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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828.

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Scholion I.
Ueber die Sicherheit in der Beobachtung der Embryonen.


Die erste Frage, die uns entgegentritt, wenn wir aus Beobachtungen über diea. Zweifel.
Entwickelung irgend einer Thierform eine Einsicht in das Wesen dieses Vor-
ganges gewinnen wollen, ist wohl die: Bis zu welchem Grade der Sicherheit
geht überhaupt die Beobachtung an Embryonen? Die Schärfe des Auges und der
Werkzeuge findet ja bei jeder Untersuchung eine Grenze, so also auch bei Be-
trachtung des Embryo. Wenn nun das Microscop vor der Befruchtung und gleich
nach derselben keinen Embryo gewahr wird, wie können wir die Ueberzeugung
gewinnen, dass keiner da ist? Dieser Einwurf, früher häufig selbst von Beob-
achtern microscopischer Gegenstände geltend gemacht, wird jetzt vorzüglich von
Laien gehört, ist aber bei ihnen um so häufiger und nachdrücklicher. In der
That ist es schwer, eine Zuversicht zu jenen negativen Angaben zu gewinnen,
wenn man weiss, dass die Naturforscher von vielen Gegenständen, die das unbe-
waffnete Auge sehr wohl erkennt, den Bau mit Sicherheit und Vollständigkeit an-
zugeben nicht im Stande sind. Eine Milbe sieht jedermann, und doch ist es selten
möglich, mit Genauigkeit ihre Fresswerkzeuge zu bestimmen, und noch viel
weniger ihren innern Bau zu erforschen. Sie besitzt ohne Zweifel ein Nerven-
system; es dürfte aber keinem Naturforscher gelingen, dasselbe darzustellen.
So deutliche Beweise von der Beschränktheit unserer Mittel für die Untersuchung
dürfen wohl dem Zweifel Raum geben: "Ob nicht der ganze Embryo mit allen
seinen Theilen da seyn kann, aber so fein gebaut, dass Messer und Microscop
ihn nicht erreichen?"

Es scheint mir daher nicht überflüssig, diese Frage etwas näher ins
Auge zu fassen, und ich hoffe, dass die Beleuchtung derselben zuvörderst
bestimmen wird, was der Beobachtung entgehen kann und was ihr nicht
entgeht, dann aber auch zur Einsicht in die Beschaffenheit des Embryo bei-
tragen wird.

Scholion I.
Ueber die Sicherheit in der Beobachtung der Embryonen.


Die erste Frage, die uns entgegentritt, wenn wir aus Beobachtungen über diea. Zweifel.
Entwickelung irgend einer Thierform eine Einsicht in das Wesen dieses Vor-
ganges gewinnen wollen, ist wohl die: Bis zu welchem Grade der Sicherheit
geht überhaupt die Beobachtung an Embryonen? Die Schärfe des Auges und der
Werkzeuge findet ja bei jeder Untersuchung eine Grenze, so also auch bei Be-
trachtung des Embryo. Wenn nun das Microscop vor der Befruchtung und gleich
nach derselben keinen Embryo gewahr wird, wie können wir die Ueberzeugung
gewinnen, daſs keiner da ist? Dieser Einwurf, früher häufig selbst von Beob-
achtern microscopischer Gegenstände geltend gemacht, wird jetzt vorzüglich von
Laien gehört, ist aber bei ihnen um so häufiger und nachdrücklicher. In der
That ist es schwer, eine Zuversicht zu jenen negativen Angaben zu gewinnen,
wenn man weiſs, daſs die Naturforscher von vielen Gegenständen, die das unbe-
waffnete Auge sehr wohl erkennt, den Bau mit Sicherheit und Vollständigkeit an-
zugeben nicht im Stande sind. Eine Milbe sieht jedermann, und doch ist es selten
möglich, mit Genauigkeit ihre Freſswerkzeuge zu bestimmen, und noch viel
weniger ihren innern Bau zu erforschen. Sie besitzt ohne Zweifel ein Nerven-
system; es dürfte aber keinem Naturforscher gelingen, dasselbe darzustellen.
So deutliche Beweise von der Beschränktheit unserer Mittel für die Untersuchung
dürfen wohl dem Zweifel Raum geben: „Ob nicht der ganze Embryo mit allen
seinen Theilen da seyn kann, aber so fein gebaut, daſs Messer und Microscop
ihn nicht erreichen?”

Es scheint mir daher nicht überflüssig, diese Frage etwas näher ins
Auge zu fassen, und ich hoffe, daſs die Beleuchtung derselben zuvörderst
bestimmen wird, was der Beobachtung entgehen kann und was ihr nicht
entgeht, dann aber auch zur Einsicht in die Beschaffenheit des Embryo bei-
tragen wird.

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[0173] Scholion I. Ueber die Sicherheit in der Beobachtung der Embryonen. Die erste Frage, die uns entgegentritt, wenn wir aus Beobachtungen über die Entwickelung irgend einer Thierform eine Einsicht in das Wesen dieses Vor- ganges gewinnen wollen, ist wohl die: Bis zu welchem Grade der Sicherheit geht überhaupt die Beobachtung an Embryonen? Die Schärfe des Auges und der Werkzeuge findet ja bei jeder Untersuchung eine Grenze, so also auch bei Be- trachtung des Embryo. Wenn nun das Microscop vor der Befruchtung und gleich nach derselben keinen Embryo gewahr wird, wie können wir die Ueberzeugung gewinnen, daſs keiner da ist? Dieser Einwurf, früher häufig selbst von Beob- achtern microscopischer Gegenstände geltend gemacht, wird jetzt vorzüglich von Laien gehört, ist aber bei ihnen um so häufiger und nachdrücklicher. In der That ist es schwer, eine Zuversicht zu jenen negativen Angaben zu gewinnen, wenn man weiſs, daſs die Naturforscher von vielen Gegenständen, die das unbe- waffnete Auge sehr wohl erkennt, den Bau mit Sicherheit und Vollständigkeit an- zugeben nicht im Stande sind. Eine Milbe sieht jedermann, und doch ist es selten möglich, mit Genauigkeit ihre Freſswerkzeuge zu bestimmen, und noch viel weniger ihren innern Bau zu erforschen. Sie besitzt ohne Zweifel ein Nerven- system; es dürfte aber keinem Naturforscher gelingen, dasselbe darzustellen. So deutliche Beweise von der Beschränktheit unserer Mittel für die Untersuchung dürfen wohl dem Zweifel Raum geben: „Ob nicht der ganze Embryo mit allen seinen Theilen da seyn kann, aber so fein gebaut, daſs Messer und Microscop ihn nicht erreichen?” a. Zweifel. Es scheint mir daher nicht überflüssig, diese Frage etwas näher ins Auge zu fassen, und ich hoffe, daſs die Beleuchtung derselben zuvörderst bestimmen wird, was der Beobachtung entgehen kann und was ihr nicht entgeht, dann aber auch zur Einsicht in die Beschaffenheit des Embryo bei- tragen wird.

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/173>, abgerufen am 23.11.2024.