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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828.

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gender Leib vom auswärts stehenden Ellenbogen und Knie abzuhängen scheint *).
Die Verschiedenheit in der Richtung der Mittelgelenke und ihre Uebereinstimmung
mit den Wurzelgliedern ist recht auffallend im Frosche. -- Das untere Mittel-
glied hat eine dem obern Mittelgliede entgegengesetzte Richtung. Die Folge (oder
vielleicht der Grund) davon ist, dass das Endgelenk unter dem Wurzelgelenke
steht, das Mittelgelenk mag nach aussen gerichtet seyn, oder nach dem Schwer-
punkte zu, d. h. in der vordern Extremität nach hinten, in der hintern nach vorn.
In den Endgelenken erscheint eine wesentliche Verschiedenheit, und eben daraus
wird es klar, dass die Richtung des Endgliedes nicht von den übrigen Gliedern
der Extremität bedingt wird, sondern von dem Verhältnisse zur Aussenwelt.
Wäre nämlich ein einfacher Gegensatz in den Endgliedern, wie in den übrigen,
so müssten sie mit ihren Spitzen einander um so mehr zugekehrt seyn, je mehr
die Mittelgelenke einander zugekehrt sind, in solchen Thieren also, die den Leib
am besten tragen. In diesen aber sind am entschiedensten beide Endglieder nach
vorn gerichtet, um auf den Boden zur Bewegung nach vorn zu wirken. Wären
hier die vordern Endglieder den hintern entgegengesetzt gebaut, so würden sie
den Rumpf durch ihre Bewegung nach hinten schieben. Das hintere Endgelenk
ist um so mehr ein Gewerbgelenk mit der Streckseite nach hinten, je mehr die
Streckseite des Knies nach vorn gerichtet ist, weil das Endglied dadurch die ent-
gegengesetzte Richtung vom untern Mittelgliede erhält. In so fern das Handgelenk
der Gegensatz des Fussgelenkes ist, hat es seine Beugeseite nach hinten. In der
That können die Säugethiere, mit viergliedrigen Extremitäten das vordere End-
glied nach hinten beugen und in der Ruhe hat es meistens diese Stellung. Da aber
beim Gehen das vordere Endglied nach vorn gerichtet werden muss, so hat es auch
nach vorn eine Beugeseite, und das Gelenk bildet sich also aus einem ächten Ge-
werbgelenke in eine besondere Form von Gelenken um. Diese Umbildung ist um
so entschiedener, je weniger selbstständig die Mittelhand ist. Ist nämlich die
Mittelhand sehr lang (Hufthiere), so steht die Mittelhand beim Gehen gerade und

*) In den Amphibien sind die Mittelgelenke nach aussen gerichtet, wie in unserer Abbildung 7.
Oberes und unteres Mittelgelenk bilden auch dann einen Gegensatz, aber innerhalb einer Ebe-
ne, welche die Mittelebene des Leibes in einen grossen Winkel schneidet. Es beruht auf Grün-
den der Mechanik, dass in dieser Stellung die Kraft der Muskeln weniger kräftig auf das Tra-
gen des Rumpfes wirkt, die Amphibien schleppen daher ihren tief herabhängenden Leib.
Diese Form ist, wie die Entwickelungsgeschichte lehrt, die ursprüngliche für die viergliedrigen
Extremitäten, aber auch Folge von einer umgekehrten Stellung der Endglieder, wenn sich diese
in Flossen umwandeln, so im Knie der Seehunde. Die andere Form, wo die Mittelgelenke
einander zugekehrt sind, ist die höhere Ausbildung, wodurch der Rumpf mehr unmittelbar
unterstützt und vom Boden erhoben wird. Die Ebene, in welcher oberes und unteres Mittel-
glied liegen, ist hier mit der Mittelebene des Leibes mehr oder weniger parallel.

gender Leib vom auswärts stehenden Ellenbogen und Knie abzuhängen scheint *).
Die Verschiedenheit in der Richtung der Mittelgelenke und ihre Uebereinstimmung
mit den Wurzelgliedern ist recht auffallend im Frosche. — Das untere Mittel-
glied hat eine dem obern Mittelgliede entgegengesetzte Richtung. Die Folge (oder
vielleicht der Grund) davon ist, daſs das Endgelenk unter dem Wurzelgelenke
steht, das Mittelgelenk mag nach auſsen gerichtet seyn, oder nach dem Schwer-
punkte zu, d. h. in der vordern Extremität nach hinten, in der hintern nach vorn.
In den Endgelenken erscheint eine wesentliche Verschiedenheit, und eben daraus
wird es klar, daſs die Richtung des Endgliedes nicht von den übrigen Gliedern
der Extremität bedingt wird, sondern von dem Verhältnisse zur Auſsenwelt.
Wäre nämlich ein einfacher Gegensatz in den Endgliedern, wie in den übrigen,
so müſsten sie mit ihren Spitzen einander um so mehr zugekehrt seyn, je mehr
die Mittelgelenke einander zugekehrt sind, in solchen Thieren also, die den Leib
am besten tragen. In diesen aber sind am entschiedensten beide Endglieder nach
vorn gerichtet, um auf den Boden zur Bewegung nach vorn zu wirken. Wären
hier die vordern Endglieder den hintern entgegengesetzt gebaut, so würden sie
den Rumpf durch ihre Bewegung nach hinten schieben. Das hintere Endgelenk
ist um so mehr ein Gewerbgelenk mit der Streckseite nach hinten, je mehr die
Streckseite des Knies nach vorn gerichtet ist, weil das Endglied dadurch die ent-
gegengesetzte Richtung vom untern Mittelgliede erhält. In so fern das Handgelenk
der Gegensatz des Fuſsgelenkes ist, hat es seine Beugeseite nach hinten. In der
That können die Säugethiere, mit viergliedrigen Extremitäten das vordere End-
glied nach hinten beugen und in der Ruhe hat es meistens diese Stellung. Da aber
beim Gehen das vordere Endglied nach vorn gerichtet werden muſs, so hat es auch
nach vorn eine Beugeseite, und das Gelenk bildet sich also aus einem ächten Ge-
werbgelenke in eine besondere Form von Gelenken um. Diese Umbildung ist um
so entschiedener, je weniger selbstständig die Mittelhand ist. Ist nämlich die
Mittelhand sehr lang (Hufthiere), so steht die Mittelhand beim Gehen gerade und

