch manches Verhältniſs sehr scharf und bis ins Einzelne bestimmt ausgesprochen. Das gilt besonders von einem Theile dessen, was ich über das Schema der Entwickelungsweise der Wirbelthiere sage. Ich glaubte dieses Schema, nach dem was ich in Vögeln, Amphibien und Säugethieren beobachtet habe, vollständig ausmalen zu müs- sen, damit es Richtschnur für künftige Untersuchungen und Vergleichungen werden könne. Diese mögen bestimmen, was weniger allgemein ist und wie sich das Schema im Einzelnen modificirt, dessen Gültigkeit im Allgemeinen ich nicht bezweifeln kann. Ich betrachte das Einzelne als hingestellte Frage- sätze. Deshalb wird mich jede Belehrung und Beleuchtung herzlich freuen. Es ist nicht Sache Eines Menschen, die Gesetze der Entwickelungsgeschichte in allen Modificationen zu durchschauen, und es soll mir vollständiger Lohn seyn,
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[XVIII/0024]
nen muſs, haben doch die Erkenntniſs der Entwickelungsgeschichte dadurch
unendlich gefördert, daſs sie die Naturforscher zu einem deutlichern Bewuſst-
seyn brachten. So hoch ich auch Dutrochet’s und Cuvier’s Belehrun-
gen über die Entwickelung der Säugethiere schätze, so scheint es mir doch
unläugbar, daſs Oken’s Untersuchungen der Wendepunkt für eine richtigere
Erkenntniſs des Eies der Säugethiere geworden sind.
Die Erinnerung an das Schicksal der Oken’schen Bestrebungen flöſst
mir nur Einen Wunsch ein, den ich nicht unterdrücken will. Mögen meine
Nachfolger, die nothwendig meine Richter sind, mir die Bitte nicht abschla-
gen, meinen Bericht über die Entwickelungsgeschichte des Hühnchens stets
von den angehängten Folgerungen zu unterscheiden, und die Erzählung über
die Veränderung der letzten Tage nur als gelegentliche Ergänzung anzusehen.
Es würde Beschränktheit verrathen, wenn ich glaubte, nicht auch in der
frühern Zeit geirrt zu haben, aber das Zeugniſs, den Irrthum nach Kräften
vermieden zu haben, hoffe ich zu verdienen. Daſs ich in den Anhängen
dreister gewesen bin, habe ich so eben erklärt. Obgleich ich immer von
dem Bestreben erfüllt war, nichts zu sagen, was ich nicht vertheidigen könne,
so habe ich aus den angegebenen Gründen doch manches Verhältniſs sehr
scharf und bis ins Einzelne bestimmt ausgesprochen. Das gilt besonders von
einem Theile dessen, was ich über das Schema der Entwickelungsweise der
Wirbelthiere sage. Ich glaubte dieses Schema, nach dem was ich in Vögeln,
Amphibien und Säugethieren beobachtet habe, vollständig ausmalen zu müs-
sen, damit es Richtschnur für künftige Untersuchungen und Vergleichungen
werden könne. Diese mögen bestimmen, was weniger allgemein ist und wie
sich das Schema im Einzelnen modificirt, dessen Gültigkeit im Allgemeinen
ich nicht bezweifeln kann. Ich betrachte das Einzelne als hingestellte Frage-
sätze. Deshalb wird mich jede Belehrung und Beleuchtung herzlich freuen.
Es ist nicht Sache Eines Menschen, die Gesetze der Entwickelungsgeschichte in
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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828, S. XVIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/24>, abgerufen am 21.11.2024.
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