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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828.

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1) Die Centrallinie aller einzelnen Fundamentalorgane scheint im Allge-
meinen *) eben so wenig geneigt, irgend eine weitere Entwickelung zu erfahren, als
die Axe des gesammten Thiers, oder die Wirbelsaite. In der Nervenröhre bleibt
sie unverändert, eben so in der Gefässhautröhre, wo ihr vorderster Theil nur
schwindet. So auch in der Schleimhautröhre. Dennoch bestimmt sie immer die
Richtung der Entwickelung, denn alle fernere Entwickelung scheint immerfort
nach der Richtung der Pfeile in unsrer 5ten Figur fortzugehen, woraus eine zweite
allgemeine Regel folgt:

2) Alles, was aus der Schlusslinie irgend eines Fundamentalorganes hervor-
tritt, bleibt in der Mittelebene und theilt sich nicht wieder seitlich. Wenn diese
Regel Wahrheit hat, so ist sie nur eine nothwendige Folge des in unsrer Fig. 5.
abgebildeten Schemas der Entwickelung und eben dadurch eine Bestätigung
desselben. Soll nämlich die Fortbildung nach den punktirten Linien dieser
5ten Figur fortschreiten, so kann etwas, das in dieser Richtung fortgeht, so bald
es die Mittelebene erreicht hat, diese nicht wieder verlassen. Da es hierauf sein
Gleichnamiges der andern Seite trifft, kann es wohl, wenn die Entwickelung
stark ist, innerhalb der Mittelebene wachsen, aber nicht aus ihr heraus **).
Suchen wir einige Beweisgründe auf! Der Athmungsapparat tritt aus der
Schleimhautröhre hervor, aber so, dass die Lungen aus den Seitentheilen aus-
gestülpt werden, der Luftröhrenstamm aus der untern Fläche oder der Schluss-
linie. Jene verzweigen sich, diese nicht, die Luftröhrenäste nämlich sind schon
ursprünglich seitlich und die Stämme der Lungen. Der Harnsack tritt aus der
Schlusslinie seines Fundamentalorganes hervor und bleibt ungetheilt. Die Dorn-
fortsatze, die Flossenträger, die Flossenstrahlen, lauter Vorragungen der Mittelebene,
können eine ungeheure Länge erlangen, spalten sich aber nicht seitlich. Die so-
genannten untern Dornfortsätze, welche an der untern Fläche der Brust- und

*) Ich habe mich des Ausdruckes "im Allgemeinen" bedient, weil ein nicht seltenes Organ viel-
leicht eine Ausnahme macht. Ich meine die Schwimmblase der Fische. Der Analogie nach
sollte man vermuthen, dass sie aus der Schleimhautröhre hervorwächst. Dann würde sie
freilich, wo sie einfach ist, aus der Centrallinie dieser Röhre hervortreten, und die allge-
meine Gültigkeit des Gesetzes aufheben. Allein, da auch Schwimmblasen vorkommen,
welche mit dem Speisekanal gar nicht in Verbindung stehen, so ist vielleicht ihre Bildungs-
weise eine andere. Stammen sie etwa ursprünglich aus der Lücke des Gekröses?
**) Das hindert aber nicht die Schlusslinie irgend eines Fundamentalorganes, statt bei weiterer
Entwickelung von der Centrallinie sich zu entfernen, vielmehr derselben sich nähert. Dieses
Verhältniss muss vielmehr eintreten, wenn in den Seitentheilen eines Fundamentalorganes
eine stärkere Entwickelung ist, als in den ursprünglich peripherischen Rändern, welche die
Schlusslinie bilden. In der ganzen Nervenröhre erzeugt ein solches Verhältniss in späterer
Zeit die Einschnitte in der Mittelebene.

1) Die Centrallinie aller einzelnen Fundamentalorgane scheint im Allge-
meinen *) eben so wenig geneigt, irgend eine weitere Entwickelung zu erfahren, als
die Axe des gesammten Thiers, oder die Wirbelsaite. In der Nervenröhre bleibt
sie unverändert, eben so in der Gefäſshautröhre, wo ihr vorderster Theil nur
schwindet. So auch in der Schleimhautröhre. Dennoch bestimmt sie immer die
Richtung der Entwickelung, denn alle fernere Entwickelung scheint immerfort
nach der Richtung der Pfeile in unsrer 5ten Figur fortzugehen, woraus eine zweite
allgemeine Regel folgt:

2) Alles, was aus der Schluſslinie irgend eines Fundamentalorganes hervor-
tritt, bleibt in der Mittelebene und theilt sich nicht wieder seitlich. Wenn diese
Regel Wahrheit hat, so ist sie nur eine nothwendige Folge des in unsrer Fig. 5.
abgebildeten Schemas der Entwickelung und eben dadurch eine Bestätigung
desselben. Soll nämlich die Fortbildung nach den punktirten Linien dieser
5ten Figur fortschreiten, so kann etwas, das in dieser Richtung fortgeht, so bald
es die Mittelebene erreicht hat, diese nicht wieder verlassen. Da es hierauf sein
Gleichnamiges der andern Seite trifft, kann es wohl, wenn die Entwickelung
stark ist, innerhalb der Mittelebene wachsen, aber nicht aus ihr heraus **).
Suchen wir einige Beweisgründe auf! Der Athmungsapparat tritt aus der
Schleimhautröhre hervor, aber so, daſs die Lungen aus den Seitentheilen aus-
gestülpt werden, der Luftröhrenstamm aus der untern Fläche oder der Schluſs-
linie. Jene verzweigen sich, diese nicht, die Luftröhrenäste nämlich sind schon
ursprünglich seitlich und die Stämme der Lungen. Der Harnsack tritt aus der
Schluſslinie seines Fundamentalorganes hervor und bleibt ungetheilt. Die Dorn-
fortsatze, die Flossenträger, die Flossenstrahlen, lauter Vorragungen der Mittelebene,
können eine ungeheure Länge erlangen, spalten sich aber nicht seitlich. Die so-
genannten untern Dornfortsätze, welche an der untern Fläche der Brust- und