*) In den Amphibien sind die Mittelgelenke nach auſsen gerichtet, wie in unserer Abbildung 7.
Oberes und unteres Mittelgelenk bilden auch dann einen Gegensatz, aber innerhalb einer Ebe-
ne, welche die Mittelebene des Leibes in einen groſsen Winkel schneidet. Es beruht auf Grün-
den der Mechanik, daſs in dieser Stellung die Kraft der Muskeln weniger kräftig auf das Tra-
gen des Rumpfes wirkt, die Amphibien schleppen daher ihren tief herabhängenden Leib.
Diese Form ist, wie die Entwickelungsgeschichte lehrt, die ursprüngliche für die viergliedrigen
Extremitäten, aber auch Folge von einer umgekehrten Stellung der Endglieder, wenn sich diese
in Flossen umwandeln, so im Knie der Seehunde. Die andere Form, wo die Mittelgelenke
einander zugekehrt sind, ist die höhere Ausbildung, wodurch der Rumpf mehr unmittelbar
unterstützt und vom Boden erhoben wird. Die Ebene, in welcher oberes und unteres Mittel-
glied liegen, ist hier mit der Mittelebene des Leibes mehr oder weniger parallel.
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[190/0220] gender Leib vom auswärts stehenden Ellenbogen und Knie abzuhängen scheint *). Die Verschiedenheit in der Richtung der Mittelgelenke und ihre Uebereinstimmung mit den Wurzelgliedern ist recht auffallend im Frosche. — Das untere Mittel- glied hat eine dem obern Mittelgliede entgegengesetzte Richtung. Die Folge (oder vielleicht der Grund) davon ist, daſs das Endgelenk unter dem Wurzelgelenke steht, das Mittelgelenk mag nach auſsen gerichtet seyn, oder nach dem Schwer- punkte zu, d. h. in der vordern Extremität nach hinten, in der hintern nach vorn. In den Endgelenken erscheint eine wesentliche Verschiedenheit, und eben daraus wird es klar, daſs die Richtung des Endgliedes nicht von den übrigen Gliedern der Extremität bedingt wird, sondern von dem Verhältnisse zur Auſsenwelt. Wäre nämlich ein einfacher Gegensatz in den Endgliedern, wie in den übrigen, so müſsten sie mit ihren Spitzen einander um so mehr zugekehrt seyn, je mehr die Mittelgelenke einander zugekehrt sind, in solchen Thieren also, die den Leib am besten tragen. In diesen aber sind am entschiedensten beide Endglieder nach vorn gerichtet, um auf den Boden zur Bewegung nach vorn zu wirken. Wären hier die vordern Endglieder den hintern entgegengesetzt gebaut, so würden sie den Rumpf durch ihre Bewegung nach hinten schieben. Das hintere Endgelenk ist um so mehr ein Gewerbgelenk mit der Streckseite nach hinten, je mehr die Streckseite des Knies nach vorn gerichtet ist, weil das Endglied dadurch die ent- gegengesetzte Richtung vom untern Mittelgliede erhält. In so fern das Handgelenk der Gegensatz des Fuſsgelenkes ist, hat es seine Beugeseite nach hinten. In der That können die Säugethiere, mit viergliedrigen Extremitäten das vordere End- glied nach hinten beugen und in der Ruhe hat es meistens diese Stellung. Da aber beim Gehen das vordere Endglied nach vorn gerichtet werden muſs, so hat es auch nach vorn eine Beugeseite, und das Gelenk bildet sich also aus einem ächten Ge- werbgelenke in eine besondere Form von Gelenken um. Diese Umbildung ist um so entschiedener, je weniger selbstständig die Mittelhand ist. Ist nämlich die Mittelhand sehr lang (Hufthiere), so steht die Mittelhand beim Gehen gerade und *) In den Amphibien sind die Mittelgelenke nach auſsen gerichtet, wie in unserer Abbildung 7. Oberes und unteres Mittelgelenk bilden auch dann einen Gegensatz, aber innerhalb einer Ebe- ne, welche die Mittelebene des Leibes in einen groſsen Winkel schneidet. Es beruht auf Grün- den der Mechanik, daſs in dieser Stellung die Kraft der Muskeln weniger kräftig auf das Tra- gen des Rumpfes wirkt, die Amphibien schleppen daher ihren tief herabhängenden Leib. Diese Form ist, wie die Entwickelungsgeschichte lehrt, die ursprüngliche für die viergliedrigen Extremitäten, aber auch Folge von einer umgekehrten Stellung der Endglieder, wenn sich diese in Flossen umwandeln, so im Knie der Seehunde. Die andere Form, wo die Mittelgelenke einander zugekehrt sind, ist die höhere Ausbildung, wodurch der Rumpf mehr unmittelbar unterstützt und vom Boden erhoben wird. Die Ebene, in welcher oberes und unteres Mittel- glied liegen, ist hier mit der Mittelebene des Leibes mehr oder weniger parallel.

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/220>, abgerufen am 25.11.2024.