*) Ich habe mich des Ausdruckes „im Allgemeinen” bedient, weil ein nicht seltenes Organ viel-
leicht eine Ausnahme macht. Ich meine die Schwimmblase der Fische. Der Analogie nach
sollte man vermuthen, daſs sie aus der Schleimhautröhre hervorwächst. Dann würde sie
freilich, wo sie einfach ist, aus der Centrallinie dieser Röhre hervortreten, und die allge-
meine Gültigkeit des Gesetzes aufheben. Allein, da auch Schwimmblasen vorkommen,
welche mit dem Speisekanal gar nicht in Verbindung stehen, so ist vielleicht ihre Bildungs-
weise eine andere. Stammen sie etwa ursprünglich aus der Lücke des Gekröses?
**) Das hindert aber nicht die Schluſslinie irgend eines Fundamentalorganes, statt bei weiterer
Entwickelung von der Centrallinie sich zu entfernen, vielmehr derselben sich nähert. Dieses
Verhältniſs muſs vielmehr eintreten, wenn in den Seitentheilen eines Fundamentalorganes
eine stärkere Entwickelung ist, als in den ursprünglich peripherischen Rändern, welche die
Schluſslinie bilden. In der ganzen Nervenröhre erzeugt ein solches Verhältniſs in späterer
Zeit die Einschnitte in der Mittelebene.
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[170/0200] 1) Die Centrallinie aller einzelnen Fundamentalorgane scheint im Allge- meinen *) eben so wenig geneigt, irgend eine weitere Entwickelung zu erfahren, als die Axe des gesammten Thiers, oder die Wirbelsaite. In der Nervenröhre bleibt sie unverändert, eben so in der Gefäſshautröhre, wo ihr vorderster Theil nur schwindet. So auch in der Schleimhautröhre. Dennoch bestimmt sie immer die Richtung der Entwickelung, denn alle fernere Entwickelung scheint immerfort nach der Richtung der Pfeile in unsrer 5ten Figur fortzugehen, woraus eine zweite allgemeine Regel folgt: 2) Alles, was aus der Schluſslinie irgend eines Fundamentalorganes hervor- tritt, bleibt in der Mittelebene und theilt sich nicht wieder seitlich. Wenn diese Regel Wahrheit hat, so ist sie nur eine nothwendige Folge des in unsrer Fig. 5. abgebildeten Schemas der Entwickelung und eben dadurch eine Bestätigung desselben. Soll nämlich die Fortbildung nach den punktirten Linien dieser 5ten Figur fortschreiten, so kann etwas, das in dieser Richtung fortgeht, so bald es die Mittelebene erreicht hat, diese nicht wieder verlassen. Da es hierauf sein Gleichnamiges der andern Seite trifft, kann es wohl, wenn die Entwickelung stark ist, innerhalb der Mittelebene wachsen, aber nicht aus ihr heraus **). Suchen wir einige Beweisgründe auf! Der Athmungsapparat tritt aus der Schleimhautröhre hervor, aber so, daſs die Lungen aus den Seitentheilen aus- gestülpt werden, der Luftröhrenstamm aus der untern Fläche oder der Schluſs- linie. Jene verzweigen sich, diese nicht, die Luftröhrenäste nämlich sind schon ursprünglich seitlich und die Stämme der Lungen. Der Harnsack tritt aus der Schluſslinie seines Fundamentalorganes hervor und bleibt ungetheilt. Die Dorn- fortsatze, die Flossenträger, die Flossenstrahlen, lauter Vorragungen der Mittelebene, können eine ungeheure Länge erlangen, spalten sich aber nicht seitlich. Die so- genannten untern Dornfortsätze, welche an der untern Fläche der Brust- und *) Ich habe mich des Ausdruckes „im Allgemeinen” bedient, weil ein nicht seltenes Organ viel- leicht eine Ausnahme macht. Ich meine die Schwimmblase der Fische. Der Analogie nach sollte man vermuthen, daſs sie aus der Schleimhautröhre hervorwächst. Dann würde sie freilich, wo sie einfach ist, aus der Centrallinie dieser Röhre hervortreten, und die allge- meine Gültigkeit des Gesetzes aufheben. Allein, da auch Schwimmblasen vorkommen, welche mit dem Speisekanal gar nicht in Verbindung stehen, so ist vielleicht ihre Bildungs- weise eine andere. Stammen sie etwa ursprünglich aus der Lücke des Gekröses? **) Das hindert aber nicht die Schluſslinie irgend eines Fundamentalorganes, statt bei weiterer Entwickelung von der Centrallinie sich zu entfernen, vielmehr derselben sich nähert. Dieses Verhältniſs muſs vielmehr eintreten, wenn in den Seitentheilen eines Fundamentalorganes eine stärkere Entwickelung ist, als in den ursprünglich peripherischen Rändern, welche die Schluſslinie bilden. In der ganzen Nervenröhre erzeugt ein solches Verhältniſs in späterer Zeit die Einschnitte in der Mittelebene.

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/200>, abgerufen am 24.11.2024.